Ein Bewerber, der bei der Bewerbung einen abgelaufenen Schwerbehindertenausweis einreicht, hat keinen Anspruch darauf, automatisch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
Öffentliche Arbeitgeber verletzen in diesem Fall nicht die Vorgaben des Sozialgesetzbuchs IX (§ 82 S. 2 SGB IX). Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln verdeutlicht die relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen. (Az:4 Sa 248/12)
Inhaltsverzeichnis
Berufungsverfahren im Fall einer unterlassenen Einladung
Im Fall des Bewerbers, dessen Schwerbehindertenausweis bereits abgelaufen war, entschied das Landesarbeitsgericht Köln in zweiter Instanz zugunsten der beklagten Partei, einer öffentlichen Institution.
Der Bewerber hatte in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Köln einen Teilerfolg erzielt und wurde zu einer Entschädigung in Höhe von 1.000 Euro verurteilt, während der Rest seiner Forderung über 15.000 Euro abgewiesen wurde. Beide Parteien legten daraufhin Berufung ein.
Die Beklagte forderte die vollständige Abweisung der Klage, der Bewerber hingegen eine Erhöhung der Entschädigung.
Entscheidung des Gerichts: Ablehnung der Entschädigung
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Berufung der Beklagten begründet und die des Klägers unbegründet war. Es wies die Klage vollumfänglich ab. Die Kosten des Rechtsstreits wurden dem Kläger auferlegt.
Verpflichtung zur Einladung schwerbehinderter Bewerber
Gemäß § 82 Satz 2 SGB IX sind öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Diese Verpflichtung gilt jedoch nur, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung hat oder haben musste.
Die Vorlage eines abgelaufenen Schwerbehindertenausweises, der sich lediglich in den hinteren Seiten einer umfangreichen Bewerbungsmappe befindet, reicht nach Auffassung des Gerichts nicht aus, um eine solche Kenntnis zu begründen.
Rechtliche Grundlage: Vermutung der Benachteiligung
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts führt die Verletzung der Einladungspflicht gemäß § 82 S. 2 SGB IX zur Vermutung, dass eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung erfolgt ist. Dies kann Entschädigungsansprüche des Bewerbers nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auslösen.
Der Arbeitgeber muss in solchen Fällen nachweisen, dass die Behinderung nicht (mit-)ursächlich für die Nichteinladung war. Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitgeber tatsächlich Kenntnis von der Schwerbehinderung des Bewerbers hatte oder diese aufgrund der Bewerbung eindeutig hätte erkennen müssen.
Kenntnis der Schwerbehinderung durch den Arbeitgeber
Das Gericht stellte klar, dass für die Annahme einer Benachteiligung nicht allein die objektive Schwerbehinderung des Bewerbers ausreichend ist. Entscheidend ist, ob die Schwerbehinderteneigenschaft für den Arbeitgeber deutlich erkennbar war.
Der Arbeitgeber hat keine Pflicht, Nachforschungen anzustellen oder weitere Hinweise auf eine Schwerbehinderung aktiv zu ermitteln. Vielmehr ist der Bewerber in der Pflicht, seine Schwerbehinderteneigenschaft klar und sichtbar kenntlich zu machen.
Zulässigkeit der Annahme fehlender Kenntnis
Im vorliegenden Fall befand das Gericht, dass die Beklagte keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers hatte und diese auch nicht zwingend haben musste. Die eingereichte Kopie des Schwerbehindertenausweises war abgelaufen, und es fehlten jegliche weiteren Angaben oder Hinweise im Bewerbungsschreiben und Lebenslauf des Bewerbers.
Eine solche Bewerbung begründet keine Pflicht des Arbeitgebers, eigenständig Nachforschungen anzustellen oder weitere Informationen anzufordern.
Keine Pflicht zur Nachfrage nach Schwerbehinderung
Eine Nachfragepflicht des Arbeitgebers besteht nur, wenn es eindeutige Hinweise auf eine Schwerbehinderung gibt, die der Arbeitgeber nicht übersehen darf. Diese Hinweise müssen jedoch in einer Weise erfolgen, dass der Arbeitgeber ohne weitere Mühe die relevante Information zur Kenntnis nehmen kann.
Ein abgelaufener Schwerbehindertenausweis kann zwar als Hinweis auf eine frühere Schwerbehinderung dienen, jedoch nicht als Nachweis einer aktuellen Schwerbehinderteneigenschaft. Es liegt keine Verpflichtung vor, diese Information aktiv zu hinterfragen, insbesondere wenn der Hinweis eher beiläufig und schwer auffindbar ist.
Zulässigkeit der Annahme der Beendigung der Schwerbehinderung
Die Vorlage eines abgelaufenen Schwerbehindertenausweises führt zu der zulässigen Annahme, dass die Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr besteht. Der Arbeitgeber darf davon ausgehen, dass eine Schwerbehinderung nur dann vorliegt, wenn ein gültiger Nachweis erbracht wird.
Fehlt ein aktueller Schwerbehindertenausweis oder ein klarer Hinweis auf eine bestehende Schwerbehinderung, besteht keine Pflicht zur weiteren Untersuchung.
Besonderheiten in der Bewerbung
Zusätzlich stellte das Gericht fest, dass das Bewerbungsschreiben des Klägers erhebliche Mängel aufwies. Der Inhalt des Schreibens entsprach nicht den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle und enthielt zahlreiche Unklarheiten.
Dies sei ein weiterer Grund gewesen, warum der Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Das Gericht hob hervor, dass ein Bewerber, dessen Bewerbungsschreiben gravierende Mängel aufweist, nicht davon ausgehen kann, zu einem Gespräch eingeladen zu werden, auch wenn eine Schwerbehinderung vorliegt.
Vermutung der Benachteiligung widerlegt
Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte ihre Einladungspflicht gegenüber schwerbehinderten Bewerbern erfüllt hatte, sofern deren Schwerbehinderteneigenschaft erkennbar war. In diesem Fall jedoch bestand keine solche Pflicht, da die Schwerbehinderung des Klägers nicht ausreichend dokumentiert war.
Das Bewerbungsschreiben und die beigelegten Unterlagen ließen weder auf eine aktuelle Schwerbehinderung schließen, noch enthielten sie einen klaren Hinweis darauf, dass die Behinderung weiterhin vorlag.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.