Bürgergeld: Deshalb verklagt ein Bürger die Bundesagentur für Arbeit

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Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erstellt interne Schulungsmaterialen für die Jobcenter und freien Träger. Mit den Materialen sollen die Mitarbeiter in den Behörden lernen, wie sie Bürgergeld-Beziehende (ehemals Hartz IV) sanktionieren. Trotz Informationsfreiheitsgesetz verweigert die Behörde die Veröffentlichung der Schulungsunterlagen (Wir berichteten).

Denis Sobek hat die Bundesagentur auf Herausgabe verklagt, obwohl er selbst kein Bürgergeld bezieht. Wir fragen nach den Gründen und dem Stand der Dinge.

Herr Sobek, stellen Sie sich bitte einmal unseren Leser/innen vor!

Ich bin 28 Jahre alt und arbeite seit meinem Informatikstudium als Softwareentwickler. An sich gibt es nicht viel über mich zu erzählen. Für die Linke bin ich seit 2021 als sachkundiger Bürger im Kreistag aktiv.

Sie haben eine Klage gegen die Bundesagentur für Arbeit eingelegt. Was sind die Hintergründe?

Im Juni 2021 habe ich interne Weisungen und Schulungsunterlagen zum Thema Sanktionen über das Portal “fragdenstaat.de” angefragt. Die Rechtsgrundlage meiner Anfrage ist das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Dieses ermöglicht Bürger/innen Informationen und Dokumente von Behörden zu bekommen.

Natürlich gibt es dort Grenzen, welche in den §§3-6 IFG festgelegt werden. Nachdem die Bundesagentur angeblich mehrmals versucht hat mich telefonisch zu erreichen, obwohl ich keine Telefonnummer angegeben habe, und aus Gründen des Datenschutzes meine Anfrage angeblich nicht per Mail bearbeiten konnte, habe ich recht flott den Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit um Vermittlung gebeten.

Nach mehr als drei Monaten (Anmerkung: die Frist ist eigentlich ein Monat) habe ich dann die fachlichen Weisungen zu dem Thema “Ruhen bei Sperrzeit” bekommen, aber die Schulungsunterlagen nicht.

Nachdem ich nochmals nachgehakt habe, hat mir die Agentur eine Arbeitshilfe zum Thema “Sperrzeiten/Sanktionen im SGB III” zugesendet, welche auch zu Schulungszwecken verwendet wird. Die Schulungsunterlagen wurden mir dennoch verwehrt. Nach einem weiteren Vermittlungsversuch des Bundesbeauftragten für Datenschutz habe ich eine genauere Begründung bekommen, warum die Agentur meine Anfrage ablehnt.

Daraufhin habe ich einen Widerspruch eingelegt und habe eine Ablehnung meines Widerspruchs bekommen. Die Gründe der Ablehnung waren die gleichen, wie bei meiner Anfrage. Die Unterlagen wären urheberrechtlich geschützt und es gebe eine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit, sodass diese Schulungsunterlagen dem Betriebsgeheimnis unterlägen. Darauf habe ich geklagt.

Sind Sie selbst betroffen?

Ich hatte in meinem Leben das Glück nie von Hartz IV bzw. Bürgergeld leben zu müssen. Doch bin ich mit dem Thema Hartz IV über einen Vortrag in meiner Schulzeit erstmals in Kontakt gekommen. Dort haben Sozialpädagogen erklärt, wie es sein kann, dass Personen trotz bzw. wegen Hartz IV in die Obdachlosigkeit fallen. Später hatte ich Personen in meinem Umfeld, welche notgedrungen Hartz IV beantragen mussten und es ist ein Dauerthema in der Gesellschaft, wie man an den Debatten um das Bürgergeld sehen kann.

Warum setzen Sie sich für die Belange von Bürgergeld Beziehern ein?

Bei den Debatten ist mir sehr aufgefallen, dass Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt wurden und der Fokus zu wenig auf die Not der Menschen gelegt wurde. Natürlich sind mir auf Twitter sehr die Personen, die unter dem Hashtag “IchBinArmutsbetroffen” schreiben, aufgefallen.

All diese Einblicke haben mich gelehrt, dass das Glück stark bestimmt, wie man lebt. Um so wichtiger empfinde ich, dass die Gesellschaft die Ungleichheit in der Welt bestmöglich ausgleichen und dabei nicht nach unten treten soll Dabei möchte ich helfen.

Deshalb die Klage?

Bei der Höhe von Hartz IV oder auch beim Bürgergeld geht es um das Existenzminimum. Die Höhe ist schon immer ein Streitpunkt gewesen. Meiner Meinung nach war und ist die Höhe zu gering. Der Meinung war zum Beispiel auch die Diakonie.

