Schwerbehinderung: Gericht verweigert unbefristeten Schwerbehindertenausweis trotz GdB von 80

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Ein 52-jähriger Mann mit chronischen psychischen Erkrankungen hat vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg auf einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis geklagt und ist gescheitert. Obwohl ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt wurde, urteilten die Richter:

Die Befristung des Ausweises bleibt rechtens. Das Urteil macht deutlich, dass selbst bei schweren Leiden eine dauerhafte Gültigkeit des Ausweises kein Automatismus ist. (AZ: L 8 SB 3490/23)

Der Fall im Überblick

Der Kläger, ein gelernter Bäcker, leidet seit Jahren unter einer Vielzahl psychischer Erkrankungen – darunter eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie eine rezidivierende Depression. Auf Basis dieser Diagnosen wurde ihm bereits 2021 ein GdB von 80 zuerkannt.

Allerdings erhielt er nur einen befristeten Schwerbehindertenausweis – gültig bis zum 31. August 2026. Die Begründung der Behörde: Eine zukünftige Verbesserung seines Gesundheitszustands sei nicht vollständig auszuschließen. Eine sogenannte Nachprüfung wurde bereits für 2026 vorgesehen.

Der Mann wollte das nicht hinnehmen. Für ihn sei die ständige Antragstellung mit erheblichen Belastungen verbunden – insbesondere wegen seiner psychischen Einschränkungen. Auch seine Ärzte und Therapeuten erklärten, dass keine signifikante Besserung mehr zu erwarten sei. Dennoch entschied das Land Baden-Württemberg: Die Befristung bleibt bestehen.

Was das Gericht entschieden hat – und warum

Das Landessozialgericht (LSG) hob zwar den ursprünglichen Ablehnungsbescheid des Landratsamts auf – aber nur aus formalen Gründen. Der eigentliche Wunsch des Klägers, einen unbefristeten Ausweis zu bekommen, wurde abgelehnt.

Die Begründung:

  • Rechtlich ist die Befristung der Regelfall, wie es sowohl im Sozialgesetzbuch als auch in der Ausweisverordnung vorgesehen ist.
  • Ein unbefristeter Ausweis darf nur in „atypischen Fällen“ ausgestellt werden – also wenn eine wesentliche Besserung der Gesundheit wirklich ausgeschlossen ist.
  • Beim Kläger sah das Gericht genau das nicht gegeben. Auch wenn Fortschritte nur langsam erfolgen, seien sie grundsätzlich möglich – etwa durch Therapie, Medikamente oder soziale Unterstützung.

Das Gericht wies auch darauf hin, dass ein GdB von 80 allein keinen Anspruch auf einen unbefristeten Ausweis begründet. Entscheidend sei, ob sich der Gesundheitszustand künftig verändern könnte – und genau das sei hier nicht auszuschließen.

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Die Sicht des Klägers

Der Kläger führte an, dass ihn der Gedanke an eine künftige Neubeantragung des Ausweises erheblich belastet. Wegen seiner psychischen Erkrankung sei bereits das Erledigen einfacher Aufgaben wie das Ausfüllen von Formularen oder das Erstellen eines Passfotos eine Hürde.

Seine Therapeuten bestätigten mehrfach, dass die Erkrankungen chronisch und schwer seien und sich voraussichtlich nicht mehr verbessern würden. Dennoch folgte das Gericht dieser Einschätzung nur teilweise. Entscheidend war aus Sicht der Richter nicht, ob die Krankheit bleibt – sondern, ob sie sich so weit stabilisieren könnte, dass sich der Grad der Behinderung reduziert. Das wurde nicht ausgeschlossen.

Was bedeutet das für Betroffene?

Für viele Menschen mit Behinderung ist das Urteil ernüchternd. Es zeigt:
Ein hoher GdB oder eine chronische Diagnose führen nicht automatisch zur Ausstellung eines unbefristeten Ausweises.

Stattdessen gilt:

  • Die Ausweise werden grundsätzlich auf maximal fünf Jahre befristet (§ 6 Abs. 2 SchwbAwV).
  • Nur wenn mit hoher Sicherheit keine Änderung der gesundheitlichen Situation zu erwarten ist, kann ein unbefristeter Ausweis erteilt werden.
  • Psychische Erkrankungen gelten dabei als besonders unberechenbar – auch wenn sie viele Jahre bestehen.
  • Ein „atypischer Fall“, der eine Ausnahme rechtfertigt, liegt nur bei außergewöhnlicher Belastung durch die Antragspflicht vor. Diese sah das Gericht hier nicht.

Behördliche Spielräume und ihre Grenzen

Das Urteil verdeutlicht auch, wie eng der Ermessensspielraum der Behörden in solchen Fällen ist. Zwar dürfen sie in „atypischen“ Situationen Ausnahmen machen – müssen das aber nicht.

Im vorliegenden Fall hatte das Landratsamt den Antrag des Klägers zunächst formlos abgelehnt. Erst nach Aufforderung durch die Anwältin des Klägers erließ die Behörde einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Dieser wurde nun zwar wegen formeller Mängel vom Gericht kassiert – inhaltlich aber gestützt.

Die Richter machten deutlich: Selbst, wenn sich jemand aus psychischen Gründen nicht regelmäßig um Anträge kümmern kann, sei das noch kein ausreichender Grund, um von der gesetzlichen Befristung abzuweichen. Eine relevante Verschlechterung der Belastung gegenüber anderen Betroffenen müsse deutlich erkennbar sein. Das war hier nicht der Fall.

Ausblick: Was Betroffene tun können

Trotz des Urteils gibt es Möglichkeiten, den bürokratischen Aufwand bei Schwerbehindertenausweisen zu verringern:

  • Frühzeitige Nachweise sammeln, die eine dauerhafte Beeinträchtigung stützen (z. B. medizinische Gutachten).
  • Begründung für atypische Belastung klar und nachvollziehbar darlegen – idealerweise durch Stellungnahmen von Therapeuten.
  • Rechtsberatung nutzen, um Anträge oder Widersprüche zielgerichtet zu formulieren.
  • Regelmäßige Rücksprache mit Behandlern, um potenzielle Änderungen im Gesundheitszustand rechtzeitig zu dokumentieren.

Und: Auch befristete Ausweise haben keine negativen Auswirkungen auf die tatsächliche Anerkennung der Behinderung. Wer einmal einen GdB von 80 festgestellt bekommen hat, verliert diesen nicht automatisch nach Ablauf der Ausweisfrist. Eine Änderung kann nur durch ein neues Prüfverfahren erfolgen – und muss sachlich begründet sein.