Die elterliche Aufsicht über die korrekte Einnahme der erforderlichen Mahlzeiten bei pflegebedürftigen Kindern kann einen höheren Pflegegrad und damit einen Anspruch auf Pflegegeld begründen.
Eltern “überwachen” Essenseinnahme des Kindes
Das gilt auch, wenn Eltern ihr an Diabetes Typ 1 erkranktes Kind wegen dessen Angst vor dem schmerzhaften Legen einer Kanüle für eine Insulinpumpe regelmäßig gut Zureden und motivieren müssen, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in zwei am Freitag, 13. Dezember 2024, bekanntgegebenen Urteilen vom Vortag (Az.: B 3 P 9/23 R und B 3 P 2/24).
Ähnlich entschieden die obersten Sozialrichter auch in zwei weiteren Fällen, in denen die minderjährigen Kläger an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leiden (Az.: B 3 P 1/24 R und B 3 P 7/23 R).
Nach den gesetzlichen Bestimmungen gibt es ab dem Pflegegrad 2 Pflegegeld. Je stärker die Betroffenen durch Krankheit oder Behinderung im Alltag beeinträchtigt sind, desto höher ist der Pflegegrad und damit das Pflegegeld.
Zur Feststellung des Pflegegrades prüft der Medizinische Dienst (MD) die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen in sechs sogenannten Modulen und bewertet diese mit insgesamt bis zu 100 Punkten. Dazu gehören etwa die Bereiche „Selbstversorgung“ (Modul 4), „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ (Modul 3) oder auch die „Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ (Modul 5).
Da Kleinkinder einen höheren Pflegebedarf haben, werden sie bis zum 18. Lebensmonat um einen Pflegegrad höher eingestuft als vergleichbare ältere Kinder.
Der Leitfall betraf einen an Diabetes Typ 1 erkrankten und daher insulinpflichtigen Jungen, der im Streitzeitraum zwischen sieben und 14 Jahre alt war. Er war mit einer Insulinpumpe versorgt. Vor dem Essen muss er seine Nahrungsmenge bestimmen, damit die Insulinpumpe über eine Kanüle die richtige Menge Insulin abgibt. Sonst droht eine Blutzuckerentgleisung.
Die Eltern hatten für den klagenden Jungen bei der Pflegekasse der AOK Nordwest die Anerkennung des Pflegegrades 2 und damit Pflegegeld beantragt. Sie begründeten dies unter anderem damit, dass sie ihr Kind bei der Nahrungsaufnahme ständig beaufsichtigen und zum Essen anhalten müssten.
Nur so könne gewährleistet werden, dass die zuvor abgegebene Insulinmenge zur Nahrungsmenge passt. Außerdem müsse der Junge motiviert werden, das etwa alle zehn Tage erforderliche schmerzhafte Legen der Kanüle für die Insulinpumpe zu erdulden. Auch dies müsse bei der Bestimmung des Pflegegrades berücksichtigt werden.
Nach Einholung eines Gutachtens des MD stufte die Pflegekasse den Jungen nur in Pflegegrad 1 ein, ohne Anspruch auf Pflegegeld. Allein das kindliche Abwehrverhalten gegen das Legen der Kanüle sei noch nicht krankheitsbedingt.
Dies könne allenfalls dann bei der Pflegegradbestimmung berücksichtigt werden, wenn das Kind wegen der Kanüle eine psychische Angststörung entwickelt habe. Hier könne man das Kind aber gut motivieren, indem man es länger fernsehen lasse. Dies sei Kindererziehung und keine Pflege. Eine psychische Störung liege nicht vor.
BSG klärt Pflegegradbestimmung bei pflegebedürftigen Kindern
Auch die Aufsicht über die erforderliche korrekte Nahrungsaufnahme stelle keinen zusätzlichen Pflegebedarf dar, so die Pflegekasse. Bei dem Kind sei die Nahrungsaufnahme bereits im Modul 5 als „Einhalten einer Diät“ berücksichtigt worden. Eine zusätzliche Berücksichtigung im Modul „Selbstversorgung“, zu dem auch „Essen und Trinken“ gehöre, scheide daher aus.
Das BSG gab den Eltern recht. Die ständige Aufsicht über die richtige Essensmenge, abhängig von der jeweiligen Insulingabe, stelle einen zusätzlichen Pflegebedarf dar. Zwar sei das Einhalten einer Diät bereits im Modul 5 (Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen) berücksichtigt.
Die elterliche Aufsicht über die richtige Nahrungsaufnahme gehöre aber zum Modul 4 „Selbstversorgung“. Entscheidend sei hier, dass das Kind erhöhten Anforderungen ausgesetzt sei, um Blutzuckerentgleisungen bei der Nahrungsaufnahme zu vermeiden. Ob dies beim Pflegegrad berücksichtigt werden könne, hänge jedoch vom jeweiligen Einzelfall und der Einsichtsfähigkeit des Kindes ab.
Auch die Angst des Kindes vor dem Legen der Kanüle und das daraus resultierende Abwehrverhalten müsse bei der Pflegegradbestimmung berücksichtigt werden. Dabei sei es nicht erforderlich, dass die kindliche Angst Krankheitswert habe. Die Praxis der Pflegekassen, dass eine solche Angst nur bei Vorliegen einer psychischen Störung beim Pflegegrad berücksichtigt werden könne, sei mit dem Gesetz nicht vereinbar, urteilte das BSG.
Der Kläger habe damit Anspruch auf Pflegegeld. fle
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