Volle Asylleistungen trotz passivem Widerstand gegen Abschiebung

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Verhindert ein Asylbewerber allein durch passiven Widerstand seine Abschiebung, hat er damit seine Aufenthaltsdauer in Deutschland noch nicht โ€žrechtsmissbrรคuchlichโ€œ selbst beeinflusst.

Nach einer Wartezeit von 18 Monaten in Deutschland kann der Flรผchtling daher die mit der Sozialhilfe vergleichbaren Analogleistungen beanspruchen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem am 6. Februar 2023, verรถffentlichten Urteil (Az.: L 8 AY 55/21). Gleiches gelte, wenn der Asylbewerber sich in ein offenes Kirchenasyl begeben hat, so die Celler Richter, die allerdings die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zulieรŸen.

Im konkreten Fall ging es um einen Asylbewerber aus dem Iran, der รผber Kroatien im Oktober 2015 nach Deutschland eingereist ist. Sein Asylantrag wurde als unzulรคssig abgelehnt, da Kroatien sich fรผr das Asylverfahren als zustรคndig erklรคrt hatte.

Am 25. Januar 2017 sollte der Mann รผber den Flughafen Kรถln/Bonn abgeschoben werden. Als die Vollzugsbeamten ihn in den Nachtstunden aus der Gemeinschaftsunterkunft abholen wollten, entgegnete der Flรผchtling verbal sehr aggressiv und fluchend, dass er nicht ausreisen werde. Als er dennoch zum Flughafen transportiert wurde, erklรคrte er gegenรผber der Bundespolizei, dass er nicht fliegen werde. Da kein Beschluss fรผr eine Zwangsanwendung vorlag, wurde die Abschiebung abgebrochen.

Kirchenasyl verhinderte Abschiebung

Kurz darauf suchte er Schutz vor einem erneuten Abschiebeversuch in einer evangelisch-lutherischen Stiftskirchengemeinde. Diese gewรคhrte ihm wegen attestierter psychischer Stรถrungen und Suizidgefahr ein sogenanntes offenes Kirchenasyl. Die zustรคndigen Behรถrden wurden รผber den Aufenthalt des Mannes informiert.

Nachdem die Frist fรผr die รœberstellung des Mannes nach Kroatien abgelaufen war, war Deutschland nun fรผr sein Asylverfahren zustรคndig. Er erhielt eine Duldung.

Beim Landkreis beantragte er schlieรŸlich hรถhere Asylbewerberleistungen auf Sozialhilfeniveau. Diese kรถnnen Flรผchtlinge nach einer Wartezeit von 18 Monaten beanspruchen, vorausgesetzt, sie haben die Dauer ihres Aufenthalt in Deutschland nicht selbst โ€žrechtsmissbrรคuchlichโ€œ beeinflusst. Bis August 2019 galt โ€“ wie im Streitfall โ€“ noch eine Wartezeit von 15 Monaten.

Der Landkreis lehnte den Antrag ab und gewรคhrte ab September 2017 nur monatlich 334 Euro an Asylbewerberleistungen und ab 2018 dann bis November 354 Euro. Davon wurden noch einmal 20 Euro pauschal fรผr die in der Gemeinschaftsunterkunft zur Verfรผgung gestellte Haushaltsenergie abgezogen.

Der Flรผchtling habe sich am Flughafen seine Abschiebung widersetzt, so dass er seinen Aufenthalt rechtsmissbrรคuchlich beeinflusst habe. Gleiches gelte fรผr das Kirchenasyl, mit dem sich der Mann ebenfalls der Abschiebung entzogen habe.

LSG Celle: Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbrรคuchlich beeinflusst

Doch das LSG sprach mit Urteil vom 3. November 2022 dem Klรคger hรถhere Sozialleistungen zu; von September bis Dezember 2017 jeweils 409 Euro sowie danach bis November 2018 416 Euro monatlich. Es sei aber nicht zu beanstanden, dass der Landkreis die Pauschale fรผr Haushaltsenergie abgezogen habe.

Der Aufenthalt in Deutschland habe der Klรคger mit seinem passiven Widerstand gegen die Abschiebung nicht rechtsmissbrรคuchlich beeinflusst. Allein passives Verhalten und die wahrheitsgemรครŸe Erklรคrung, nicht ausreisen zu wollen, sei nicht rechtsmissbrรคuchlich. Anders verhalte es sich bei einer aktiven Entziehen von der Abschiebung.

Auch das offene Kirchenasyl stelle keine rechtsmissbrรคuchliche Beeinflussung des Aufenthalts dar. Die Behรถrden hรคtten ja, anders als bei einem Untertauchen, gewusst, wo sich der Flรผchtling aufhรคlt. Sie hรคtten wegen des Kirchenasyls auf eine Abschiebung verzichtet. Dass das offene Kirchenasyl nicht โ€žrechtsmissbrรคuchlichโ€œ sei, habe mittlerweile auch das BSG am 24. Juni 2021 entschieden (Az.: B 7 AY 4/20 R; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). fle/mwo