Seit den Verschärfungen der Sanktionsregeln wird uns immer wieder die Frage gestellt, was denn eigentlich “zumutbare Arbeit” sein soll? Denn wer ein “zumutbares Jobangebot” ablehnt, muss mit Leistungskürzungen rechnen. Wann aber kann ein Jobangebot des Jobcenters als unzumutbar gelten?
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine „zumutbare Arbeit“?
Eine „zumutbare Arbeit“ ist im Grunde jede Beschäftigung, die von einer erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher grundsätzlich ausgeübt werden kann, es sei denn, es liegen bestimmte Ausschlussgründe vor. Laut §10 SGB II ist eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar, weil sie:
- nicht der bisherigen beruflichen Qualifikation entspricht,
- als geringerwertig angesehen wird,
- weiter vom Wohnort entfernt ist,
- schlechtere Arbeitsbedingungen bietet oder
- die Beendigung einer anderen Erwerbstätigkeit erfordert.
Das SGB II stellt klar, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, Minijobs, Zeitarbeit und viele andere Formen der Arbeit als zumutbar gelten, unabhängig von den individuellen Präferenzen der erwerbsfähigen Person.
Wann ist eine Arbeit unzumutbar?
Obwohl der Gesetzgeber strenge Kriterien für die Zumutbarkeit vorgibt, gibt es auch Ausnahmen. Eine Arbeit ist unzumutbar, wenn:
Gründe für die Weigerung eines Jobangebots
Als wichtiger persönlicher Grund anzuerkennen sind z.B.:
- der Besuch einer allgemein bildenden Schule und einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, die Erstausbildung, d.h. wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht über einen Berufsabschluss verfügt, der nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften mit einer Ausbildungsdauer von mindestens 2 Jahren festgelegt ist,
- • die Beendigung einer Ausbildung, einer Aufstiegsfortbildung z.B. der Abschluss des geprüften Bilanzbuchhalters, eines Studienganges, eines Praktikums zur Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses in Deutschland oder einer Umschulung, wenn durch die (sofortige) Arbeitsaufnahme der angestrebte Abschluss nicht erreicht wird und dem Hilfebedürftigen droht, ohne den Abschluss dauerhaft von Leistungen nach dem SGB II abhängig zu sein,
- das Absolvieren eines Jugendfreiwilligendienstes im Sinne des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (dazu gehören das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr),
- die fehlende Bereitschaft, Prostitution auszuüben, auch wenn sie früher einmal ausgeübt wurde,
- die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, bei dem der Arbeitnehmer schon einmal beschäftigt und berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen.
- die Inanspruchnahme einer bis zu sechsmonatigen Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesezt, wenn nicht aufgrund des geringen Umfangs der Pflege (Pflegestufe I) und/oder der Pflege durch weitere nahe Angehörige die Aufnahme einer (Teilzeit-) Beschäftigung erwartet werden kann. Die Ausübung einer (Teilzeit-) Beschäftigung ist insbesondere dann zumutbar, wenn eine weitere Person die Pflegezeit in Anspruch nimmt
- bei bestehender Schul- oder Berufsschulpflicht, eine Arbeit ist zumutbar, wenn sie der Berufsschulpflicht nicht entgegensteht.
- bei Aufnahme einer Zweitausbildung bzw. eines Bildungsganges im zweiten Bildungsweg, wenn kein sozialwidriges Verhalten vorliegt (siehe Anlage 1 der Weisung der BA zu § 34 SGB II).
- bei Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen anderer Kulturkreise und Religionsgemeinschaften, wenn die Tätigkeit den Glaubensgrundsätzen widerspricht.
- wenn die Aufwendungen für die angebotene Arbeit höher sind als die Einnahmen aus der Arbeit.
- Ein sonstiger wichtiger Grund kann auch vorliegen, wenn der Schutz von Ehe und Familie gefährdet ist.
- Niemand kann zu Tätigkeiten gezwungen werden, bei denen das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper verletzt wird (z.B. als Versuchsperson arbeiten).
Diese Regelungen zeigen auf den ersten Blick Spielraum, doch in der Praxis erweist sich die Durchsetzung dieser Ausnahmen oft als schwierig.
Hierzu zählt beispielsweise die seelische Belastung, wenn eine Person aus moralischen Gründen eine Tätigkeit ablehnt, etwa weil die Einnahmen des Staates, zu dem die Person beiträgt, ihrer Meinung nach für unethische Zwecke verwendet werden.
Daher kommt es immer wieder vor, dass trotz einer offensichtlichen Unzumutbarkeit das Jobcenter darauf pocht, dass die Zumutbarkeitsregeln greifen, so Dr. Utz Anhalt, Sozialrechtsexperte bei Gegen-Hartz.de
Welche moralischen und ethischen Gründe können Bürgergeld-Bezieher vorbringen?
Ein Sozialgericht hatte in einem Fall entschieden, dass das Gewissen „zeitweise zurückgestellt“ werden müsse, um der Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nachzukommen.
