SGB 2: Geld vom JobCenter für Aufwendungen zum Besuch eines nahen Angehörigen können in einer Sondersituation einen Härtefallmehrbedarf begründen.
Fahrtkosten für die Besuche des erwachsenen Sohnes zur erkrankten Mutter ins Klinikum muss das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf übernehmen.
In besonderen Situationen kann zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein Härtefallmehrbedarf nicht anders als beim Umgangsrecht zu übernehmen sein (BSG Rechtsprechung). So entschieden vom LSG Baden-Württemberg im Eilverfahren vom 04.02.2020 – L 2 AS 3963/19 ER-B.
Die Mutter des Klägers erlitt einen Schlaganfall, später kam es zu einem Herz-Kreislaufstillstand.
Der erwachsene Sohn verfügt über eine Vorsorgevollmacht für seine Mutter, welche er Tag täglich besuchte. Zwischen dem Antragsteller und seiner Mutter bestand auch eine sehr enge familiäre Verbindung.
Inhaltsverzeichnis
Enge verwandtschaftliche Beziehungen können eine besondere Bedarfslage auslösen
Eine besondere Situation lag vor, denn die Mutter befand sich in einem komatösen und hilflosen Zustand. Nicht abschätzbar war es, wie lange die Mutter noch zu leben hatte.
Nur noch persönliche Besuche waren als Kontaktform möglich
Telefon, SMS, Briefe waren als Kontaktform nicht mehr möglich. Auch zwischen Erwachsenen können verwandtschaftliche Bindungen von herausragender Bedeutung sein und fallen somit in den Schutzbereich Art 6 Abs. 2 Satz 1 GG (Schutz der Familie) .
Es ist nicht weltfremd, dass auch erwachsenen Kinder ihren Eltern in solchen schwierigen Situationen – wie auch immer – beistehen und engeren und häufigeren Kontakt mit dem Elternteil suchen.
Der Mehrbedarf an Kosten für Besuchsfahrten lag somit vor. Das Gericht gewährte Kostenübernahme für Besuchsfahrten (2 x die Woche)
Für tägliche Besuchsfahrten keine Rechtsgrundlage
Das Gericht betonte aber auch , dass für tägliche Besuchsfahrten keine Kostenübernahme möglich sei.
Weiterhin führte das Gericht aus:
In Sondersituationen kann zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein Härtefallmehrbedarf nicht anders als beim Umgangsrecht anzuerkennen sein (vgl. BSG, Urteil vom 28. 11.2018 – B 14 AS 48/17 R -).
Zusammenfassend kann man sagen – Leitsatz Detlef Brock
1. Verpflichtung des Jobcenters im Eilverfahren zur Übernahme der Fahrtosten für die Besuche des erwachsenen Sohnes bei der erkrankten Mutter in der Intensiv – Pflegeeinrichtung als Härtefallmehrbedarf.
2. Auf Grund der engen Beziehung des Sohnes zu seiner Mutter, welche sich in einem lebensbedrohlichem Zustand befand und keine andere Kontaktaufnahme mehr möglich war, ist die Übernahme der Fahrtkosten als Mehrbedarf gerechtfertigt.
3. Denn In Sondersituationen kann zur Ermöglichung der Begegnung naher Angehöriger ein Härtefallmehrbedarf nicht anders als beim Umgangsrecht zu übernehmen sein (vgl. BSG, Urteil vom 28. 11.2018 – B 14 AS 48/17 R -).
Anmerkung Redakteur Detlef Brock
Werden Fahrtkosten als Härtefallmehrbedarf vom Jobcenter übernommen, ist die Anrechnung der im Regelsatz enthaltenen Mobilitätskosten unzulässig (SG Hannover, Urt. v. 01.11.2016 – S 54 AS 697/16; SG Detmold, Urt. v. 11.9.2014 – S 23 AS 1971/12 – ).
