Schulden: Zwangsvollstreckung kann ausgesetzt werden

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Wer sich immer weiter verschuldet, muss im weiteren Verlauf auch mit einer Zwangsvollstreckung rechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat kรผrzlich eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen (Aktenzeichen: 2 BvR 1507/22).

In besonderen Fรคllen kann nรคmlich die Zwangsvollstreckung fรผr einen lรคngeren Zeitraum oder in Ausnahmefรคllen sogar auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden. Es mรผssen allerdings hierfรผr wichtige Grรผnde vorliegen.

Grundrechte mรผssen auch fรผr Schuldner gelten

Obwohl die Verfassungsbeschwerde eines Schuldners nicht zur Entscheidung angenommen wurde, geschah dies aufgrund der bereits erfolgten Zwangsrรคumung der Wohnung. Das Gericht hat jedoch klargestellt, dass die Entscheidung der Fachgerichte, dem Schuldner bzw. Mieter ohne weitere Untersuchungen den Schutz vor Zwangsvollstreckung zu verwehren, verfassungsrechtlich bedenklich war. Das Gericht fรผhrte dazu aus (Absรคtze 39f, 44, 47; Aufzรคhlung durch uns):

Das Grundrecht gemรครŸ Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prรผfung der Voraussetzungen gemรครŸ ยง 765a der Zivilprozessordnung (ZPO) auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewรคhrleisteten Grundrechte zu berรผcksichtigen.

Schutz vor Wohnungsrรคumung wenn Erhaltung von Leben und Gesundheit gefรคhrdet sind

Eine angemessene Bewertung aller Umstรคnde, die unter Berรผcksichtigung dieser Grundsรคtze vorgenommen wird, kann in besonderen Fรคllen dazu fรผhren, dass die Zwangsvollstreckung fรผr einen lรคngeren Zeitraum oder in absoluten Ausnahmefรคllen sogar auf unbestimmte Zeit ausgesetzt wird, so die Karlsruher Richter.

Wenn die erforderliche Abwรคgung ergibt, dass die dem Schuldner direkt dienenden Interessen, die Leben und Gesundheit schรผtzen, im konkreten Fall offensichtlich schwerer wiegen als die Interessen, die durch die VollstreckungsmaรŸnahme gewahrt werden sollen, kann der anschlieรŸende Eingriff das Prinzip der VerhรคltnismรครŸigkeit und das Grundrecht des Schuldners gemรครŸ Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 52, 214 219 f.; BVerfGK 6, 5 110).

Die Vollstreckungsgerichte mรผssen in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um Verfassungsverletzungen durch ZwangsvollstreckungsmaรŸnahmen auszuschlieรŸen und ihrer Schutzpflicht, die sich aus dem Recht auf Leben und kรถrperliche Unversehrtheit ergibt, nachzukommen (vgl. BVerfGE 52, 214 <220 f.>; BVerfGK 6, 5 <10>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Januar 2021 โ€“ 2 BvR 1786/20 -, Rn. 27 m.w.N.).

Instanzen mรผssen prรผfen

Wenn der Schuldner bei einer Zwangsrรคumung nachvollziehbar erhebliche Gesundheitsgefahren geltend macht, sollten die Instanzen โ€“ sofern sie nicht รผber eigene Fachkenntnisse verfรผgen โ€“ durch sachverstรคndige Hilfe ein genaues und tiefgrรผndiges Verstรคndnis dafรผr erlangen, welche gesundheitlichen Folgen ein Umzug im Einzelnen mit sich bringt.

Insbesondere sollten sie den voraussichtlichen Schweregrad der Gesundheitsbeeintrรคchtigungen und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts prรผfen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2022 โ€“ 2 BvR 447/22 -, Rn. 40).

Das Amtsgericht hat seiner Schutzpflicht staatlicher Organe, die sich aus dem Recht auf Leben und kรถrperliche Unversehrtheit ergibt, auch nicht dadurch Genรผge getan, dass es die Betreuungsbehรถrde und die Stadt รผber die drohende Rรคumung informiert hat und um die รœberprรผfung weiterer MaรŸnahmen gebeten hat.

Das Gericht darf die Entscheidung รผber SchutzmaรŸnahmen im Zusammenhang mit der Zwangsrรคumung nicht Dritten รผberlassen, so das Bundesverfassungsgericht.