Schwerbehinderung: Selten Recht auf unbefristeten Schwerbehindertenausweis – Urteil

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Schwerbehindertenausweise werden in Deutschland grundsรคtzlich nur fรผr eine begrenzte Laufzeit ausgestellt. Das Thรผringer Landessozialgericht (LSG) bestรคtigte diese Praxis in einer Entscheidung (Az. L 5 SB 1259/19) und wies die Klage eines gehรถrlosen Mannes ab, der seinen Ausweis unbefristet haben wollte.

Der Klรคger hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und muss seit Jahren alle fรผnf Jahre eine Neuausstellung beantragen. Die Erfurter Richterinnen und Richter sahen dafรผr keine Alternative: Das geltende Recht lasse keinen einklagbaren Anspruch auf eine unbefristete Gรผltigkeit zu.

โ€žSollโ€œ-Befristung in ยง 152 SGB IX

Die Rechtsgrundlage findet sich im Neunten Buch Sozialgesetzbuch. Dort heiรŸt es eindeutig: โ€žDie Gรผltigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werdenโ€œ (ยง 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX). Mit dieser Soll-Vorschrift legt der Gesetzgeber den Regelfall fest; nur in atypischen Ausnahmefรคllen darf die Verwaltung davon abweichen.

Ausnahmeregel des ยง 6 SchwbAwV

Viele Betroffene verweisen auf ยง 6 Abs. 2 Satz 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung. Dort steht, der Ausweis kann unbefristet ausgestellt werden, wenn keine wesentliche gesundheitliche Verรคnderung zu erwarten ist.

Das LSG machte jedoch deutlich, dass diese ร–ffnungsklausel keinen Rechtsanspruch begrรผndet, sondern nur einen behรถrdlichen Ermessensspielraum erรถffnet, der bei โ€žatypischenโ€œ Fรคllen genutzt werden kann, aber nicht muss.

Warum der konkrete Fall kein โ€žatypischerโ€œ ist

Der Klรคger argumentierte, seine Taubheit sei irreversibel, ein weiterer Nachweis damit entbehrlich. Das Gericht hielt dagegen: Auch bei dauerhaften Behinderungen ermรถgliche die regelmรครŸige Verlรคngerung, aktuelle Daten aufzunehmen, technische Sicherheitsmerkmale anzupassen und Nachteilsausgleiche zu prรผfen.

Die Belastung fรผr Betroffene โ€“ Passfoto, Antrag, Postweg โ€“ sei รผberschaubar und stehe dem รถffentlichen Interesse an verlรคsslichen Dokumenten gegenรผber.

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Bestรคtigung durch weitere Rechtsprechung

Das LSG-Urteil reiht sich in eine Serie gleichlautender Entscheidungen ein. So hat das Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg im Februar 2022 betont, dass selbst eine unbefristete GdB-Feststellung allein keinen unbefristeten Ausweis nach sich zieht (Az. L 8 SB 2527/21).

Auf hรถchstrichterlicher Ebene wies das Bundessozialgericht im April 2024 eine Nichtzulassungsbeschwerde zurรผck. Es stellte klar, dass der Ausweis eine รถffentliche Urkunde und kein Verwaltungsakt ist; ein Anspruch auf Entfristung bestehe nicht (Az. B 9 SB 29/23 B).

Praktische Folgen fรผr Menschen mit Schwerbehinderung

Fรผr Betroffene bedeutet die Entscheidung vor allem Planungssicherheit: Spรคtestens alle fรผnf Jahre muss die Karte erneuert werden, unabhรคngig davon, ob der Gesundheitszustand als dauerhaft gilt.

Die Feststellung des GdB bleibt davon unberรผhrt; nur das Ausweisdokument lรคuft ab. Wer den Ausweis benรถtigt, sollte etwa drei Monate vor Fristablauf einen Verlรคngerungsantrag stellen, damit Nachteilsausgleiche โ€“ vom Steuerfreibetrag bis zur Parkerleichterung โ€“ lรผckenlos nachgewiesen werden kรถnnen.

Verwaltungspraxis und regionale Unterschiede

Einige Kommunen stellen bei augenscheinlich dauerhaften Behinderungen dennoch unbefristete Ausweise aus. Das LSG stellt klar, dass sich daraus kein Anspruch ableiten lรคsst.

Die Ungleichheit in der Praxis mag als stรถrend empfunden werden, รคndert rechtlich jedoch nichts: Die Ermessensentscheidung bleibt รถrtlich verschieden, weil die Soll-Befristung nur selten vom Regelfall abweichen lรคsst.

Reaktionen von Verbรคnden und Politik

Behinderten- und Sozialverbรคnde wie der VdK verweisen seit Jahren auf den zusรคtzlichen Verwaltungsaufwand fรผr Menschen mit irreversiblen Behinderungen.

In Stellungnahmen zum โ€žGesetz zur Fรถrderung eines inklusiven Arbeitsmarktsโ€œ ย wurde erneut gefordert, die Ermessenspraxis zu vereinheitlichen.

Bisher blieb es bei Prรผfauftrรคgen. Eine gesetzliche Lockerung zeichnet sich derzeit nicht ab, das Verfahren bleibt Aufgabe der Lรคnderbehรถrden.

Perspektive: Digitalisierung kรถnnte Entlastung bringen

Experten halten es fรผr realistischer, die Belastung durch digitale Verlรคngerungsverfahren zu reduzieren, anstatt das Befristungsprinzip grundsรคtzlich abzuschaffen.

Seit 2024 kรถnnen in mehreren Bundeslรคndern Ausweise online verlรคngert werden; Passbilder lassen sich hochladen, und die Karte wird per Post zugestellt. Ob dieses Angebot bis 2030 bundesweit flรคchendeckend zur Verfรผgung steht, hรคngt von technischen Standards und Finanzierungsfragen ab โ€“ eine politische Entscheidung, die noch aussteht.

Fazit

Mit seiner Entscheidung hat das Thรผringer LSG die Linie der hรถchstrichterlichen Rechtsprechung bestรคtigt: Der schwerbehinderte Mensch hat zwar einen klaren Anspruch auf Ausstellung des Ausweises, doch dieser Anspruch umfasst nicht dessen unbefristete Gรผltigkeit.

Befristung bleibt der Regelfall, Ausnahmen bleiben selten und durch die Verwaltung zu begrรผnden. Wer seinen Ausweis verlรคngern muss, sollte frรผhzeitig tรคtig werden โ€“ die Rechtslage lรคsst derzeit keinen anderen Weg zu.