Rechtstipp Detlef Brock – Redakteur
1. SG Düsseldorf, Urt. v. 26.06.2020 – S 15 AS 413/19 –
1. Fahrtkosten, die dem Vater anlässlich seiner Fahrten zu seinem in einem Fußballinternat wohnenden Sohn entstehen, müssen vom Jobcenter als Härtefallmehrbedarf übernommen werden.
2. Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von einem besonderen Bedarf ungeachtet der Tatsache auszugehen, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist.
Das sollte man wissen – recherchiert und zusammen gefasst von Detlef Brock
1. Insbesondere, wenn eine Kommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder ausreichend erscheint, kann sich ein existenzsicherungsrechtlich beachtlicher Besuchsanlass ergeben, der einen Mehrbedarf recht fertigt ( BSG – Rechtsprechung ).
2. Ebenfalls in die Auslegung eingestellt werden muss der besondere Schutz von Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG).
3. Dem steht nicht entgegen, dass Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen grundsätzlich aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind und in den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppen Aufwendungen für Verwandtenbesuche eingeschlossen sind.
4. Die vom zu gewährleistenden Existenzminimum umfasste Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ist nicht von vornherein auf die Beziehungspflege zu solchen Personen beschränkt, deren Verhältnis dem Schutzbereich des Art 6 Abs 1 GG unterfällt oder familienrechtlich geregelt ist ( BSG, Urt. v. 26.01.2022 – B 4 AS 3/21 R ).
5. Im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Unabweisbarkeit ist relevant, ob der geltend gemachte Mehrbedarf seiner Höhe nach erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweicht ( ausführlich dazu in der Entscheidung des BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 – B 4 AS 3/21 R -, Rn. 23 ).
6. Eine allgemeine Bagatellgrenze besteht bei der Gewährung des Mehrbedarfs ohnehin nicht (vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R). Vielmehr ist anhand der Umstände des Einzelfalls, vor allem unter Berücksichtigung von Höhe, Dauer und Häufigkeit des Auftretens, die Gefahr der Unterdeckung des sozio-kulturellen Existenzminimums zu bewerten.
Wann ist der Bedarf der Höhe nach nicht unabweisbar
Unabweisbar ist ein Bedarf, wenn es sich um einen “erheblichen, vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden Bedarf“ handelt, dass sei bei 1,88 % des Regelbedarfes bzw. 7,52 € nicht der Fall (BSG 26.1.2022 – B 4 AS 81/20 R).
Das LSG Hamburg hat „keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens – 20 € ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht“ (LSG Hamburg 5.8.2021 – L 4 AS 25/20, Rn. 58). In einem anderen Fall hat das BSG entscheiden, dass die Unabweisbarkeit bei 20,45 € pro Monat erreicht sei (BSG 19.8.2010 – B 14 AS 13/10 R – Quelle: Folien zum SGB II von Harald Thome)
Wann wird der Mehrbedarf – nicht gewährt – bei der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen
Keine Übernahme von Reisekosten für Familienheimfahrten für private Zwecke. LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 05.09.2023 – L 4 AS 190/23 –
1. Keine Übernahme von Reisekosten für Familienheimfahrten für private Zwecke.
2. Insbesondere (ungewollte) räumliche Trennungen sind für den Härtefallmehrbedarf unbeachtlich, soweit der Leistungsberechtigte nicht alle ihm zumutbaren Möglichkeiten zu deren Beendigung oder Verringerung ausgeschöpft hat. Die Leistungsbeziehende ist in der Wahl ihres Wohnortes frei.
Beispiele für die Gewährung unter Beachtung des Einzelfalls und seine Besonderheiten
1. Die Kontaktpflege mit dem behinderten Kind seitens der Mutter stellt eine atypische Bedarfslage da, die es recht fertigt, dass das Jobcenter die Fahrtkosten zum behinderten Kind im betreutem Wohnen als Härtefallmehrbedarf übernehmen muss ( Besuch 1x im Monat für ein Wochenende )
2. Das Gleiche kann gelten, wenn der Vater den Sohn 2 mal im Monat im Internat besucht, auch hier liegen besondere enge Beziehungen vor, die einen Härtefallmehrbedarf recht fertigen können. Eine spezielle Situation bei der Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind betreffe.
