Bürgergeld: Regelsatz am Limit – So frisst die Inflation alles auf

Lesedauer 3 Minuten

Die große Lücke im Geldbeutel hat System. Während die Nettolöhne seit 2010 kräftig zulegen, kommen die Regelbedarfe nur hinterher – und zwar zu langsam. Der „Bürgergeld-Boost“ 2023/24 war spürbar, entpuppt sich aber als kurzer Effekt der neuen Formel.

Im Einkaufswagen frisst die Teuerung für Lebensmittel einen immer größeren Anteil – genau dort, wo arme Haushalte den Großteil ihres Budgets ausgeben.

Strukturelle Unterdeckung: Regelsätze vs. Löhne

Setzt man das Jahr 2005 auf Index 100, liegen die Nettolöhne bis 2024 bei +72, die Regelbedarfe bei ca. +63. Der Bruch beginnt 2010, ab 2014 driftet es sichtbar auseinander. Erst 2023 nähern sich Kurven wieder – allerdings nicht, weil die Lebenshaltung einfacher würde, sondern wegen einer geänderten Fortschreibung.

Ergebnis: Das Existenzminimum rennt den Einkommen hinterher, nicht umgekehrt. Für Betroffene bedeutet das: weniger Luft für den Alltag, kaum Spielraum für Unerwartetes.

Was heißt das konkret?

Selbst wenn Regelsätze offiziell steigen, bleibt die reale Kaufkraft zurück, sobald die Preise in zentralen Warengruppen schneller klettern als der Mischindex abbildet. Genau das passierte 2021/22 – die Anpassung reagierte zu spät, die Lücke wurde spürbar.

Fortschreibungsmechanismus: Strohfeuer – dann Bremsklotz

Seit 2023 gilt eine zweistufige Fortschreibung (Basis + ergänzend). 2023/24 hob sie stark an, nimmt die Dynamik im Folgejahr aber wieder zurück. Damit werden Preisschocks kurzfristig aufgegriffen – anschließend glättet die Formel Ausreißer und drückt das Niveau in der nächsten Runde. Für 2025/26 zeigen die Zahlen bereits Stagnationstendenzen.

So liefen die Endbeträge (RBS 1):

Jahr / Mechanik RBS 1 (Endbetrag)
2023 – neue Formel 502€
2024 – neue Formel 563€
2025 – neue Formel 539€
2026 – neue Formel 557€

Quelle: Darstellung der zweistufigen Fortschreibung (Basis- und ergänzende Stufe) mit Endbeträgen; Stand 21.10.2025.

Die Logik dahinter mag statistisch sauber sein, sozialpolitisch bleibt sie ungenügend: Wer 2023/24 kurz durchschnaufen konnte, rutscht 2025 real wieder ins Hintertreffen. Ein verlässlicher Krisenschutz sieht anders aus.

Einkaufswagen entscheidet: Lebensmittel treiben die Lücke

Der Verbraucherpreisindex ist ein Mischindex – er gewichtet alles, auch Posten, die in armen Haushalten kaum vorkommen. Entscheidend sind aber Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke, oft mit überproportionalen Anstiegen. Selbst starke Regelsatz-Sprünge gleichen das nur teilweise aus. Ergebnis: Im Alltag reicht es trotzdem nicht.

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Warum das weh tut:
Haushalte mit wenig Geld geben relativ mehr für Essen und Wohnen aus. Wenn genau dort die Preise überdurchschnittlich steigen, schlägt das härter durch als der Gesamtindex suggeriert. Der Abstand zwischen Preisrealität und Regelsatz wächst – trotz „Reform“.

Was Betroffene jetzt konkret tun können

a) Mehrbedarfe prüfen und durchsetzen
Alleinerziehende, kostenaufwändige Ernährung (ärztlich bescheinigt), dezentrale Warmwasserbereitung, Schwangerschaft, Behinderung/Teilhabe – Mehrbedarfe können spürbar entlasten. Unbedingt im Bescheid checken und ggf. Widerspruch einlegen, wenn etwas fehlt.

b) Härtefälle geltend machen
Atypische, unabweisbare Bedarfe lassen sich außerhalb des Regelbedarfs decken (z. B. notwendige Haushaltsgeräte, besondere medizinische Situationen). Frühzeitig mit Nachweisen beantragen; bei Ablehnung Begründung prüfen und fristgerecht widersprechen.

c) Strom & Energie im Blick behalten
Strom ist im Regelsatz enthalten – genau deswegen eng kalkulieren: Abschläge prüfen, Anbieterwechsel vergleichen, Schuldenregulierung mit dem Jobcenter klären (Darlehen möglich). Bei Heizkosten (KdU) auf Angemessenheit achten, Belege sammeln, Nachzahlungen sofort anzeigen.

d) Regionale KdU-Werte prüfen
Ziehen Mieten an, muss das schlüssige Konzept der Kommune standhalten. Stimmt die Angemessenheitsgrenze nicht, lohnt der Widerspruch – und notfalls die Klage. Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe nutzen.

e) Beratung holen, Fristen sichern
Sozialberatung, Erwerbsloseninitiativen und Fachanwält:innen für Sozialrecht helfen bei Widerspruch (1 Monat) und Überprüfungsantrag (bis zu 1 Jahr rückwirkend). Einspruch rechtzeitig absenden, Eingangsbestätigung aufheben.

Was die Politik jetzt ändern muss

Statt einer starren Jahresfortschreibung braucht es eine krisenfeste Dynamik. Bei starken Preisschüben müssen die Regelsätze automatisch und mindestens quartalsweise, besser monatlich, angepasst werden – ohne politischen Ermessenszickzack.

Grundlage dafür sollte ein armutsrelevanter Preisindex sein, der die tatsächlichen Gewichte armer Haushalte abbildet, also insbesondere Ausgaben für Essen, Wohnen und Energie, damit systematische Unterdeckung gar nicht erst entsteht.

Ebenso wichtig sind Transparenz und Planbarkeit. Die Herleitung der Beträge muss nachvollziehbar sein und die neuen Werte rechtzeitig kommuniziert werden, damit Haushalte verlässlich kalkulieren können, statt jedes Jahr kurzatmig auf Überraschungen reagieren zu müssen.

Kurzfazit

Die Zahlen sprechen klar: Regelsätze hinken hinterher, die Reform 2023/24 war nur ein Strohfeuer, und Lebensmittelpreise treiben die reale Unterdeckung. Wer heute vom Regelbedarf leben muss, zahlt den Preis für ein Statistik-Modell, das seine Wirklichkeit nicht trifft. Jetzt braucht es eine Fortschreibung, die dort schützt, wo das Geld wirklich hingeht.