Als Leistungsberechtigter sehen Sie sich oft vom Jobcenter drangsaliert, sei es, dass der zuständige Mitarbeiter einen Antrag von Ihnen ablehnt, sei es, dass die Behörde Ihnen Mittel kürzt. Wesentlich ist, ob es sich hier um ein Ermessen handelt, zu dem das Jobcenter berechtigt ist – oder um rechtswidrige Willkür.
Inhaltsverzeichnis
Ermessen oder Willkür entscheiden über Ihren Erfolg vor Gericht
Dieser Unterschied kann für Sie darüber entscheiden, ob Sie Ihre Ansprüche durchsetzen – denn Ermessen ist ein gesetzlich einwandfreier Spielraum, den die Behörde hat, Recht anzuwenden. Willkür ist hingegen rechtswidrig. Allerdings kann eine Behörde Ermessen auch falsch einsetzen, und auch in diesem Fall haben Sie Aussicht, juristisch im Recht zu sein.
Was bedeutet Ermessen?
Ermessen bezeichnet den Entscheidungsspielraum einer Behörde bei der Anwendung von Gesetzen. Damit sollen Behörden auf besondere Situationen und individuelle Umstände eingehen können, die sich nicht pauschal gesetzlich fassen lassen.
Ermessen einzusetzen kann zum einen bedeuten, dass eine Behörde eine bestimmte Entscheidung (wie Kürzung oder Gewährung von Leistungen) treffen kann, dies aber nicht muss. Gesetzliche Formulierungen lauten dann „darf“ oder „kann“.
Es kann auch bedeuten, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen, zum Beispiel bei der Höhe von Sanktionen oder der Höhe gewährter Leistungen.
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Grenzen des Ermessens
Ermessen ist immer begrenzt. Es gelten die gesetzlichen Bestimmungen ebenso wie Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit. Ermessensentscheidungen können vor Gericht daraufhin überprüft werden, ob sie rechtmäßig ausgeübt wurden, und ob kein falsches Ermessen oder Ermessensmissbrauch vorliegt.
Gegen eine Ermessensentscheidung des Jobcenters können Sie also nicht nur Widerspruch einlegen, sondern auch, wenn das Jobcenter diesen zurückweist, Klage vor dem Sozialgericht erheben. Oft stellen Sozialgerichte fest, dass Jobcenter Ermessen nicht korrekt einsetzten, zum Beispiel, weil sie den Einzelfall nicht prüften oder gesetzliche Bestimmungen ignorierten.
Freies Ermessen der Behörde
Freies Ermessen, auch als „Kann-Leistungen“ bezeichnet, öffnet der Behörde einen großen Handlungsspielraum – für Sie als Leistungsberechtigter im Negativen wie im Positiven. Wenn Voraussetzungen für eine bestimmte Leistung vorliegen, hat die Behörde nicht die Pflicht, diese auch zu gewähren.
Die Behörde darf die Leistung ebenso verweigern, wie unter Möglichkeiten wählen, wie sie die Leistung anerkennt.
Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Behörde zur Willkür berechtigt ist, also danach, nach „Lust und Laune“ zu handeln. Auch beim freien Ermessen muss die Behörde alle Gesichtspunkte berücksichtigen und diese richtig gewichten.
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Bescheid prüfenDie Ermessensentscheidung muss sachlich begründet sein und Ihre Grundrechte beachten. Sie muss die Fakten als Grundlage haben und nachvollziehbar sein. Der gesetzliche Rahmen muss gewahrt bleiben. Jede Ermessensentscheidung müssen die Verantwortlichen abwägen. Die Behörde muss also den Rahmen kennen, in dem sie handeln darf, und innerhalb dieses Rahmens die verschiedenen Faktoren gewichten.
Was bedeutet das für Sie?
Sie haben als Leistungsberechtigter bei Ermessen des Jobcenters kein einklagbares Recht darauf, dass die Behörde so entscheidet, wie Sie sich das wünschen. Sie können aber eine Entscheidung ohne Ermessensfehler verlangen und Klage erheben, wenn offensichtlich solche Fehler vorliegen.
