Arbeitgeber müssen nicht nur die Arbeitsbedingungen für Menschen mit Schwerbehinderungen anpassen, sondern auch die von Eltern, die ihre behinderten Kinder versorgen. Dies gilt, wenn eine solche Anpassung für den Arbeitgeber zumutbar ist. Das entschied der Europäische Gerichtshof.
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Mitdiskriminierung der Eltern
Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot liegt auch dann vor, wenn Arbeitgeber Eltern behinderter Kinder nicht durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeit die notwendige Betreuung der Kinder ermöglichen. Dies erklärte der Europäische Gerichtshof im September dieses Jahres (C 38/24)
Mutter braucht feste Arbeitszeiten für die Betreuung Ihres Sohnes
Der Entscheidung lag die Klage einer Mutter aus Italien zugrunde. Diese arbeitet als Stationsaufsicht und kümmert sich um ihren schwerbehinderten Sohn. Sie bat ihren Arbeitgeber wiederholt, ihr eine Arbeit mit festen Arbeitszeiten zu ermöglichen.
Dies begründete sie damit, eine feste Struktur zu benötigen, um ihren Sohn zu betreuen. Der Arbeitgeber passte die Arbeitszeiten nur vorübergehend an, lehnte es jedoch ab, dies dauerhaft zu ermöglichen.
Der Fall geht vor den Europäischen Gerichtshof
Die Klage ging erst einmal durch sämtliche Instanzen der italienischen Gerichte. Das oberste Gericht in Italien hielt die Frage dann für so wichtig, dass es den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegte. Dieser sollte vorab darüber entscheiden, ob hier eine mögliche Diskriminierung vorliegt.
Warum sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden?
An den Europäischen Gerichtshof kam der Fall, weil es sich hier um eine knifflige und grundsätzliche Rechtsfrage handelt. Das Diskriminierungsverbot (am Arbeitsplatz) bezieht sich nämlich auf Menschen mit Schwerbehinderung. Diese haben Anspruch auf bestimmte Nachteilsausgleiche, um eine Diskriminierung aufgrund der Behinderung zu verhindern.
Zu diesen Nachteilsausgleichen gehören eine den Einschränkungen angepasste Gestaltung des Arbeitsplatzes und unter Umständen auch der Arbeitszeiten.
Die juristische Frage war jetzt, ob dieser Anspruch auf besondere Rücksichtnahme am Arbeitsplatz nur für Menschen mit Schwerbehinderung selbst gilt oder auch für Angehörige, die Menschen mit Schwerbehinderung versorgen.
Auch Mitdiskriminierung bedeutet Diskriminierung
Die Richter am Europäischen Gerichtshof entschieden eindeutig, dass auch eine „Mitdiskriminierung“ betroffener Elternteile unter das Diskriminierungsverbot fällt.
Eine solche Diskriminierung liege vor, wenn ein Arbeitgeber die besonderen Bedürfnisse von Eltern behinderter Kinder nicht berücksichtige, obwohl ihm dies möglich sei.
Der Arbeitgeber ist in der Pflicht
Vielmehr sei der Arbeitgeber in der Pflicht, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, damit Arbeitnehmer ihre behinderten Kinder so unterstützen könnten, wie dies erforderlich sei. Der Arbeitgeber dürfe dies nur verweigern, wenn es unverhältnismäßig sei, ihm also eine entsprechende Anpassung nicht zugemutet werden könne
Was bedeutet das für den konkreten Fall?
Der Europäische Gerichtshof hat damit kein abschließendes Urteil über den konkreten Fall getroffene, sondern die Rechtsgrundlage für ein solches Urteil geklärt. Die Richter in Italien müssen jetzt also bewerten, ob eine dauerhafte Anpassung der Arbeitszeiten der Beschäftigten den Arbeitgeber unverhältnismäßig belastet, oder ob er verpflichtet ist, diese zu gewährleisten.
Was bedeutet dieses Urteil grundsätzlich für betroffene Eltern?
Für betroffene Eltern spielt es indessen kaum eine Rolle, wie die Richter in Italien in diesem konkreten Fall entscheiden. Für sie ist in Deutschland und in jedem anderen Staat der Europäischen Union vielmehr maßgeblich, welche Weichen der Europäische Gerichtshof gestellt hat.
Sie haben als Eltern eines schwerbehinderten Kindes das Recht, vom Arbeitgeber zu verlangen, Ihre besonderen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber darf dieses nur ablehnen, wenn entsprechende Maßnahmen für ihn unzumutbar sind – also eine zu große Belastung darstellen.
Im Zweifelsfall müssen nicht Sie diese Belastung entkräften, sondern der Arbeitgeber muss diese nachweisen.




