Die Bundesregierung hat weitreichende Änderungen in den Zumutbarkeitsgrenzen für Bürgergeld-Empfänger angekündigt. Ein zentraler Punkt dieser Verschärfung ist die Erhöhung der maximal zumutbaren Pendelzeit von bisher 2,5 Stunden auf 3 Stunden täglich. Diese Maßnahme ist Teil eines Maßnahmenkatalogs, auf den sich die Ampel im Rahmen der sog. Wachstumsinitiative am Freitag geeinigt hat.
Welche Details beinhaltet die verschärfte Regelung?
Die neuen Regelungen sehen vor, dass Bürgergeld-Bezieher bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden einen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden (hin und zurück) als zumutbar akzeptieren müssen.
Bei einer geringeren Arbeitszeit bleibt die bisherige Grenze von 2,5 Stunden bestehen. Darüber hinaus sollen Jobcenter in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort des Bürgergeld-Beziehers nach passenden Arbeitsplätzen suchen.
Bürgergeld-Bezieher dürfen passende Jobangebote nicht (ohne Grund) ablehnen. Wenn sie sich weigern, eine Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis anzunehmen oder fortzusetzen, führt dies zwangsläufig zu Sanktionen. Und das bedeutet, dass der Regelsatz gekürzt wird.
Streichung des Bürgergeldes bei dauerhafter Arbeitsverweigerung
Nach einem aktuellen Beschluss des Gesetzgebers kann Bürgergeld für bis zu zwei Monate komplett gestrichen werden, wenn jemand dauerhaft eine zumutbare Arbeit ablehnt. Das bedeutet, dass das Jobcenter in diesem Fall die Zahlung des Regelsatzes aussetzt.
Unabhängig von den Kürzungen bleiben die Zahlungen für Miete und Heizung unberührt. Die Minderung tritt im Monat nach dem Minderungsbescheid in Kraft. Wenn beispielsweise am 10. Juni eine schriftliche Mitteilung über die Kürzung erfolgt, gilt der reduzierte Satz ab dem 1. Juli.
Aus welchen Gründen dürfen Jobangebote abgelehnt werden?
Jedoch können auch Leistungsbezieher Vermittlungsangebote ausschlagen, die nicht aufstocken. Allerdings müssen wichtige Gründe gegen das Jobangebot sprechen.
Ein häufiger Grund der Ablehnung ist die Unzumutbarkeit nach § 10 SGB II. Wer beispielsweise aus körperlichen, psychischen oder geistigen Gründen nicht in der Lage ist, das Jobangebot anzunehmen, sollte sich Leistungseinbußen nicht gefallen lassen.
Es muss begrünbdet sein, warum der Beruf aus den genannten Gründen nicht ausgeübt werden kann und deshalb von einer Bewerbung abgesehen wird.
Eine Unzummutbarkeit nach § 10 SGB II kann auch dann greifen, wenn das Jobcenter oder die Arbeitsagentur eine Maßnahme zur Wiedereingliederung vorschlägt.
Unzummutbarkeit mit hohen Hürden
Allerdings ist eine Unzummutbarkeit mit hohen Hürden verknüpft. Häufig entfacht sich dabei ein Streit mit dem Jobcenter, das wie beschrieben, Statistiken zu erfüllen hat. Wer beispielsweise einen Job ausschlägt, weil dieser schlechter vergütet wird, als der bisherige, wird keinen Erfolg haben.
Unzumutbar ist allerdings die Berufsausübbung, wenn ein Kind oder ein Angehöriger zuhause gepflegt werden muss. Ein solcher Fall wird sogar im Gesetz als Beispiel einer Unzumutbarkeit aufgeführt.
Jobangebot ausschlagen bei Kinderbetreuung, Kinder unter 3 Jahren
Solange sich ein Kind unter 3 Jahren im Haushalt befindet, kann sich ein Elternteil auf die Betreuung desselben berufen und jeden Job sowie jede Maßnahme zur Eingliederung folgenlos verweigern.
Die Betreuung durch Dritte ist hierbei nicht vorrangig. Welcher Elternteil sich darauf beruft, ist alleinige Entscheidung der Eltern.
Kinderbetreuung, Kinder ab 3 Jahren
Auch ein Kind ab 3 Jahren kann wegen Betreuung desselben ein Grund sein, eine Maßnahme zur Eingliederung oder einen Job folgenlos verweigern. Dies ist der Fall, wenn während der job- oder maßnahmebedingten Abwesenheit des Elternteiles die Betreuung des Kindes durch Dritte oder den anderen Elternteil nicht gewährleistet ist, oder Aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten des Kindes (z.B. Hyperaktivität) nicht möglich ist.
Keine Jobaufnahme bei Dumpinglohn
Lohndumping ist grundsätzlich rechts- und sittenwidrig.
In ihrer Weisung zu § 10 SGB II weist die BA in Rz. 10.03 darauf hin, dass gemäß der Rechtsprechung Sittenwidrigkeit vorliegt, wenn der Lohn wemiger als 2/3 unter dem üblichen Tariflohn (bei existierendem Tarifvertrag) oder ortsüblichem Lohn liegt und in diesem Fall ein Jobangebot wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II folgenlos abgelehnt werden kann, d.h. in diesem Fall ein zwingend anzuerkennender wichtiger Grund nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II vorliegt, der eine Sanktion ausschließt. Vgl. auch BAG Az. 5 AZR 436/08.
