Jobcenter: Bürgergeld-Erhöhung bei Untergewicht

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Bürgergeld-Leistungsempfänger, welche an einem Krankhaftem Untergewicht leiden, können unter Umständen einen Anspruch haben auf den Mehrbedarf für Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II). So entschieden vom SG Gießen, Urteil vom 09.07.2013 – S 22 AS 866/11 WA -.

Begründung:

Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe.

Umstände des Einzelfalls sind ausschlaggebend – BSG Rechtsprechung

Die Feststellung, ob ein Leistungsempfänger aufgrund einer Erkrankung einer besonderen, kostenintensiven Ernährung bedarf, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, auch wenn diese verallgemeinert werden können ( BSG Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 64/06 R -).

Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge als Orientierungshilfe

Das BSG hat auch bereits entschieden, dass die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge e. V. (DV) im Regelfall als Orientierungshilfe dienen können und die weitere Amtsermittlung von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängt.

Erkrankung, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwändige Ernährung erfordert, liegt beim Antragsteller vor.

Körpergröße von 184 cm wiegt er noch 55 kg – das ist als Krankheit zu bezeichnen

Der Antragsteller leidet an einer pulmonale Kachexie, aus der sich das Erfordernis ergibt, hochkalorische Kost zu sich zu nehmen. Der Kläger ist auch als untergewichtig anzusehen. Bei einer Körpergröße von 184 cm wiegt er noch 55 kg.

Dies stellt eine Krankheit dar.

Um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, benötigt der Antragsteller die von ihm beantragte Ernährung

Dies wird auch deutlich in den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe.

Es liegt auch ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust vor

Aus dem Pflegegutachten geht hervor, dass ein Gewichtsverlust von 5 Kilo seit der letzten Begutachtung zu verzeichnen war.

Dies bedeutet, dass der Kläger 60 Kilo wog und 5 Kilogramm innerhalb von 4 Monaten abgenommen hat. Bereits 3 Kilogramm Gewichtsverlust würden einen Verlust von über 5 % des Ausgangsgewichts bedeuten.

Anmerkung Detlef Brock – Redakteur

Als pulmonale Kachexie wird ein ungewollter Gewichtsverlust durch die erhöhte Atemarbeit bei einer respiratorischen Insuffizienz bezeichnet.

Mit dem Begriff Kachexie bezeichnet man einen pathologischen Gewichtsverlust.

Untergewicht in diesem Maße kann nicht nur einen Mehrbedarf an Ernährung begründen ( § 21 Abs. 5 SGB II ), sondern auch einen Anspruch möglicher weise auf einen Bekleidungsbedarf (§ 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ), dass hängt immer vom Einzelfall ab.

Gewichtsabnahme von ca. 30 kg recht fertigt Erstausstattung an Bekleidung – so zum Bürgergeld: LSG Hamburg mit Urteil vom 27.10.2011 – L 5 AS 342/10 –

Auch im SGB XII – der Sozialhilfe § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB 12 kann so ein Anspruch bestehen ( SG Lüneburg S 32 SO 3/10 ER )

Außergewöhnliche Umstände wie erhebliche Gewichtsschwankungen, können einen besonderen Bedarf begründen, wenn so gut wie keine brauchbaren Kleidungsstücke mehr vorhanden sind (vgl. zu der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 3 S.1 Nr. 2 SGB II BSG Urteile vom 13.04.2011 – B 14 AS 53/10 R, Rn. 26 und 23.03.2010 – B 14 AS 81/08 R, Rn. 15 f; BT-Drs. 15/1514 S. 60).

LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.10.2015 – L 2 SO 3755/14 –

Erheblicher Gewichtsverlust ( 205 kg auf 138 kg) eines fast 2m großen Sozialhilfebeziehers durch Magenverkleinerung auf Grund der Adipositas (BMI von 53,4) rechtfertigen eine Bekleidungserstausstattung in Höhe von 800 €.

Bürgergeld: Jobcenter muss Bekleidungserstausstattung bei erheblicher Gewichtsabnahme zahlen

Rechtstipp: noch zu Hartz IV ergangen, gilt aber bis heute

Krankheitsbedingtes Untergewicht kann einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV Leistungen) wegen kostenaufwändiger Ernährung bedeuten ( SG Aurich, Urteil v. 25.08.2015 – S 55 AS 100/14 – ).

So auch Bay LSG, Urteil vom 10.08.2011, – L 16 AS 403/09 –

Ein finanzieller Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung kann nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins von 2008 nicht ausgeschlossen werden für Erkrankungen der Colitis ulcerosa, einer Krebserkrankung und einer Morphintherapie bei Schmerzsyndrom.

Colitis ulcerosa und Krebs können zu den so genannten verzehrenden (konsumierenden) Erkrankungen gehören, bei denen gemäß Nummer II.2. 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins im Einzelfall ein erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen kann.

Im Falle von Untergewicht oder eines schnellen krankheitsbedingten Gewichtsverlusts von 5 % in drei Monaten kann bei den sogenannten verzehrenden Erkrankungen nach Nr. II.2 4.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins regelmäßig von einem erhöhten Ernährungsbedarf ausgegangen werden .

Lesetipp und gleichzeitig Rechtstipp

Hartz-IV-Mehrbedarf bei Leberzirrhose mit Untergewicht –

Hartz-IV-Mehrbedarf bei Leberzirrhose mit Untergewicht

Wann haben die Gerichte den Mehrbedarf für Ernährung bei Untergewicht verneint?

LSG BW – L 13 AS 4462/07 –

Unverzichtbare Voraussetzung für einen krankheitsbedingten Mehrbedarf ist, dass ein ärztliches Attest die Erforderlichkeit der besonderen verordneten Kostform darlegt und nicht nur den Gesundheitsschaden benennt.

Aufgrund der Zweckbestimmung des Mehrbedarfs ist zudem für die Anerkennung im Einzelfall zu fordern, dass der Hilfebedürftige substantiiert darlegt, welche verordnete Kostform oder Diät er einhält und welche Aufwendungen er insoweit hat.

Eine besondere Kostform oder Diät ist im Falle einer Erkrankung an Hepatitis C ohne Komplikationen nicht allgemein krankheitsbedingt erforderlich.

Vollkost bedingt keinen Ernährungsaufwand, der nicht durch die Regelleistung gedeckt wird.

Schlusstipp

Bei Geltendmachung so eines Mehrbedarfs wegen krankheitsbedingtem Untergewicht zählen immer die Umstände des Einzelfalls (BSG Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 64/06 R -).