Inhaltsverzeichnis
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Kindergeldnachzahlung – einmalige Einnahme
Zum Verhältnis zwischen § 11 Abs 1 S 4, 5 SGB 2 und § 11 Abs 3 S 4 SGB 2 aF im Hinblick auf die Berücksichtigung einer Kindergeldnachzahlung für ein volljähriges Kind, das in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter lebt, als Einkommen.
Das BSG hat heute in Kassel wie folgt geurteilt:
1. Die Kindergeldnachzahlung war nicht auf 6 Monate aufzuteilen, sondern als Einmalige Einnahme zu berücksichtigen.
2. Auch bei Nachzahlungen wie Kindergeld gilt, dass im Monat des Zuflusses die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € nur einmalig abgesetzt werden kann.
Die Kindergeldnachzahlung ist als einmalige Einnahme zu berücksichtigen. Die Klägerin hatte somit keinen Erfolg vor dem BSG. (BSG, Urt. v. 11.07.2024 – Az: B 4 AS 14/23 R)
Teilweise Aufhebung und Rückforderung des Jobcenters war rechtens
Denn mit der Wiederaufnahme laufender Kindergeldzahlungen und der Kindergeldnachzahlung im selben Monat war eine wesentliche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 25. November 2017 eingetreten, durch den letztmalig eine Festsetzung der von der Aufhebung allein betroffenen Leistungen für Regelbedarfe erfolgte.
Kindergeld steht dem kindergeldberechtigten Elternteil zu und ist dessen Einkommen
Das Kindergeld ist aber dem Kind zu zurechnen, wenn es für seinen Lebensunterhalt benötigt wird. Der Kindergeldübergang bleibt immer Einkommen des Kindergeldberechtigten, hier der Mutter.
Diese Zuordnungsgrundsätze gelten auch für Kindergeldnachzahlungen, so ausdrücklich die Richter in Kassel.
Kindergeldnachzahlung war – nicht – auf 6 Monate aufzuteilen
Weil durch die Kindergeldnachzahlung der Leistungsanspruch des Sohnes der Klägerin entfiel.
Diese Regelung zum Berücksichtigungszeitpunkt lässt die spezielle Regelung der personellen Zuordnung von Kindergeld nach § 11 Absatz 1 Satz 5 SGB II unberührt. Hierfür spricht entscheidend das mit der (teilweisen) Zuordnung von Kinderzuschlag und Kindergeld zum Einkommen des jeweiligen Kindes verfolgte Ziel, dessen Abhängigkeit von Sozialgeld und Arbeitslosengeld II zu beseitigen.
Diesem Ziel liefe es zuwider, wenn in Fällen wie diesem eine Aufteilung auf sechs Monate dazu führte, dass das Kind im Leistungsbezug verbliebe.
Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass § 11 Absatz 3 Satz 4 SGB II ein Ende der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung verhindern soll, wenn durch einmalige Einnahmen der Leistungsanspruch im Zuflussmonat entfällt.
Dieser Gedanke aus den Erstjahren des SGB II hat an Bedeutung verloren
Denn anfallenden Beiträge könne seit 2009 nach § 26 SGB II im notwendigen Umfang übernommen, wenn allein aufgrund der Beiträge erneut Hilfebedürftigkeit einträte und nicht ohnehin Familienversicherung besteht oder die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht wegen der rückwirkenden Aufhebung von Leistungen erhalten bleiben.
Absetzung der Versicherungspauschale nur einmalig – nicht einmal pro Monat der Nachzahlung
Beim Zufluss der Kindergeldnachzahlung im Januar war die Versicherungspauschale nur für Januar abzusetzen (Nachzahlung von Kindergeld war aber für 3 Monate).
Weil nach Meinung des 4. Senats des BSG
§ 11b SGB II in Verbindung mit § 6 Arbeitslosengeld II-Verordnung, wonach von dem Einkommen ein Pauschbetrag in Höhe von 30 Euro – monatlich – für Versicherungen abzusetzen ist, folgt bereits dem Wortlaut nach dem Prinzip, dass einmalige Einnahmen, auch Nachzahlungen, in dem Monat zu berücksichtigen und um eine Versicherungspauschale zu mindern sind, in dem sie (normativ) zufließen. Terminbericht BSG v. 12.07.2024
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Hier hatte ich nichts anderes erwartet, bei der Absetzung der Versicherungspauschale nur einmalig bin ich verwundert.
Hier muss man erst mal den Volltext abwarten und nachlesen. Ich könnte mir aber denken, warum die Pauschale in Höhe von 30 Euro nur einmalig abgezogen wurde, denn die Nachzahlung wurde ja bei dem Sohn angerechnet, somit minus 30 Euro und der Rest- der Überhang bei der Mutter, noch mal minus 30 Euro. Damit dürfte dem genüge getan sein. Außerdem haben zuletzt Landessozialgerichte, wie das LSG Sachsen geurteilt, dass das rechtens sei.
