Persönliche Budgets bei Schwerbehinderung auch ohne unterschriebene Zielvereinbarung

Lesedauer 3 Minuten

Ein Anspruch auf persönliches Budget besteht auch ohne unterzeichnete Zielvereinbarung, so aktuell der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss v. 10.09.2024 – L 2 SO 2324/24 ER-B).

Die Frage, ob der fehlende Abschluss einer Zielvereinbarung der Bewilligung des persönlichen Budgets entgegensteht, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet.

Eine Regelung für das Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung sieht das Gesetz nicht vor. Insofern sind die Rechtsfolgen einer fehlenden Zielvereinbarung noch weitgehend ungeklärt.

Das Bundessozialgericht hat bislang – zur alten, bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage – entschieden, dass der vorherige Abschluss einer Zielvereinbarung mit dem gesetzlich geregelten Mindestinhalt allenfalls formale Voraussetzung für den anschließenden Erlass eines Verwaltungsakts über das Persönliche Budget ist (BSG Urteil vom 28.01.2021 – B 8 SO 9/19 R – ).

BSG lässt offen, welche Konsequenzen drohen bei Nicht – Unterzeichnung der Zielvereinbarung

Es hat zwar ausdrücklich offen gelassen, welche Konsequenzen (Rechtsfolgen) sich für den Anspruch auf ein Persönliches Budget ergeben, wenn wegen des Streits um den Inhalt der Zielvereinbarung eine solche nicht zustande kommt.

Das SG Mannheim hatte mit Urteilen vom 22.05.2024 – S 9 SO 306/23 – und – S 9 SO 1473/23 – festgestellt dass,

Ohne den vorherigen Abschluss einer Zielvereinbarung besteht kein Anspruch auf die Ausführung einer Teilhabeleistung in der Form eines Persönlichen Budgets

Durch das zum 01.01.2018 in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz sei eine wesentliche Änderung der Rechtslage eingetreten., weil die Zielvereinbarung nun nicht mehr nur in der einfach-gesetzlichen Rechtsverordnung (Budgetverordnung), sondern in einem Parlamentsgesetz verankert sei und daher die Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 28.01.2021 – B 8 SO 9/19 R – keinen Bestand mehr haben könnten, sondern der Abschluss einer Zielvereinbarung vielmehr materielle Anspruchsvoraussetzung sei.

Dieser Auffassung folgt der 2. Senat des LSG BW aber gerade nicht, denn

Nach Auffassung des Senats des LSG Baden – Württemberg ( Beschluss v. 10.09.2024 – L 2 SO 2324/24 ER-B ) steht der Verpflichtung zur vorläufigen Bewilligung von Eingliederungshilfeleistungen in Form eines persönlichen Budgets im Wege einer einstweiligen Anordnung ab dem Monat der Einleitung des Eilverfahrens – nicht entgegen – , dass die vom Antragsgegner an die Antragstellerin neu übersandte Zielvereinbarung von letzterer bislang nicht unterzeichnet/abgeschlossen wurde.

Rechtstipp:

o auch der 7. Senat des LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.05.2024 – L 7 SO 868/24 ER-B; SG Marburg Beschluss vom 08.09.2023 – S 9 SSO 27/23 ER – ; Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 22.05.2020 – 2 B 66/20 – ; vgl. zum Meinungsstand dieser Vorgehensweise im Eilverfahren: Schneider in Hauck/Noftz, SGB IX, 2. Ergänzungslieferung 2024, § 29 Rn. 39a).

Hinweis Detlef Brock

Berufung gegen das Urteil des SG Mannheim S 9 SO 1473/23 anhängig im 2. Senat des LSG Baden-Württemberg, Az. L 2 SO 1654/24;

kritisch zur Entscheidung des SG Mannheim u.a. Eicher, jurisPR-SozR 15/2024 Anm. 5 unter D.; Eicher, Sozialrecht aktuell 2024, 54, 55 m.w.N, allgemein kritisch zur Zielvereinbarung als materielle Voraussetzung: Eicher, jurisPR-SozR 7/2023 Anm. 4 unter C; Eicher, jurisPR-SozR 4/2023 Anm. 5 unter D).

ebenso im Ergebnis: SG Gießen, Beschluss vom 29.10.2020 – S 18 SO 146/20 ER –

Fazit:

Auch – Ohne den vorherigen Abschluss einer Zielvereinbarung besteht – Anspruch auf die Ausführung einer Teilhabeleistung in der Form eines Persönlichen Budgets ( entgegen SG Mannheim, Urt. v. 22.05.2024 – S 9 SO 1473/23 anhängig im 2. Senat des LSG Baden-Württemberg, Az. L 2 SO 1654/2 )

Schlussbemerkung:

Die Entscheidung des 2. Senats ist sehr zu begrüßen, denn was würden die Behinderten und Schwerstbehinderten denn machen ohne Bewilligung eines persönlichen Budgets, weil es eben an der materielle Voraussetzung der Zielvereinbarung mangelt, so zum Bsp. in der Entscheidung des SG Heilbronn, Urt. v. 26.06.2024 – S 3 SO 2208/23 –

Gericht verweigert schwerst behindertem Kind Ferien- Freizeit

Einem schwerst behinderten Kind konnte im Eilverfahren kein persönliches Budget zugesprochen werden, weil keine abgeschlossene Zielvereinbarung vor lag und somit konnte das Kind nicht an insgesamt 8 Ferienfreizeiten und an 15 Tagesausflügen teilnehmen.

Das 2017 geborene Kind ist seit Geburt schwerstbehindert. Sie kann sich nur mit Hilfe von Orthesen fortbewegen und nicht einmal mit Brille dreidimensional sehen.

Außerhalb der vertrauten Umgebung ist sie auf die Begleitung durch einen Erwachsenen angewiesen. Längere Strecken kann sie nur in einem Buggy sitzend bewältigen. Sie kann sich weder selbständig an- noch ausziehen und muss ständig Windeln tragen. Sie besucht eine sonderpädagogische Schule und hat Schwierigkeiten, angemessenen Kontakt mit anderen Kindern zu knüpfen.

Außerhalb der Familie und der Schule verfügt sie über keine eigenen sozialen Kontakte.

Eine ganz traurige Geschichte, welche mich sehr mit genommen hat, denn ich hasse so eine Ungerechtigkeit, wo das Gericht nach meiner Meinung versagt hat.

Ganz kritisch gesehen wird diese Entscheidung von Wolfgang Eicher, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht, 8. Senat (a.D. )

Ganz kritisch wird diese Entscheidung auch gesehen von Wolfgang Eicher ( ehemals Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht ), veröffentlicht in jurisPR-SozR 15/2024 Anm. 5 –

” Die Entscheidung darf sich in der Praxis nicht durchsetzen “

Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.