Eine Betroffene erkämpfte sich mit einem Widerspruch gegen einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung (DRV) zunächst eine volle Erwerbsminderungsrente (EM-Rente). Mit einem zweiten Widerspruch setzte sie anschließend durch, dass ihre Rente um rund 500 Euro brutto höher ausfiel.
Inhaltsverzeichnis
Depression, chronische Schmerzen und schließlich Burn-out
Die 49-Jährige arbeitete in der Personalverwaltung, erkrankte an einer Depression und an chronischen Schmerzen (Arthrose). Langes Gehen fiel ihr schwer, sie schlief schlecht, war ständig erschöpft und psychisch kaum belastbar. Schließlich schrieb ihr Arzt sie wegen Burn-out krank.
Reha statt Rente – (noch) volle Leistungsfähigkeit?
Sie beantragte eine medizinische Reha. Beim Abschluss im Herbst 2022 war sie zwar weiterhin arbeitsunfähig, der Reha-Entlassungsbericht bescheinigte ihr jedoch eine Leistungsfähigkeit von mehr als sechs Stunden täglich – formal also keine Erwerbsminderung.
Wichtig zu wissen
Ein Reha-Antrag kann nach § 116 Abs. 2 SGB VI als Rentenantrag gelten. Dadurch kann EM‑Rente später auch rückwirkend vor dem eigentlichen Rentenantrag beginnen.
Antrag auf Erwerbsminderungsrente
Die Arbeitsunfähigkeit dauerte an. Im Februar 2024 stellte die Frau einen EM-Rentenantrag. Die DRV lehnte ab: Man habe sie im Herbst 2022 als „voll erwerbsfähig“ aus der Reha entlassen.
1. Widerspruch – erfolgreich
Mithilfe des Sozialverbands VdK legte sie fristgerecht (1 Monat, § SGB X) Widerspruch ein. Die DRV ordnete ein neues ärztliches Gutachten an und erkannte schließlich eine volle Erwerbsminderung (Leistungsfähigkeit < 3 h/Tag, § SGB VI) wegen der chronischen Schmerzen und psychischer Belastungen.
Rentenbeginn (zunächst): 1. Juni 2022
Begründung: Der Reha-Antrag aus 2022 galt als Rentenantrag.
Berechnete Rente: ≈ 1 595 € brutto (netto nach KV/PV-Abzug ca. 1 430 €).
2. Widerspruch – noch einmal gegen den Rentenbeginn
Die VdK‑Juristin legte erneut Widerspruch ein, dieses Mal gegen den Rentenbeginn. Argument: Wenn die DRV selbst gesagt habe, die Versicherte sei im Herbst 2022 nicht erwerbsgemindert gewesen, könne die volle EM nicht schon ab Juni 2022 bestanden haben. Ein späterer Beginn bedeute weniger Rentenabschläge und eine höhere Rente.
Späterer Beginn der Erwerbsminderung – höherer Rentenbetrag
Die DRV korrigierte sich: neuer Rentenbeginn 1. August 2023.
Rentenhöhe: rund 2030 € brutto (netto ca. 1820 €)
Der Sprung von ca. 435 € brutto erklärt sich hauptsächlich aus
- weniger Rentenabschlag (14 Monate späterer Beginn = 4,2 % statt 8,4 %),
- einem höheren aktuellen Rentenwert (2023/24 Anpassungen) und
- einer längeren Zurechnungszeit durch die Reform 2024 (fiktive Beitragszeiten bis Alter 67).
Nachzahlung: rund 26 650 € brutto. Davon erstattete die DRV nach § SGB X bereits gezahltes Krankengeld und Arbeitslosengeld I an die Krankenkasse bzw. die Agentur für Arbeit.
Was Betroffene wissen sollten
Thema | Kurz erklärt |
Frist Widerspruch | 1 Monat nach Zugang des Bescheids (§ SGB X). |
Nächster Schritt | Bei Ablehnung → Klage beim Sozialgericht (§ SGB X). |
Rentenbere | Entgeltpunkte × aktueller Rentenwert (2025: 39,32 € West / 38,20 € Ost) × Zugangsfaktor (1 – 0,003 × Monate vor Regelalter). |
Brutto vs. Netto | Von der Bruttorente werden ca. 10–11 % KV/PV-Beiträge abgezogen; ggf. fällt Einkommensteuer an. |
Teilweise vs. volle EM | Volle EM: < 3 h/Tag, halbe EM: 3–< 6 h (§ 43 SGB VI). |
Reha vor Rente | Ein Reha-Antrag kann als Rentenantrag wirken – kann Vorteile (frühere Zahlung) oder Nachteile (höhere Abschläge) bringen. Fachliche Beratung ist ratsam. |
Ein Vorbild für andere Erkrankte
Die Geschichte zeigt, wie wichtig Hartnäckigkeit sein kann. Ohne Widersprüche hätte die Versicherte trotz gravierender gesundheitlicher Einschränkungen gar keine oder eine deutlich geringere Rente erhalten.
Tipp: Wer einen ablehnenden Bescheid der DRV erhält, sollte ihn prüfen lassen – etwa durch den VdK, den SoVD, eine Fachanwältin für Sozialrecht oder einen zugelassenen Rentenberater. Schon ein einziger Widerspruch kann eine falsche Entscheidung korrigieren; ein zweiter, gut begründeter Widerspruch kann sogar finanzielle Sprünge von mehreren Hundert Euro im Monat bewirken.