Rechtstipp Detlef Brock
Die Versicherungspauschale von 30,00 Euro ist bei einer Nachzahlung von Kindergeld für mehrere Monates nicht mehrfach in Abzug zu bringen ( Sächsisches LSG, Urt. v. 06.12.2022 – L 4 AS 939/20 – Anschluss an LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 8. September 2020 – L 7 AS 354/19 – ).
Anderer Auffassung zur Absetzung der 30 Euro Versicherungspauschale bei Kindergeldnachzahlung:
1. LSG Berlin Brandenburg, Urteil vom 17. September 2015 – L 31 AS 1571/15 – Auch wenn das Kindergeld im Rahmen einer Nachzahlung für mehrere Monate in nur einem Monat zufließt, ist für jeden Monatsbetrag die Versicherungspauschale von 30,- € abzusetzen.
2. SG Hildesheim, Urt. v. 30.09.2021 – S 26 AS 1381/20 – Bei einer Kindergeldnachzahlung ist für jeden Monat die Versicherungspauschale zu berücksichtigen.
Anmerkung zur – einmaligen Absetzung der Versicherungspauschale – vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Kehrtwende beim 4. Senat des BSG zwecks Absetzung der Versicherungspauschale bei Nachzahlungen?
Rudert der 4. Senat unter neuem Vorsitz etwa zurück, denn 2021 war er noch ganz anderer Auffassung
Wie schon in meinem Rechtstipp erklärt, hatte das SG Hildesheim geurteilt, dass bei der Anrechnung einer Kindergeldnachzahlung auf Leistungen nach dem SGB II für jeden Monat der Nachzahlung die Versicherungspauschale von 30 € in Abzug zu bringen sei.
Anrechnung einer Kindergeldnachzahlung auf Leistungen nach dem SGB II ( SG Hildesheim, Urt. v. 30.09.2021 – S 26 AS 1381/20 – ).
Siehe dazu den Beitrag von RA Dr. Robin von Eltz: https://www.rechtsanwalt-von-eltz.de/anrechnung-einer-kindergeldnachzahlung-auf-leistungen-nach-dem-sgb-ii/
Auch das BSG selbst scheint diese Ansicht zu vertreten.
Denn das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte mit Urteil vom 08.09.2020 – L 7 AS 354/19 noch entschieden, dass die Versicherungspauschale bei einer Kindergeldnachzahlung nicht mehrfach in Abzug zu bringen ist.
Dagegen war Revision eingelegt worden und das Jobcenter erkannte den Anspruch nach einem rechtlichen Hinweis des BSG in der mündlichen Verhandlung an (B 4 AS 78/20 R – Terminbericht).
Darum stelle ich als Beweis das Urteil des SG Hildesheim hier mal zur Veröffentlichung: https://tacheles-sozialhilfe.de/files/Urteile/Ticker/Urteil_SG_Hildesheim.pdf
Des weiteren den Terminbericht des BSG v. 30.06.2021 – B 4 AS 78/20 R – Terminsbericht: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Verhandlungen/DE/2021/2021_06_30_B_04_AS_78_20_R.html
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Eindeutige Verschlechterung für Bürgergeld- Empfänger
Natürlich ist das eindeutig eine Verschlechterung für Leistungsempfänger, denn wenn eine Nachzahlung kommt wie Kindergeld, Unterhalt, Rentennachzahlung usw., ist die Versicherungspauschale nur noch einmalig abzusetzen, so der 4. Senat des BSG, mit einem neuem Richter.
Die Versicherungspauschale von 30,00 Euro ist bei einer Nachzahlung von Kindergeld für mehrere Monates nicht mehrfach in Abzug zu bringen.
Richter am Bundessozialgericht Dr. Martin Estelmann zum Vorsitzenden Richter ernannt: https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/2023_36.html
Dieser gute Dr. M. Estelmann war vor einer Ernennung zum BSG Richter nämlich Richter beim LSG Sachsen und das urteilte nämlich:
Sächsisches LSG, Urt. v. 06.12.2022 – L 4 AS 939/20 – Anschluss an LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 8. September 2020 – L 7 AS 354/19 –
Die Versicherungspauschale von 30,00 Euro ist bei einer Nachzahlung von Kindergeld für mehrere Monates nicht mehrfach in Abzug zu bringen .
Fazit
2021 war der 4. Senat des BSG noch der Auffassung, dass bei Nachzahlungen die Pauschale für 30 € für Versicherungen für jeden Monat der Nachzahlung abzusetzen sei.
Jetzt aktuell ist der 4. Senat mit neuem Vorsitz ( Richter ) der Meinung – Auch bei Nachzahlungen wie Kindergeld gilt, dass im Monat des Zuflusses die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € nur einmalig abgesetzt werden kann.
Etwas Hoffnung gibts noch – ansonsten eindeutige Verschlechterung bei der Absetzung der Versicherungspauschale bei Nachzahlungen Vielleicht entscheidet ja der 7. Senat des BSG mal was Anderes, auch das wäre nicht ungewöhnlich.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.