Eine verbeamtete Lehrerin des Landes Niedersachsen beantragte Altersteilzeit zu Beginn des neuen Schuljahrs, obwohl sie das 59. Lebensjahr erst in drei Jahren erreichen würde. § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Niedersächsischen Altersteilzeitverordnung (NAltTZVO) erlaubt den Schritt bereits ab 55 Jahren, sofern eine Schwerbehinderung mit mindestens 50 GdB vorliegt.
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Dienstherr lehnt den Altersteilzeitantrag mangels GdB 50 ab
Zum Antragstermin besaß die Lehrerin nur einen Bescheid über GdB 40. Das Kultusministerium lehnte deshalb ab und verwies darauf, entscheidend sei der am Stichtag nachgewiesene Grad der Behinderung.
Widerspruchsverfahren erhöht den Grad der Behinderung auf 50
Zeitgleich lief jedoch ein Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid. Neue Gutachten bestätigten schließlich einen GdB 50, den das Landesamt für Soziales rückwirkend auf den Tag des Widerspruchs anerkannte. Dennoch beharrte das Ministerium auf seiner Ablehnung mit der Begründung, die Schwerbehinderteneigenschaft sei „nicht rechtzeitig“ nachgewiesen worden.
Verwaltungsgericht Oldenburg: Klage der Lehrerin erfolgreich
Die Lehrerin klagte. Das Verwaltungsgericht Oldenburg stellte in seinem Urteil vom 29. März 2012 klar, dass die Schwerbehinderteneigenschaft nach § 69 Abs. 1 SGB IX a. F. (heute § 152 SGB IX) auf den Antragstag zurückwirkt. Damit lagen die Voraussetzungen des § 2 NAltTZVO bereits bei Antragstellung vor.
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Ermessensreduzierung auf Null: Ablehnung war rechtswidrig
Das Gericht betonte, dass der Dienstherr sein Ermessen nur innerhalb gesetzlicher Grenzen ausüben darf. Da keine überwiegenden dienstlichen Gründe gegen die Freistellung vorgetragen wurden, reduzierte sich das Ermessen auf Null. Folglich musste Altersteilzeit bewilligt werden.
Organisatorische Hürden rechtfertigen keine Ablehnung
Stundenplanänderungen, Nachberechnungen der Besoldung oder Vertretungslösungen seien typische Verwaltungsvorgänge und könnten den Rechtsanspruch schwerbehinderter Beamter nicht aushebeln.
Was bedeutet das Urteil für schwerbehinderte Beamte?
Frühzeitig Antrag stellen: Läuft ein GdB-Feststellungsverfahren, lohnt ein vorsorglicher Altersteilzeitantrag.
Rückwirkung nutzen: Wird GdB 50 später rückwirkend bestätigt, kann die Bewilligung ebenfalls rückwirkend verlangt werden.
Rechtsmittel prüfen: Bei Ablehnung trotz laufender Feststellung helfen Widerspruch und notfalls Klage, wie das Oldenburger Urteil zeigt.
Pflicht des Dienstherrn: Offene Feststellungsverfahren beachten
Behörden müssen schwebende Schwerbehindertenverfahren bei ihrer Entscheidung berücksichtigen und Bescheide nachträglich anpassen, sobald ein höherer GdB rückwirkend feststeht. Ein reines Festhalten am Datum des Erstbescheids genügt nicht.
Bundesweite Signalwirkung für Altersteilzeit und Schwerbehinderung
Obwohl die NAltTZVO nur in Niedersachsen gilt, lassen sich die Kernaussagen – Rückwirkung der Schwerbehinderteneigenschaft und Ermessensreduzierung – auf ähnliche Altersteilzeitregelungen in allen Bundesländern übertragen.
Urteil stärkt Rechte schwerbehinderter Beamter
Das VG Oldenburg verhindert, dass langwierige Gutachten und Verwaltungsabläufe zulasten Betroffener gehen. Wer eine Schwerbehinderung rückwirkend anerkannt bekommt, kann sich auf einen vollwertigen, sofort durchsetzbaren Anspruch auf Altersteilzeit berufen. Dienstherren sind gut beraten, schwebende Feststellungsverfahren proaktiv in ihre Personalentscheidungen einzubeziehen – sonst drohen Rückabwicklungen und Gerichtsverfahren.