Jobcenter strich Leistungen komplett, weil Hartz IV-Bezieherin nicht zum Arzt ging

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Das Sozialrecht kennt einen gewissen Ermessensspielraum. Jobcenter gehen damit oftmals nicht verantwortungsbewusst um, wie dieses Beispiel zeigt. Ohne korrekte Begründung und Vorwarnung wurden einer schwerkranken Hartz IV Bezieherin die kompletten Hartz IV-Leistungen gestrichen. Der Fall wurde vor dem Landessozialgericht München verhandelt.

Arzt bescheinigte Arbeitsunfähigkeit

Aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung bezieht Ursula D. (Name geändert) seit 2015 Hartz IV Leistungen. Üblich ist in solchen Fällen, dass Leistungsbezieher sich medizinisch untersuchen lassen. Der untersuchende Arzt attestierte der Betroffenen eine vorrübergehende Arbeitsunfähigkeit. Zudem solle sie sich alle paar Jahre erneut untersuchen lassen, um den Gesundheitszustand zu überprüfen.

So forderte das Jobcenter im Jahre 2018 die Leistungsbezieherin erneut auf, sich untersuchen zu lassen. Den angesetzten Termin nahm die Klägerin allerdings nicht wahr. Nun schrieb das Jobcenter die Klägerin erneut an und forderte in dem Anschreiben zu einer weiteren Untersuchung auf. Das Jobcenter drohte in dem Anschreiben an, die Hartz IV Leistungen komplett einzustellen, wenn die Leistungsbezieherin der Aufforderung nicht nachkomme.

Leistungsbezieherin kam der Aufforderung zur erneuten Untersuchung nicht nach

Ursula D. kam erneut der Aufforderung des Jobcenters nicht nach. Das Jobcenter strich daraufhin die kompletten Hartz IV Leistungen. In der Begründung hieß es, sie habe ihre Mitwirkungspflicht nach §62 SGB I verletzt. Die Leistungsbezieherin habe zudem keine hinreichende Begründung abgegeben, warum sie die Untersuchungstermine ausfallen ließ.

Somit sei nach Ansicht des Jobcenters die komplette Versagung der Regelleistungen angemessen, weil Ursula D. nicht dabei helfe, den Sachverhalt aufzuklären.

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Betroffene legte Widerspruch ein

Nach der Entziehung der Regelleistungen legte die Betroffene einen Widerspruch ein. Sie leide an Bluthochdruck und sei aus diesem Grund nicht in der Lage zu reisen. Es würde die Möglichkeit bestehen, sich im häuslichen Umfeld untersuchen zu lassen. So würde das Jobcenter die Möglichkeit bekommen, über ihre Arbeitsunfähigkeit Bescheid zu wissen.

Der Widerspruch wurde allerdings seitens des Jobcenters abgelehnt. Nunmehr erhob die Frau Klage.

In zweiter Instanz gab das Landessozialgericht der Betroffenen Recht

Das Landessozialgericht Bayern (Az: L 16 AS 652/20) gab der Klägerin Recht. Der Bescheid des Jobcenters sei rechtswidrig. Der Klägerin sei nach Rechtsauffassung der Richter nicht in einem Bescheid ordnungsgemäß die Folgen einer fehlenden Mitwirkungspflicht erläutert worden.

Unzureichende Belehrung über Folgen

Zwar wurden in dem Anschreiben die Entziehung der Sozialleistungen angedeutet, das sei allerdings nicht in ausreichender Form geschehen. Es wurde nur der Gesetzestext kopiert. Das Jobcenter hätte die Kürzung des Regelsatzes klar benennen sollen. Auch wurde nicht erläutert, wie hoch die Kürzung im Falle einer fehlenden Mitwirkung ausfallen würde. Schon allein deshalb sei der Bescheid seitens der Behörde rechtswidrig.

Ermessensspielraum nicht ausgeschöpft

Zum anderen sei die Entscheidung des Jobcenters ermessensfehlerhaft gewesen. Denn auch hier habe die Behörde nur unklare Formulierungen verwendet. Der Leistungsträger hätte eine genaue Begründung für die Entsagung der Leistungen liefern müssen. Die Entgegnungen der Klägerin seien nicht beachtet und untersucht worden. Trotz Sanktionen habe die Klägerin einen Anspruch auf das Existenzminimum.

Dazu der Wortlaut aus der Urteilsbegründung: “Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt. Die Voraussetzungen des § 66 Abs. SGB I lagen nicht vor. Grundsätzlich ist die Klägerin zur Mitwirkung an einer gemäß § 60 Abs. 1 iVm § 62 SGB I angeordneten Teilnahme an einer ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahme verpflichtet.

Dieser Mitwirkungspflicht ist die Klägerin, ohne einen wichtigen Grund durch Vorlage z.B. eines aussagekräftigen Attestes nachzuweisen, nicht nachgekommen. Gleichwohl ist die Anfechtungsklage begründet, da der Beklagte vor der Entscheidung zur Entziehung der Leistungen die Klägerin nicht ausreichend konkret im Sinne des § 66 Abs. 3 SGB I auf die mögliche Rechtsfolge einer Mitwirkungsverweigerung schriftlich hingewiesen hat. Zudem hat er die gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I erforderliche Ermessensentscheidung nicht ordnungsgemäß getroffen.”

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