Eine schwerst gehbehinderte Schülerin muss notfalls auf Kosten der Allgemeinheit auch mit dem Taxi zur Schule fahren können. Steht ihr kein Schülerspezialverkehr zur Verfügung und kann sie den Schulweg nicht anders bewältigen, müssen die Kosten für die Taxifahrt von der Eingliederungshilfe übernommen werden, urteilte am Mittwoch, 8. Mai 2024 das Bundessozialgericht (BSG) (Az.: B 8 SO 3/23 R).
Da die Kostenübernahme den Anspruch der Schülerin auf Teilhabe an Bildung gewährleiste, komme es auch nicht auf die Höhe des Einkommens der Eltern an.
GdB bei 100
Geklagt hatte eine heute 17-jährige Schülerin aus dem Kreis Coesfeld. Die mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerst gehbehinderte Schülerin hatte im streitigen Schuljahr 2017/2018 den 1,1 Kilometer langen Schulweg täglich mit dem Taxi zuruückgelegt.
Der Grund: Sie konnte die Strecke aufgrund ihrer Behinderung weder zu Fuß gehen noch mit dem Fahrrad fahren. Einen Schülerspezialverkehr, der sie von zu Hause abholte oder nach Schulschluss wieder zurückbrachte, gab es wegen des kurzen Schulweges nicht.
Während der Grundschulzeit hatte noch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Taxifahrten voll übernommen. Als das Kind auf das Gymnasium wechselte, zahlte der neue Schulträger für das Schuljahr 2017/2018 eine Wegstreckenentschädigung in Höhe von insgesamt 62,42 Euro. Die Eltern übernahmen die restlichen 2.179 Euro für die im Schuljahr angefallenen Taxifahrten.
Die Schülerin beantragte beim Kreis Coesfeld als Träger der Eingliederungshilfe, die Erstattung der vorgestreckten Taxikosten für den Schulweg.
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Die Behörde sah die Eltern in der Pflicht. Diese verfügten über zwei Autos und müssten das Kind selbst zur Schule bringen und wieder abholen.
BSG: Gehbehinderte Schülerin kann nicht anders zur Schule komen
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen gab der Schülerin mit Urteil vom 16. Oktober 2023 recht (Az.: L 9 SO 387/21).
Die Kosten für behinderungsbedingt notwendige Taxifahrten zur Schule seien vom Eingliederungshilfeträger zu übernehmen, wenn eine anderweitige Beförderung des Kindes zur Schule nicht möglich sei und der Schulträger nicht dafür aufkomme.
Zwar hätten die Eltern die Pflicht, die Beförderung ihres Kindes zur Schule sicherzustellen. Dem seien sie aber nachgekommen, indem sie die Fahrten organisiert und die Taxikosten vorfinanziert hätten. Eine Verpflichtung die „hieraus resultierenden Mehrkosten zu tragen“, bestehe nicht.
Eingliederungshilfe muss Taxi für Schulweg bezahlen
Das BSG gab der gehbehinderten Schülerin ebenfalls recht. Sie habe einen Anspruch auf Teilhabe an Bildung. Dazu gehöre auch, dass sie zur Schule gelangen könne.
Gebe es keinen Schülerspezialverkehr oder andere Beförderungsmöglichkeiten, müsse der Eingliederungshilfeträger notfalls auch die Kosten für Taxifahrten übernehmen, wenn der Schulträger diese nicht abdecke. Denn „für behinderungsbedingte Mehrkosten muss der Eingliederungshilfeträger einstehen“, stellte das Gericht klar.
„Auch die Eltern werden weder mit diesen zusätzlichen Kosten belastet noch kann von ihnen verlangt werden, die Beförderung selbst durchzuführen“, so die obersten Sozialrichter. fle
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