Arbeitgeber dürfen ein Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen nur beenden, wenn das Integrationsamt zustimmt. Bleibt ein Widerspruch gegen diese behördliche Genehmigung ohne rechtskräftige Aufhebung, gilt die Zustimmung zunächst weiter. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil klargestellt.
Rechtliche Grundlage: Zustimmung des Integrationsamts
Schwerbehinderte oder Gleichgestellte haben besonderen Kündigungsschutz. Nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs IX (SGB IX) muss ein Arbeitgeber vor einer Kündigung die Genehmigung des Integrationsamts beantragen. Verweigert das Amt diese Zustimmung oder holt ein Arbeitgeber sie nicht rechtzeitig ein, ist die Kündigung unwirksam.
- Wichtige Frist: Wer fristlos kündigen möchte, muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des wichtigen Kündigungsgrundes den Antrag auf Zustimmung stellen.
- Behördliche Reaktionszeit: Das Integrationsamt entscheidet üblicherweise innerhalb von zwei Wochen. Versäumt es diese Frist, gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt.
Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass eine außerordentliche Kündigung rasch ausgesprochen werden soll, wenn sich ein gravierender Vorfall ereignet. Für Personen mit Behinderungen gilt aber auch hier ein besonderer Schutz, weil solche Kündigungen stets mit einer neutralen behördlichen Stelle abgewogen werden müssen.
Hintergrund: Was passiert bei einem Widerspruch gegen die Zustimmung?
Da die Zustimmung zur Kündigung ein Verwaltungsakt ist, kann die betroffene Person Widerspruch einlegen oder später sogar eine Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben. Anders als bei manch anderen Verwaltungsakten hat dieser Widerspruch keine aufschiebende Wirkung.
Praktisch bedeutet das: Selbst wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer die behördliche Entscheidung anficht, darf der Arbeitgeber die bereits erteilte Zustimmung weiter als Kündigungsgrundlage nutzen.
Diese Situation führt oft zu Verunsicherung: Viele Beschäftigte denken, die Kündigung setze sich aus, sobald sie gegen die Zustimmung des Integrationsamts vorgehen. Doch das Gesetz stellt klar, dass ein Widerspruch die Wirksamkeit der bereits erteilten Zustimmung erst dann beendet, wenn die Entscheidung rechtskräftig aufgehoben wird.
Der aktuelle Fall: Angestellte mit GdB 30
Im konkreten Streitfall ging es um eine langjährig beschäftigte Polizistin. Sie galt wegen eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 als schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und war dementsprechend ordentlich unkündbar. Ihr Dienstherr warf ihr über längere Zeit verschiedene Pflichtverstöße vor. Mehrere Abmahnungen blieben ohne spürbare Verhaltensänderung.
Wegen neuer Vorfälle sollte eine außerordentliche Kündigung erfolgen. Das Amt für Schwerbehindertenangelegenheiten erhielt den Antrag des Dienstherrn auf Zustimmung. Dabei waren wichtige Fristen zu beachten:
- Der Antrag war binnen zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes zu stellen.
- Das Integrationsamt musste ebenfalls innerhalb von zwei Wochen reagieren.
Die Behörde teilte jedoch erst nach Ablauf dieser behördlichen Frist mit, dass die Zustimmung als erteilt gelte. Daraufhin sprach der Dienstherr zwei verschiedene Formen außerordentlicher Kündigung aus (fristlos und hilfsweise mit Auslauffrist).
Die betroffene Polizistin erhob umgehend Kündigungsschutzklage. Parallel legte sie Widerspruch beim Integrationsamt gegen die Zustimmung ein. Einige Monate später kassierte das Integrationsamt seine eigene Entscheidung und erklärte, dass es die Zustimmung doch verweigere. Damit stand im Raum, ob die bereits ausgesprochenen Kündigungen wirksam seien.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Die Vorinstanzen gaben zunächst der Polizistin recht. Doch das BAG urteilte anders (Az. 2 AZR 193/21) und stellte klar: Eine Zustimmung – egal ob ausdrücklich oder durch Fristablauf fingiert – bleibt bestehen, solange sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist.
Ein späterer Abhilfebescheid, der die erteilte Genehmigung zurücknimmt, entfaltet erst Wirkung, wenn er endgültig nicht mehr angefochten werden kann.
Daraus folgt: Eine Kündigung, die der Arbeitgeber in gutem Glauben auf eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts stützt, bleibt vorerst bestehen. Das verwaltungsrechtliche Verfahren hat keine aufschiebende Wirkung. Wird die Zustimmung erst nachträglich rechtskräftig kassiert, können Beschäftigte notfalls ein gesondertes Verfahren (Restitutionsklage) anstrengen, um ein arbeitsgerichtliches Urteil zugunsten des Arbeitgebers zu revidieren.
Praktische Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Arbeitgeber
Sie sollten strikt auf die Antrags- und Entscheidungsfristen achten. Nur so sichern Sie sich das Recht, kurzfristig eine außerordentliche Kündigung auszusprechen.
Achten Sie darauf, dass die Zustimmung tatsächlich ergeht oder durch Fristablauf als erteilt gilt. Sprechen Sie die Kündigung erst danach aus.
Bleibt die Zustimmung bestehen, wirkt ein späterer Widerspruch des Arbeitnehmers zunächst nicht hemmend.
Arbeitnehmer
- Lassen Sie Kündigungen prüfen, insbesondere wenn eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung vorliegt.
- Reichen Sie rechtzeitig Widerspruch ein, wenn das Integrationsamt zugestimmt hat. Auch wenn dies die Kündigung nicht sofort stoppt, kann sich bei endgültiger Aufhebung der Zustimmung ein späterer Vorteil ergeben.
- Nutzen Sie die Option, das Urteil des Arbeitsgerichts nachträglich anzufechten, wenn das Verwaltungsgericht die Zustimmung später rechtskräftig kassiert.
Weiterführende Hinweise
Forscher im Bereich Arbeitsrecht sprechen häufig von einer „gewichtigen Schutzfunktion“ dieser Genehmigungsanforderung. Der Gesetzgeber will sicherstellen, dass schwerbehinderte Menschen nicht wegen ihrer Einschränkung ins Visier geraten. Gleichzeitig erlaubt die Fiktionswirkung dem Arbeitgeber, bei gravierenden Pflichtverletzungen schnell zu handeln.
Betroffene sollten auch wissen, dass eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig ist. Dieses Zusammenspiel zwischen Arbeitsgericht und Verwaltungsinstanz fordert eine koordinierte Rechtsverfolgung: Arbeitnehmer, die sich gegen eine Kündigung wehren wollen, müssen sowohl arbeitsrechtlich als auch verwaltungsrechtlich aktiv werden.
Verzögert sich die Entscheidung des Integrationsamts oder hebt es seine eigene Zustimmung plötzlich auf, entsteht Rechtsunsicherheit. Das BAG-Urteil liefert eine klare Linie: Solange es keine rechtskräftige Aufhebung gibt, bleibt die Genehmigung wirksam. Geschieht das erst nachträglich, eröffnet eine spezielle Restitutionsklage den Weg zu einer nachträglichen Korrektur des arbeitsgerichtlichen Urteils.