Leistungsberechtigte sind nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I verpflichtet, dem Jobcenter alle leistungsrelevanten Tatsachen mitzuteilen – dazu gehören auch Angaben zu privaten Darlehen, die das verfügbare Einkommen beeinflussen können. Kommt eine Person dieser Mitwirkung nicht nach, kann (nicht „muss“!) das Jobcenter gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I die Leistung bis zur Nachholung ganz oder teilweise versagen.
Das Wort “kann” zeigt: Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung. Bei dieser Prüfung muss das Jobcenter insbesondere klären, welche Angaben fehlen, ob diese Angaben für die Leistungsberechnung entscheidend sind, ob eine Teilversagung ausreichen würde, um die Mitwirkung zu erreichen, und welche Folgen eine vollständige Versagung für den Lebensunterhalt hat. Werden diese Punkte nicht nachvollziehbar abgewogen oder dokumentiert, ist der Bescheid rechtswidrig.
Inhaltsverzeichnis
Das Urteil des LSG Hamburg (Az. L 4 AS 269/18)
Im entschiedenen Fall fehlten ausschließlich Auskünfte über ein Darlehen; sämtliche anderen Unterlagen lagen vor oder hätten durch das Jobcenter selbst beschafft werden können (z. B. Rentenauskunft). Trotzdem wurden die Leistungen vollständig verweigert. Das Gericht hob den Bescheid auf, weil:
- Ermessensnichtgebrauch – Vollversagung ohne jede Abwägung.
- Abwägungsdefizit – finanzielle Interessen des Klägers blieben unberücksichtigt.
- Formelhafte Begründung – Standardsätze wie „Gleichbehandlung“ und „Sparsamkeit“ ohne Einzelfallbezug.
- Unrichtiger Sachverhalt – pauschale Behauptung fehlender Mitwirkung, obwohl nur Darlehensdaten offenstanden.
Weitere Rechtsprechung: LSG NRW (Az. L 2 AS 1918/21 B)
Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen stellte klar: Versagungsbescheide sind aufzuheben, wenn das Jobcenter eine Teilversagung gar nicht prüft. Eine vollständige Streichung der Leistung ist nur zulässig, wenn die fehlenden Angaben so fundamental sind, dass selbst eine vorläufige Berechnung unmöglich ist – das ist selten der Fall.
Typische Ermessensfehler im Detail
Fehlerart | Beschreibung & Folgen |
Ermessensmissbrauch | Sachfremdes Motiv (z. B. Abschreckung) → Bescheid rechtswidrig |
Abwägungsdisproportionalität | Relevante Punkte falsch gewichtet → Bescheid aufheben/ändern |
Formelhafte Wendungen | Nur Textbausteine, keine Einzelfallprüfung → Verstoß gegen Begründungspflicht (§ 35 VwVfG) |
Ermessensunterschreitung | Behörde prüft keine Alternativen → Entscheidung fehlerhaft |
Ermessensnichtgebrauch | Vollversagung ohne Abwägung → Bescheid muss aufgehoben werden |
Was gilt bei „subjektiver Unmöglichkeit“?
Der Bürgergeld-Experte Detlef Brock betont: Verlangt das Jobcenter Unterlagen, deren Beschaffung für die betroffene Person subjektiv unmöglich ist, entfällt die Mitwirkungspflicht. Eine Versagung in solchen Fällen ist immer rechtswidrig (vgl. gegen-hartz.de, Abruf 06.08.2025).
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Bescheid prüfenVorgehensweise bei Versagungsbescheiden
- Fristgerechter Widerspruch (innerhalb eines Monats).
- Akteneinsicht verlangen, um die tatsächliche Sachlage zu prüfen.
- Fehlende Unterlagen nachreichen, sofern beschaffbar.
- Einstweiliger Rechtsschutz (§ 86b SGG) beim Sozialgericht beantragen, wenn der Lebensunterhalt gefährdet ist.
- Beratung durch Sozialberatungsstellen oder Fachanwält\innen nutzen.
Tipp: Reagiert das Jobcenter drei Monate lang nicht, ist eine Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) möglich.
Häufige Fehlerquellen in der Praxis
- Unvollständig ausgefüllte Ermittlungsbögen.
- Fehlendes Bewusstsein, dass § 66 SGB I keinen Automatismus darstellt.
- Zeitdruck und standardisierte Textbausteine ohne Fallprüfung.
Diese Versäumnisse ließen sich durch bessere Schulungen und sorgfältigere Aktenarbeit vermeiden. Eine fundierte Ermessensausübung spart allen Beteiligten Zeit, Geld und Nerven.
Fazit
Versagung nur bei echter Mitwirkungsverletzung: Fehlt lediglich eine Angabe (z. B. zu einem Darlehen), ist eine Komplettversagung unverhältnismäßig.
Ermessensprüfung dokumentieren: Das Jobcenter muss nachvollziehbar darlegen, warum es sich für Voll- oder Teilversagung entschieden hat.
Bescheide mit Standardfloskeln sind angreifbar: Sie verletzen die Begründungspflicht und offenbaren oftmals einen Ermessensfehler.
Betroffene sollten aktiv werden: Widerspruch und einstweiliger Rechtsschutz sichern den Lebensunterhalt – häufig endet das Verfahren mit der Aufhebung des Versagungsbescheids.
Kurzum: Wenn das Jobcenter ohne gründliche Ermessensprüfung Leistungen streicht, stehen die Chancen gut, den Bescheid erfolgreich anzufechten.