Diese Situation sei mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander lägen.
3. Aufwendungen für Besuchsfahrten in eine Justizvollzugsanstalt zur Wahrnehmung eines Umgangsrechts mit dem Stiefvater stellen im Rahmen der Leistungen zum SGB 2 für die Stiefkinder einen Mehrbedarf dar und sind deshalb vom Jobcenter zusätzlich zur Regelleistung zu übernehmen, wenn es sich bei dem Stiefvater um eine enge, den leiblichen Vater ersetzende Bezugsperson des Stiefkindes handelt und der Umgang dem Wohl des Kindes dient.
4. Für die Ausübung des Umgangsrechts der Gattin und der Kinder mit ihrem an einem weit entfernten Ort inhaftierten Vater besteht ein besonderer, unabweisbarer und fortlaufend fällig werdender Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II.
Fazit: Liegen die Besonderheiten des Einzelfalls vor, besteht Anspruch auf den Härtefallmehrbedarf!
Wie kann so ein Antrag auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II aussehen?
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit beantrage ich einen Mehrbedarf für Fahrtkosten zu meiner im Klinikum erkrankten Mutter, weil diese sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet und es nicht absehbar ist, wie lange sie nach Auskunft des Chefarztes noch zu leben hat.
Meine Mutter, welche im 100 km entfernten Klinikum liegt, leidet an Krebs im Endstadium und befindet sich zum Teil in einem Koma ähnlichen Zustand ( ärztliche Gutachten der Klinik anbei ).
Kontaktaufnahme mit meiner Mutter ist leider auf Grund ihres Gesundheitszustandes weder über Brief, Telefon, Handy möglich.
Seit vielen Jahren besteht zwischen meiner Mutter und mir ein enges vertrautes Verhältnis, weil meine Schwester im Ausland lebt und mein Vater uns verlassen hat, es kam zur Scheidung. Aufgrund dieses Einzelfalls und seiner Besonderheiten bitte ich um Erstattung meiner Fahrkosten als laufenden Bedarf, dieser ist auch unabweisbar, weil ich mich hoch verschuldet habe, ich besuche seit Jahren eine Schuldnerberatungsstelle ( Nachweis vorgelegt).
Die entstandenen Kosten begehre ich zuschussweise,, weil hier im Einzelfall ein Darlehen rechtswidrig wäre, denn mein Bedarf ist von der Höhe unabweisbar.
Folgende Unterlagen füge ich meinem Antrag bei:
Medizinische Unterlagen zum Gesundheitszustand meiner Mutter ( Hausarzt, Gutachten Klinikum )
Fahrtkosten für die Zeit meines Besuchs vom ….in Höhe von ..€ ( Belege der Bahn anbei, bei Auto gefahrene Kilometer angeben )
Nachweis, an welchem Ort die Besuchskontakte stattfinden
• Angaben zum benutzten Verkehrsmittel
• bei PKW: Angaben zur Fahrtstrecke (Anzahl km)
• bei öffentlichen Verkehrsmitteln: Angaben und Nachweis zur Fahrpreishöhe der günstigsten Preisstufe
Angabe an welchen Terminen tatsächlich Besuchstermine stattfinden
Hiermit bitte ich um Bescheidung meines Antrag vom …innerhalb von 14 Tagen.
Mit freundlichen Grüßen
..
Ich hoffe, Ihnen mit diesem Beitrag einen Überblick zur Gewährung des Härtefallmehrbedarfs gegeben zu haben bei der Kontaktpflege mit nahen Angehörigen bei Vorlage verschiedener Besonderheiten.
Lesen Sie auch den interessanten Beitrag meines Kollegen Jan Heinemann zum Mehrbedarf bei Umgangsrecht
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.