Nachdem die Sanktionen zunächst in Form eines Sanktionsmoratoriums ausgesetzt wurden, werden sie nun, wenn auch in abgeschwächter Form, im Rahmen des Bürgergeldes wieder angewendet. Doch wann genau können Leistungsberechtigte sanktioniert werden? Was ist, wenn die Leistungskürzungen zu Unrecht erfolgt sind?
Mehr als 30 Prozent Leistungsminderung verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteil vom 5. November 2019 entschieden, dass Sanktionen nicht mit der Verfassung (Art. 1 GG – Menschenwürde) vereinbar sind – jedenfalls dann nicht, wenn die Leistungskürzung mehr als 30 Prozent des persönlichen (damaligen) Hartz-IV-Regelsatzes beträgt – denn ein Existenzminimum muss grundsätzlich gedeckt sein.
Zudem müsse eine Sanktion ausgesetzt werden, wenn die Betroffenen signalisieren, dass sie den ihnen auferlegten Pflichten nachkommen werden. Dies gelte auch für junge Erwachsene unter 25 Jahren, denen bisher schon bei einer einzigen „Pflichtverletzung” die gesamte Geldleistung gestrichen wurde.
Die Politik reagierte auf das Urteil zunächst mit einem Sanktionsmoratorium, doch die Hoffnung, dass mit dem Bürgergeldgesetz die Sanktionen der Vergangenheit angehören und damit tatsächlich ein Systemwechsel eingeleitet wird, hat sich nicht erfüllt.
Statt Sanktionen: Leistungsminderungen
Die Sanktionstatbestände (Pflichtverletzungen und Meldeversäumnisse) wurden nicht verändert. Die Folgen von Pflichtverletzungen heißen jetzt nicht mehr Sanktionen, sondern Leistungskürzungen und wurden unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG abgesenkt und der Höhe nach begrenzt. (§ 31a + b SGB II)
Welche Sanktionsregeln gelten im Bürgergeld?
Ab sofort gelten folgende Neuregelungen bei den Leistungsminderungen im Bürgergeld:
- Bei Meldeversäumnissen wird die Leistung für einen Monat um 10 % des maßgebenden Regelsatzes gemindert, es sei denn, die Betroffenen haben einen „wichtigen Grund“ für ihr Fernbleiben.
- Eine verspätete Arbeitslosmeldung mit einer einwöchigen Sperrzeit durch die Arbeitsagentur wird wie ein Meldeversäumnis behandelt.
- Bei anderen Pflichtverletzungen beträgt die Minderung bei der ersten Pflichtverletzung 10 %, bei der zweiten 20 % und bei der dritten 30 % innerhalb eines Jahres.
- Eine weitere Pflichtverletzung liegt nur dann vor, wenn zuvor bereits eine Kürzung durch Sanktionsbescheid festgestellt wurde.
- die Bereitschaft zur Nachholung von Pflichten ist zu berücksichtigen (denn laut BVerfG muss eine Sanktion aufgehoben werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat)
- die Obergrenze bei mehreren Leistungskürzungen liegt bei 30 % des maßgeblichen Regelsatzes.
- die sich rechnerisch ergebenden Zahlbeträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung dürfen nicht durch eine Leistungskürzung gemindert werden; d.h. wer als Aufstocker nur Leistungen für die Kosten der Unterkunft erhält, kann nicht sanktioniert werden.
- keine Leistungskürzung, wenn diese im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde
Widerspruch bei rechtswidrigen Sanktionen
Werden Sanktionen verhängt, erhalten die Betroffenen einen Sanktionsbescheid. Wer sich gegen Leistungskürzungen wehren will, weil die Sanktionen zu Unrecht verhängt wurden, sollte nach Zustellung des Sanktionsbescheides Widerspruch einlegen.
Oft stehen die Chancen nicht schlecht, gegen die Leistungskürzung vorzugehen. Bereits die Rechtsbehelfsbelehrungen sind regelmäßig fehlerhaft. Sanktionen werden oft unverhältnismäßig spät verhängt oder die Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht auf den konkreten Einzelfall bezogen.
Checkliste, ob ein Widerspruch gegen Sanktionen sinnvoll ist
- Ist die Rechtsfolgenbelehrung des Ausgangsbescheides vorhanden und korrekt?
- Ist die Höhe der verhängten Sanktion verhältnismäßig?
- Ist die Rechtsmittelbelehrung des Sanktionsbescheides vorhanden und korrekt?
- Ist die Sanktion konkret, nachvollziehbar und ausreichend begründet?
- Liegt ein anderer Grund vor, der den Sanktionsbescheid ungültig macht?
Wenn eine oder mehrere Antworten mit “Nein” zu beantworten sind, kann sich ein Widerspruch gegen die Leistungskürzung lohnen.
Wurde die Leistungskürzung wegen eines versäumten Termins beim Jobcenter ausgesprochen und wurde bereits ein Anhörungsbogen verschickt, der mit einem gültigen Grund eingetragen wurde, ist der Leistungskürzungsbescheid höchstwahrscheinlich rechtswidrig.
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– Den Sanktionsbescheid online prüfen lassen
Wenn Widerspruch eingelegt wurde
Ein Widerspruch gegen einen Sanktionsbescheid hat keine aufschiebende Wirkung. Das Jobcenter leitet also trotz Widerspruch sofort die Leistungskürzung ein. Wird dem Widerspruch stattgegeben, werden die einbehaltenen Leistungen rückwirkend nachgezahlt.
Leider hat der Widerspruch gegen einen Sanktionsbescheid keine aufschiebende Wirkung. Während des Verfahrens erhalten Sie also nicht die vollen Leistungen. Die Sanktion bleibt bestehen. Das heißt, Sie erhalten nur den gekürzten Regelsatz.
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