Wahlrechtsausschluss behinderter Menschen verfassungswidrig

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Bundesverfassungsgericht kippt Regelungen im Bundeswahlgesetz

Mehr als 81.000 unter voller Betreuung stehende behinderte und psychisch kranke Menschen sind 2013 von der Teilnahme an der Bundestagswahl zu Unrecht ausgeschlossen worden. Der entsprechende Wahlrechtsausschluss im Bundeswahlgesetz verstรถรŸt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen das Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Donnerstag, 21. Februar 2019, verรถffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvC 62/14).

Nach dem Bundeswahlgesetz dรผrfen psychisch kranke und behinderte Menschen nicht wรคhlen gehen, wenn fรผr sie dauerhaft ein Berufsbetreuer bestellt wurde und dieser sich um alle rechtlichen Angelegenheiten kรผmmern muss. Auch schuldunfรคhige, im MaรŸregelvollzug untergebrachte psychisch kranke Straftรคter sind von der Wahl ausgeschlossen.

Wegen des gesetzlichen Wahlrechtsausschlusses konnten die acht betroffenen Beschwerdefรผhrer an der Bundestagswahl am 22. September 2013 nicht teilnehmen. Sie sahen damit den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das im Grundgesetz verankerte Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen verletzt.

Dies bestรคtigte nun auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 29. Januar 2019 und kippte die im Streit stehenden Regelungen zum Wahlrechtsausschluss. Nach Angaben des Gerichts konnten deshalb รผber 81.000 unter voller Betreuung stehende Menschen nicht an der Bundestagswahl 2013 teilnehmen.

Die Verfassungsrichter beanstandeten einen VerstoรŸ gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. So dรผrften behinderte Menschen, fรผr die dauerhaft ein Berufsbetreuer in allen Angelegenheiten bestellt wurde, nicht wรคhlen gehen. Haben dagegen gleichermaรŸen Betreuungsbedรผrftige per Vorsorge- oder Betreuervollmacht selbst eine Person โ€“ etwa einen Familienangehรถrigen – als Betreuer bestimmt, ist kein Berufsbetreuer mehr erforderlich. Das Gesetz sehe dann einen Wahlrechtsausschluss nicht vor. Einen gerechtfertigten Grund fรผr diese Ungleichbehandlung gebe es nicht.

Auch der Wahlrechtsausschluss von psychisch kranken, im MaรŸregelvollzug untergebrachten Straftรคtern stehe nicht im Einklang mit dem Grundgesetz, so die Verfassungsrichter. Die Betroffenen seien dort wegen โ€žSchuldunfรคhigkeit” und wegen der Gefahr fรผr die Allgemeinheit untergebracht. Die Krankheitsbilder, die eine Schuldunfรคhigkeit begrรผndeten, sagten aber nichts darรผber aus, ob jemand nicht fรคhig sei, wรคhlen zu kรถnnen.

Auch kรถnne von einer Unterbringung abgesehen werden, wenn โ€žvon dem Schuldunfรคhigen keine Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht”. In diesem Fall dรผrfte der Betroffene wรคhlen gehen. Dies sei mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nur zum Bundeswahlgesetz. Vergleichbare umstrittene Wahlrechtsausschlรผsse gibt es aber auch zur Europawahl, die im Mai ansteht.

โ€žEndlich dรผrfen wirklich alle erwachsenen deutschen Bรผrgerinnen und Bรผrger wรคhlen. Das ist ein groรŸartiger Erfolg fรผr Menschen mit Behinderung und fรผr unsere Demokratie”, sagte die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt. โ€žDie GroรŸe Koalition muss jetzt sofort handeln und sicherstellen, dass die betroffenen Menschen schon bei der Europawahl im Mai mit abstimmen kรถnnen”, forderte Johannes Magin, Vorsitzender des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP). fle