Hartz IV: Zwangsverpflichtung von Selbstständigen

Lesedauer 3 Minuten

Wie kleine Selbstständige geschröpft, in den Bankrott getrieben und anschließend zwangsverpflichtet werden

04.11.2013

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezogen im Februar 2013 rund 127.000 Selbständige aufstockende Leistungen nach SGB II (Hartz IV) – und stetig werden es mehr. Zu den Spitzenreitern beim Pleitetrend zählen derzeit Gastronomie- und Kioskbetreiber. Was ist faul im Staate D… ? Die Bundesagentur für Arbeit erklärt das Phänomen so: Viele Selbständige rechnen ihre Zahlen klein, um nebenher Leistungen beim Jobcenter abstauben zu können. Autsch!

Da war ihr wohl vorübergehend die zweite Hälfte ihres Claims entfallen: "… und fordern", heißt es noch am Rattenschwanz – der ist allgemein als "Eingliederungsvereinbarung" bekannt. Weit treffender wäre aber die Bezeichnung "Eingliederungsforderung". Dabei soll es sich um einen Austauschvertrag handeln, in dem sich die Vertragsparteien (BA und Hilfesuchende/r) zu bestimmten gegenseitigen Leistungen verpflichten. Damit das reibungslos vonstatten geht, regelt das SGB II auch gleich die Verpflichtung zur verhandelbaren Übereinkunft – notfalls per Verwaltungsakt. Die BA hat eben nichts zu verschenken. Die Vereinbarung kann aber nur dann rechtswirksam zustande kommen, wenn Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II besteht. Fehlt die Hilfebedürftigkeit, fehlt es dem "Vertrag" an der nötigen Geschäftsgrundlage!

Zunächst muss also geprüft werden, ob überhaupt Hilfebedürftigkeit besteht. Wenn ja, folgt die Prüfung zum Umfang der gegebenen Hilfebedürftigkeit. Für beide Prüfungen gilt das selbe Berechnungsverfahren. Um der Methodik auf die Schliche zu kommen, muss man das Pferd von hinten aufzäumen:

Bei der Berechnung zum "Umfang der Hilfebedürftigkeit" (somit der Höhe des Leistungsanspruchs), werden beispielsweise: Beiträge zur Rentenversicherung, gezahlte Steuern und bestimmte Freibeträge vom Gewinn des Unternehmers abgesetzt. Der Abzug dieser Beträge führt zur Verminderung des Einkommens und somit zu einem höheren Leistungsanspruch. Das Verfahren soll erwerbstätige Leistungsempfänger (so genannte Aufstocker), in Abgrenzung zu den nicht erwerbstätigen Leistungsempfängern, begünstigen. Der Grundgedanke dient hierbei der Motivation.

Wendet man das selbe Berechnungsverfahren zur "Feststellung einer vorliegenden Hilfebedürftigkeit" an, führt die vermeintliche Begünstigung zum gegenteiligen Effekt: die gezahlten Steuern, die Pflichtbeiträge zur Rente, zur Kammer, zum Rundfunk, ja selbst die Freibeträge vermindern das Einkommen so weit, dass (allein auf dem Rechenweg) Hilfebedürftigkeit entsteht.

"Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann… ", so lautet § 9 SGB II.

Nicht: "… wer seinen Lebensunterhalt, sämtliche Steuern, Pflichtabgaben und -beiträge (und was sonst noch alles von ihm gefordert wird) nicht sichern kann…".

Folgerichtig, legt die BA bei der Ermittlung der Höhe des erforderlichen Lebensunterhalts, dann auch nur Beträge für den Regelbedarf (Essen, Kleidung etc.), sowie Unterkunft und Heizung zugrunde. Bemerkenswert ist, dass hierbei nicht einmal die Kosten für Strom gesondert zum Lebensunterhalt zählen. Wie kann es dann andererseits sein, dass unabwendbare Pflichtabgaben das Einkommen so weit vermindern, dass dadurch Hilfebedürftigkeit entsteht?

Was im Übrigen ein eklatanter Verstoß gegen unsere Abgabenordnung (AO) wäre. Das Leistungsfähigkeitsprinzip, als Fundamentalprinzip unserer AO, besagt: Jeder Bürger darf nur im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit belastet werden. Daraus resultiert: Pflichtabgaben können nicht zur Hilfebedürftigkeit führen!

Samt Hilfebedürftigkeit, bescheinigt die BA dann eigentlich nur eine vorliegende Rechtsverletzung, aus der sich folglich keine rechtlichen Ansprüche ableiten lassen.

Fragen wir: Cui bono?
Mit der verdrehten Anwendung des Rechts, soll ganz offensichtlich eine Anpassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, an die geforderte Leistungspflicht, erzwungen werden. Dabei ist die Eingliederungsvereinbarung lediglich das Druckmittel zu dem Zweck, die Leistungsquerulanten dazu zu bringen, ihre vermeintliche Hilfebedürftigkeit möglichst zügig zu verringern und zu überwinden. Bedenkt man, dass bestimmte Abgaben eines Unternehmers (z. B. die Umsatzsteuer und der Rentenpflichtbeitrag) automatisch steigen, wenn seine Betriebseinnahmen und/oder der -gewinn steigen, wird das Ganze zum Hamsterrad und regelrecht zur Perfidie. Der Unternehmer wird quasi dazu verpflichtet, seinen steigenden Abgaben hinterher zu arbeiten, sonst drohen Sanktionen in Form von Leistungsentzug und damit der Lebensgrundlage. Diese Form der Zwangsarbeit weist starke Parallelen zur amerikanischen "Häftlingswirtschaft" auf, in der der Häftling an sich das zentrale Wirtschaftsgut ist.

Ohne Rücksicht auf das Gesamteinkommen wird der kleinste Unternehmer, dem großen gleich gestellt. Das die Gleichstellung hinkt, beweist allein die Last zu den Sozialabgaben, die er zu beiden Teilen – dem des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers – zu tragen hat. Die Sozialversicherungen sollen ein Ausdruck "staatlicher Fürsorge" sein – so weit kann man das nachvollziehen. Wenn aber die Fürsorge zur Hilfebedürftigkeit führt, die zu der Verpflichtung führt ihre eigene Ursache zu beseitigen, ist das einfach nur grotesk. Dann muss sich der Gesetzgeber die Frage gefallen lassen: Wie viel Menschenrechtsverletzung kann sich ein Sozialstaat leisten?

Ein Tipp für alle, denen "nur" das Geld für die Kranken- und Pflegepflichtversicherung fehlt. Gemäß § 26 SGB II und § 12 Absatz 1c Satz 5 und 6 VAG, sind Zuschüsse zu den KV- und PV-Beiträgen nicht Bestandteil des Umfangs der Hilfebedürftigkeit und werden ausdrücklich, zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit, im notwendigen Umfang übernommen. Ergo: Keine Hilfebedürftigkeit – keine Eingliederungsvereinbarung! (Leserbeitrag)

Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de

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