Bürgergeld-Familie bekam über 6000 Euro, wie kann das sein?

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Boris Palmer berichtete am 22. April 2025 bei “Markus Lanz” von hohen Bürgergeldzahlungen, die angeblich auf sehr hohen unangemessenen Wohnkosten basieren. Lt. Herrn Palmer eine Folge der sog. 12monatigen Karenzzeit nach einem Erstantrag, in der Wohnkosten unbegrenzt übernommen würden und die zur Abmilderung der Folgen der Pandemie eingeführt wurde.

Auf Facebook postete Herr Palmer später als vermeintlichen Beleg für seine These diese erste Seite eines anonymisierten Bürgergeldbescheides, die zwischenzeitlich offenbar wieder gelöscht wurde.

Zunächst muss man feststellen, dass daraus überhaupt nicht erkennbar ist, wie sich die monatlichen Gesamtbeträge zusammensetzen und für wie viele Personen dort Bürgergeld bewilligt wurde.

Ohne den Wohnort zu kennen kann man auch nicht feststellen, ob die bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung, wie die Wohnkosten im Gesetz heißen, angemessen sind – oder nicht, wie Herr Palmer behauptet. Auch ob hier – wie behauptet – die Karenzzeit Anwendung fand oder nicht, kann man so nicht erkennen.

Für all dies müsste man auch die restlichen Seiten des Bürgergeldbescheides sehen, die der Öffentlichkeit aber vorenthalten wurden.
Ein Beweis für die These von Herrn Palmer ist diese eine Seite eines Bürgergeldbescheides nicht.

Nur angemessene Wohnkosten werden anerkannt

Über die Folgen der Karenzzeit kann man geteilter Meinung sein, verallgemeinern kann man diese aber nicht. Zudem ist die Abschaffung faktisch bereits beschlossen.

Grundsätzlich werden nur angemessene Wohnkosten von Jobcentern anerkannt und gerade die Kommunen, welche diese zahlen müssen, achten peinlich genau darauf, nicht einen Cent zu viel zu zahlen. Deshalb ist die Höhe der angemessenen Wohnkosten regelmäßig Streitpunkt vor Sozialgerichten in ganz Deutschland.

Tatsächlich erhalten viele Bürgergeldempfänger sogar nur einen Teil ihrer Wohnkosten vom Jobcenter bezahlt.

Die Differenz zwischen den tatsächlichen Wohnkosten und den geringeren von Jobcentern gezahlten belief sich lt. der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2023 auf rund 400 Millionen Euro.

Diese Wohnkostenlücke führt dazu, dass hunderttausende Bürgergeldempfänger bis zu 150 Euro im Monat weniger vom Jobcenter für ihre Wohnkosten bekommen, als sie tatsächlich an ihren Vermieter zahlen müssen. Wohnen wird so für Arbeitslose und prekär Beschäftigte zu einem Luxusgut.

6000 Euro Bürgergeld?

Der von Herrn Palmer veröffentlichte Bürgergeldbescheid, bei dem es sich um die Leistung für eine Familie mit 5 Kindern handeln soll, also insgesamt 7 Personen, und worin für 2023 eine laufende Leistung von monatlich 6.316 Euro bewilligt wurde, hält einer näheren Betrachtung nicht stand.

Einige Medien, u.a. der Focus, errechnen da eine Regelleistung von ca. 3.000 Euro und vergessen dabei den Abzug des Kindergeldes, das zu 100% angerechnet wird und bei 5 Kindern immerhin 1.275 Euro monatlich ausmacht.
Unter Berücksichtigung dieses Kindergeldes ergibt sich nur noch eine, vom Alter der Kinder abhängige, Regelleistung von insgesamt ca. 1.606 Euro.

In der Annahme, dass es sich bei dem Rest um die Wohnkosten handelt, wären das monatlich 4.710 Euro für Miete und Heizung, ein vollkommen absurder Betrag(?).

Selbst München erkennt für 7 Personen aktuell nur eine Bruttokaltmiete von 2.498 Euro als angemessen an, dazu noch die nach Verbrauch angemessenen Heizkosten von ca. 260 Euro. Insgesamt sind in München derzeit also 2.758 Euro monatliche Wohnkosten angemessen.

Kann man den Gesamtbetrag trotzdem irgendwie plausibel erklären?

Ja, kann man. Allerdings nicht mit den von Herrn Palmer genannten Informationen.

Möglich wäre es, dass es sich um den Bürgergeldbescheid einer Familie mit deutlich mehr als 5 Kindern und/oder mehr als 2 Erwachsenen handelt. Solche Fälle mäandern regelmäßig durch die Medien.

Möglich wäre auch, dass der Gesamtbetrag die Beiträge für eine private Krankenversicherung beinhaltet, das wären bei 7 Personen immerhin 1050 Euro. Dieser Beitrag wird bei gesetzlich Versicherten nicht ausgezahlt, sondern geht direkt an die Krankenkassen, Privatversicherte müssen diesen jedoch selbst an ihre Krankenkasse zahlen und bekommen ihn deshalb vom Jobcenter ausgezahlt.

Eine weitere Erklärung liefert der gut zu lesenden Bewilligungszeitraum: 01.11.2022 bis 31.10.2023. Ab 2022 waren bekanntermaßen die Heizkosten geradezu explodiert und lagen 2023 etwa 4 bis 5-mal so hoch wie 2021.
Ob man monatlich 260 Euro oder 1300 Euro Heizkosten zahlen muss, ist schon ein ganz erheblicher Unterschied.

Und bei schlecht gedämmten Häusern verdoppelt sich dieser Betrag sehr schnell. Der von Herrn Palmer genannte Gesamtbetrag kann also durchaus plausibel erklärt werden, auch im Rahmen angemessener Wohnkosten ohne Karenzzeit.