Was deutet auf Ermessensfehler?
Hinweise auf Ermessensfehler könnten fehlende Punkte in einem Bescheid ebenso sein wie das (in Ihren Augen) falsche Gewichten einzelner Aspekte.
Klare Ermessensfehler liegen vor, wenn das Jobcenter eine Entscheidung trifft, ohne abzuwägen und ohne diese zu begründen.
Auch unsachliche Gründe sind Ermessensfehler. Klarer Missbrauch von Ermessen liegt vor, wenn Ihre Grundrechte verletzt werden, wenn die Behindertenrechtskonvention gebrochen wird, und wenn Sie diskriminiert werden.
Das gebundene Ermessen
Das gebundene Ermessen bezeichnet sogenannte Soll-Leistungen. Hier ist die Behörde verpflichtet, ohne Ermessen eine bestimmte Handlung auszuführen, also zum Beispiel eine Leistung zu gewähren. Es kann jedoch untypische Fälle geben, und in diesen Ausnahmen gelten dann wieder die Regeln des Ermessens.
Was ist Willkür?
Im Unterschied zum Ermessen ist Willkür eine Handlung oder Entscheidung, die gegen das Prinzip des Rechtsstaats verstößt und ohne sachlichen Grund erfolgt. Wenn ein Sachbearbeiter einen Antrag von Ihnen ablehnt, um sich Arbeit zu ersparen, dann ist das kein Ermessen, sondern Willkür.
Definitionstafel: Art des Ermessens
| Ermessensart | Gesetzlicher Wortlaut | Typischer Spielraum | Verpflichtung der Behörde |
| Freies Ermessen | „kann“, „darf“ | Ob und wie gehandelt wird |
Kein Anspruch; Behörde muss aber sachgemäß entscheiden
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| Gebundenes Ermessen(Soll-Leistung) | „soll“ | Grundsätzlich Bewilligung, Abweichung nur bei atypischer Konstellation | Anspruch, wenn kein Ausnahmefall vorliegt |
| Intendiertes Ermessen(Regel-Leistung) | „ist in der Regel…“ | Gesetz erwartet bestimmte Entscheidung, Abweichung nur ausnahmsweise |
Anspruch, wenn keine besonderen Umstände entgegenstehen
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Persönliche Vorlieben statt sachlicher Gründe
Wenn das Jobcenter Ihren Antrag ohne nachvollziehbare Begründung ablehnt, dann ist das vermutlich Willkür. Wenn ein Mitarbeiter Ihnen zu verstehen gibt, dass er Ihnen keine Stellen vermittelt, weil er Sie nicht leiden kann oder er Vorurteile hat (zum Beispiel gegenüber Ihrem Geschlecht, Ihrer sexuellen Ausrichtung, Ihrer Herkunft oder sonstigen persönlichen Merkmalen), dann ist das Willkür.
Willkür und Diskriminierung
Wenn ein Sachbearbeiter Sie zum Beispiel nicht in die Beschäftigung in einem Kindergarten vermitteln will, weil Sie lesbisch sind, dann handelt es sich nicht nur um Willkür, sondern auch um Diskriminierung.
Willkür ist rechtswidrig
Willkür verstößt gegen den Rechtsstaat und gegen das Gleichbehandlungsgebot. Willkürentscheidungen basieren auf persönlichen Vorlieben, sind sachlich nicht nachvollziehbar oder stehen sogar im Widerspruch zu bekannten Tatsachen. Sie können vor Gericht gegen willkürliche Entscheidungen vorgehen und durchsetzen, dass diese aufgehoben werden.
Willkür kann strafrechtliche Folgen haben
Abhängig von der jeweiligen Entscheidung besteht auch die Möglichkeit, gegen die Verantwortlichen strafrechtlich vorzugehen, zum Beispiel, wenn es sich um Beleidigung oder Verleumdung handelt.