Jobangebot beinhaltet Sittenwidrigkeit oder Rechtswidrigkeit
Eine Arbeit ist wegen Rechtswidrigkeit unzumutbar, wenn sie Tätigkeiten beinhaltet, die gegen geltendes Recht verstoßen und der Arbeitnehmer somit bei Ausübung derselben eine strafbare Handlung begehen würde.
Unzumutbarkeit aus körperlichen, geistigen und seelischen Gründen
Arbeiten welche Tätigkeiten beinhalten, die aufgrund festgestellter oder akkut vorliegender körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht ausgeübt werden können, sind unzumutbar.
Die Erwerbsfähigkeit, also die körperliche und seelische Eignung, der Hilfebedürftigen muss immer durch den Amtsarzt, medizinischen Dienst der Krankenkassen oder psychologischen Dienst beurteilt und abschließend festgestellt werden.
Jobangebote der Jobcenter bei Pflege eines Angehörigen
Eine Arbeit ist unzumutbar, wenn sie nicht mit der Pflege eines Angehörigen vereinbart werden kann. Angehörige sind der Ehegatte, der gleichgeschlechtliche Partner oder der Verlobte, darüber hinaus Geschwister, Verwandte und Verschwägerte sowie Geschwister des Ehegatten und Kinder von Geschwistern, auch Pflegeeltern und Pflegekinder.
Eine sittliche Verpflichtung kann auch infolge innerer Bindungen z.B. als Stiefkind, Partner in eheähnlicher Gemeinschaft oder langjährige Haushaltshilfe angenommen werden, insbesondere bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft.
Bei Pflegestufe I ist dem Pflegenden ein Vollzeitjob zumutbar. Bei Pflegestufe II ist dem Pflegenden nur ein Teilzeitjob mit max. 6 Std. Arbeitzeit pro Tag zumutbar. Bei Pflegestufe III ist dem Pflegenden kein Erwerbstätigkeit mehr zumutbar.
Bei Pflegestufe I und II können sich aber in Abhängigkeit der erforderlichen Pflegetätigkeiten Einschränkungen hinsichtlich Lage und Verteilung der Arbeitszeit ergeben. Siehe auch Weisung der BA zu § 10 SGB II ab Rz 10.15.
Gründe für die Weigerung eines Jobangebots
Als wichtiger persönlicher Grund anzuerkennen sind z.B.:
- der Besuch einer allgemein bildenden Schule und einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, die Erstausbildung, d.h. wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht über einen Berufsabschluss verfügt, der nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften mit einer Ausbildungsdauer von mindestens 2 Jahren festgelegt ist,
- • die Beendigung einer Ausbildung, einer Aufstiegsfortbildung z.B. der Abschluss des geprüften Bilanzbuchhalters, eines Studienganges, eines Praktikums zur Anerkennung eines ausländischen Berufsabschlusses in Deutschland oder einer Umschulung, wenn durch die (sofortige) Arbeitsaufnahme der angestrebte Abschluss nicht erreicht wird und dem Hilfebedürftigen droht, ohne den Abschluss dauerhaft von Leistungen nach dem SGB II abhängig zu sein,
- das Absolvieren eines Jugendfreiwilligendienstes im Sinne des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (dazu gehören das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr),
- die fehlende Bereitschaft, Prostitution auszuüben, auch wenn sie früher einmal ausgeübt wurde,
- die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, bei dem der Arbeitnehmer schon einmal beschäftigt und berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen.
- die Inanspruchnahme einer bis zu sechsmonatigen Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesezt, wenn nicht aufgrund des geringen Umfangs der Pflege (Pflegestufe I) und/oder der Pflege durch weitere nahe Angehörige die Aufnahme einer (Teilzeit-) Beschäftigung erwartet werden kann. Die Ausübung einer (Teilzeit-) Beschäftigung ist insbesondere dann zumutbar, wenn eine weitere Person die Pflegezeit in Anspruch nimmt
- bei bestehender Schul- oder Berufsschulpflicht, eine Arbeit ist zumutbar, wenn sie der Berufsschulpflicht nicht entgegensteht.
- bei Aufnahme einer Zweitausbildung bzw. eines Bildungsganges im zweiten Bildungsweg, wenn kein sozialwidriges Verhalten vorliegt (siehe Anlage 1 der Weisung der BA zu § 34 SGB II).
- bei Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen anderer Kulturkreise und Religionsgemeinschaften, wenn die Tätigkeit den Glaubensgrundsätzen widerspricht.
- wenn die Aufwendungen für die angebotene Arbeit höher sind als die Einnahmen aus der Arbeit.
- Ein sonstiger wichtiger Grund kann auch vorliegen, wenn der Schutz von Ehe und Familie gefährdet ist.
- Niemand kann zu Tätigkeiten gezwungen werden, bei denen das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper verletzt wird (Sexdienstleistungen, Strippen, Organspende, Versuchsperson).
Widerspruch einlegen
Wer dennoch von Leistungskürzungen betroffen ist, sollte einen Widerspruch einlegen und sich Hilfe bei einer örtlichen Erwerbslosenberatungsstelle suchen oder den Bescheid der Behörde hier überprüfen lassen.
- Über den Autor
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.