Dies zeigt, wie schwer es ist, ethische Argumente in einem rechtlichen Rahmen wie dem des SGB II zu verankern. Für viele stellt sich hier die Frage: Muss man sein Gewissen tatsächlich dem gesellschaftlichen Nutzen unterordnen, oder gibt es Grenzen?
Was sagt das Gesetz zur körperlichen und geistigen Unzumutbarkeit?
In Fällen, in denen eine Tätigkeit aufgrund körperlicher, geistiger oder seelischer Einschränkungen unzumutbar ist, muss dies durch einen ärztlichen Dienst oder einen psychologischen Dienst bestätigt werden.
Anhalt verweist auf die Praxis, dass die Beurteilung durch solche Dienste oft subjektiv erscheint und die betroffenen Personen nicht immer ernst genommen werden. So kann beispielsweise eine Depression, die jemand davon abhält, eine stressreiche Arbeit auszuführen, als unzureichender Grund angesehen werden.
Was sind die Grenzen der Zumutbarkeit bei Niedriglohn?
Wann ist eine Arbeit unzumutbar, weil die Bezahlung unangemessen ist? §10 SGB II stellt klar, dass eine Arbeit nicht allein deshalb unzumutbar ist, weil sie schlechter bezahlt ist als die bisherige Beschäftigung oder als der ortsübliche Lohn.
Einzige Ausnahme ist, wenn die Entlohnung sittenwidrig ist, d.h., wenn sie weit unter dem branchenüblichen Niveau liegt.
Das Mindestlohngesetz schützt hier jedoch nicht alle Arbeitnehmer gleichermaßen: Langzeitarbeitslose haben beispielsweise in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung keinen Anspruch auf den Mindestlohn.
Ist Zeitarbeit zumutbar?
Oft wird uns die Frage gestellt, ob Zeitarbeit zumutbar sei. Die Antwort des Gesetzes ist eindeutig: Ja, Zeitarbeit ist grundsätzlich zumutbar, solange sie die oben genannten Ausschlusskriterien nicht verletzt.
Doch viele Betroffene und Erwerbslosenverbände sehen die Zeitarbeit als unzumutbar an, da sie häufig mit unsicheren Arbeitsverhältnissen und niedrigerem Lohn einhergeht.
Viele sehen darin zurecht eine Ausbeutung der Arbeitskraft an. Doch für einen Widerspruch reicht dieses Argument leider nicht aus, sagt der Sozialrechtsexperte.
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Wie sieht es mit besonderen Lebenssituationen aus, z.B. Alleinerziehende?
Für Alleinerziehende gelten besondere Regelungen. So ist die Aufnahme einer Arbeit grundsätzlich zumutbar, wenn eine bedarfsgerechte Betreuung des Kindes sichergestellt ist.
Bei Kindern unter drei Jahren ist die Betreuung jedoch eine freiwillige Entscheidung der Eltern.
In der Praxis bedeutet dies, dass Alleinerziehende häufig eine Schonzeit haben, bis ihre Kinder das dritte Lebensjahr erreicht haben.
Rückkehr in den ursprünglichen Job verjährt
Nach vier Jahren in einer ungelernter Tätigkeit gelten Bürgergeld-Betroffene gegenüber dem Jobcenter wieder als ungelernt, was ihre Chancen auf eine Rückkehr in ihren ursprünglichen Beruf mindert.
Verschärfte Regelungen und Sanktionen
Die in diesem Jahr verabschiedeten Verschärfungen sehen vor, dass Bürgergeld-Bezieher bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden einen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden (hin und zurück) als zumutbar akzeptieren müssen.
Bei einer geringeren Arbeitszeit bleibt die bisherige Grenze von 2,5 Stunden bestehen.
Darüber hinaus sollen Jobcenter in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort des Bürgergeld-Beziehers nach passenden Arbeitsplätzen suchen.
Bürgergeld-Bezieher dürfen passende Jobangebote nicht (ohne Grund) ablehnen. Wenn sie sich weigern, eine Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis anzunehmen oder fortzusetzen, führt dies zwangsläufig zu Sanktionen. Und das bedeutet, dass der Regelsatz gekürzt wird.
Die Sanktionen erfolgen in Form von Leistungskürzungen und sind gestaffelt:
1. Erstverstoß: Kürzung des Regelbedarfs um 10 % für einen Monat.
2. Zweitverstoß: Kürzung um 20 % für zwei Monate.
3. Weitere Verstöße: Kürzung um 30 % für drei Monate.
Die maximale Kürzung beträgt 30 % des Regelbedarfs. Vor der Verhängung von Sanktionen muss das Jobcenter den Betroffenen über die möglichen Konsequenzen informieren und ihm die Gelegenheit geben, seine Gründe darzulegen.
Übrigens: Auch Ein-Euro-Jobs sollen nun wieder verstärkt vergeben werden, obwohl diese Arbeitsmarktpolitisch höchst umstritten sind, wie wir auch hier erläutert haben.
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