Keine nachträgliche Aufhebung von Arbeitslosengeld bei geänderter Prognoseentscheidung über Leistungsfähigkeit. Die Arbeitsagentur muss einer Arbeitslosen das Arbeitslosengeld rückwirkend bewilligen.
Denn eine nach der Bewilligungsentscheidung erfolgte Meinungsänderung der Agentur für Arbeit innerhalb weniger Wochen hinsichtlich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen bewirkt grundsätzlich keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X (so aktuell das Gericht aus Baden-Württemberg).
Ändert die Bundesagentur für Arbeit nach Erlass einer Bewilligungsentscheidung zum Arbeitslosengeld ihre Beurteilung in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit eines Leistungsempfängers, stellt dies allein keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X dar und berechtigt damit nicht zur Aufhebung von Bewilligungsbescheiden (Orientierungssatz Detlef Brock).
Arbeitslosengeldanspruch – Minderung der Leistungsfähigkeit – Aufhebung des Verwaltungsaktes – keine wesentliche Änderung
Die Arbeitsagentur hat nach Erlass des Bewilligungsbescheides eine erneute Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin vorgenommen und damit eine zweite Prognoseentscheidung – diesmal mit einem anderen, auf die zweite sozialmedizinische Stellungnahme gestützten Ergebnis – getroffen.
Meinungsänderung der Arbeitsagentur innerhalb weniger Wochen berechtigt nicht zur Aufhebung von ALG 1. Damit hat die Behörde lediglich ihre Meinung innerhalb weniger Wochen geändert.
Eine nachträgliche Meinungsänderung stellt aber keine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X dar und berechtigt damit nicht zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.03.2008 – L 8 AL 1601/07; LSG Bayern, Urt. v. 21.06.2018 – L 9 AL 27/16 -).
AWann gilt etwas Anderes?
Nur, wenn eine Änderung der gesundheitlichen Einschränkungen der Antragstellerin vorgelegen hätte, hier aber verneint.
Auch regeln die Fachlichen Weisungen der Arbeitsagentur zu § 145 SGB III in diesem Zusammenhang, dass endgültige Bewilligungen nicht (auch nicht für die Zukunft) aufgehoben werden können, wenn die ärztliche Begutachtung ergibt, dass eine Leistungsminderung von bis zu sechs Monaten vorliegt und keine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten ist.
Mit der ausgesprochenen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs durch das Gericht lebt der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wieder auf mit der Folge, dass der Antragstellerin – rückwirkend Arbeitslosengeld zu zahlen ist.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.