Der paritätische Wohlfahrtsverband hat bei der Bürgergeld-Debatte eine Höhe von 725 € gefordert. Die Caritas und die Diakonie sagten, dass die Erhöhungen beim Bürgergeld zu niedrig sind. Bei den Sanktionen handelt es sich also um die weitere Kürzung von bereits zu wenig Geld, auf das Menschen zum Leben angewiesen sind.

Ich finde es wichtig, dass das Verhalten einer Behörde bei dem Thema Sanktionen immer für den/die Bürger:in transparent sein muss! Deshalb habe ich geklagt. Auch wenn die Schulungsunterlagen veraltet sind, könnte es Menschen geben, die sich damit das Verhalten der Behörde in der Vergangenheit erklären können.

Warum hat die BA die Herausgabe der Schulungsmaterialen abgelehnt?

Die Agentur beruft sich auf das Urheberrecht und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Sie sagt, dass sie ihren Jobcentern die Schulungen für einen Betrag anbietet und somit in Konkurrenz mit anderen Schulungsanbietern steht, wodurch eine wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit gegeben wäre.

Wer unterstützt Sie dabei?

Mich unterstützt der gemeinnützige Verein Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. (OKF). Dieser betreibt die Seite “fragdenstaat.de”. Dies ist ein Portal um Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetzt (IFG), dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) und dem Umweltinformationsgesetz (UIG) an Behörden zu stellen.

Die Anfragen und deren Ergebnisse können dort öffentlich gestellt werden, sodass andere die angefragten Informationen nicht nochmal anfragen müssen.

Außerdem kann man Probleme melden, falls eine Mail nicht funktioniert oder die Antwort der Behörde nicht verständlich ist. Auch kann der Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit um Vermittlung gebeten werden, oder man kann sich bei Kampagnen beteiligen, wie zum Beispiel das Anfragen von Energieausweisen von öffentlichen Gebäuden. Zu dem Portal gibt es ein Forum in dem die Benutzer sich gegenseitig helfen oder Ideen geben können.

Warum wurde der Widerspruch abgelehnt?

Mit der gleichen Begründung, wie die Anfrage abgelehnt und der Klage entgegnet wird: Urheberrecht und Betriebsgeheimnis. Den Widerspruchsbescheid kann man sich hier anschauen.

Wie schätzen Sie persönlich ein, warum die BA die Materialen nicht rausgeben will?

Über die Gründe der Agentur kann ich nur spekulieren, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Man sollte bei aller Skepsis nicht vergessen, dass in den Agenturen und Jobcentern auch Personen arbeiten, die wirklich alles geben, um den Bürger/innen zu helfen. Es ist wie in Schulen, wenn das System kaputt ist, dann verbrennt man Leute. Auf beiden Seiten.

Wie ist Ihre Einschätzung bzw. die des Anwalts, wie die Erfolgsaussichten sind?

Die OKF, die sich über Spenden finanziert, sieht da gute Chance für uns und übernimmt deshalb die Kosten für die Klagen.

Wann ist mit einem Urteil zu rechnen?

Das kann ich leider nicht sagen. Wir haben auf die Erwiderung der Agentur letztes Jahr noch geantwortet und warten derzeit, ob sich die Agentur noch einmal meldet.

Was erhoffen Sie mit der Klage?

Als nicht betroffene Person kann man sich nicht so gut hineinversetzen, wie die Agentur mit den bedürftigen Bürger/innen umgeht. Deshalb hoffe ich, dass ich durch die Klage die Unterlage bekomme, um zumindest einen Einblick zu bekommen, wie die Angestellten der Agentur gemäß den Schulungen mit Sanktionen umgehen sollen. Darüber hinaus hoffe ich, dass die Unterlagen Betroffenen neue Erkenntnisse bringen könnten.

Wichtig ist mir zu erwähnen, dass trotz der Veröffentlichung der Unterlagen, weiterhin die Betroffenen unter den Sanktionen leiden werden. Um das zu ändern müssten sich die Gesellschaft und die Politik ändern.

Wie sehen Sie die neuen Reglungen beim Bürgergeld?

Es wurden zwar ein paar Verbesserungen gemacht, wie dass der Vermittlungsvorrang entfällt. Jedoch bleiben die Sanktionen und die Höhe auf dem Existenzminimum (oder je nach Sicht darunter). Im Großen und Ganzen ist es noch immer Hartz IV. Raider heißt jetzt Twix…

Was wäre Ihr Appel an unsere Leser/innen?

Es gibt viele Möglichkeiten sich einzubringen. Ein Appel ist andere Parteien wählen. SPD und Grüne haben gezeigt, dass der Willen nicht da ist sich ernsthaft für eine andere Gesellschaft einzusetzen. Von CDU und FDP brauchen wir nicht reden und die AFD gehört in die Tonne. Ein anderer ist, dass man sich über Bürgerbeteiligungen, gemeinnützige Organisationen und Kommunalpolitik einbringt. Ich weiß, dass es Zeit und Energie kostet, aber jede/r einzelne wird gebraucht!

Vielen Dank für das Gespräch!

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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