In einem aktuellen Fall verlangt ein Jobcenter im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens die Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge über einen Zeitraum von fünf Monaten. Das sorgt bei Betroffenen für Verunsicherung – und wirft wichtige rechtliche und datenschutzrechtliche Fragen auf.
Der Fall betrifft einen Bürgergeldempfänger, der sich eigenständig und ohne anwaltliche Vertretung zur Wehr setzt und nun vom Jobcenter detaillierte Einblicke in seine finanzielle Vergangenheit liefern soll. Ist das rechtens? Und wie sollten Betroffene in solchen Fällen vorgehen?
Hintergrund: Verkürzter Bewilligungszeitraum und Widerspruch
Der Fall begann mit einem Weiterbewilligungsantrag (WBA), der online eingereicht und um geschwärzte Kontoauszüge der letzten drei Monate ergänzt wurde – eine inzwischen gängige Praxis.
Daraufhin kürzte das zuständige Jobcenter den Bewilligungszeitraum von regulären sechs auf lediglich drei Monate. Begründet wurde dies mit einer angeblich nicht uneingeschränkten Erreichbarkeit des Antragstellers.
Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene Widerspruch ein – eigenständig und ohne juristischen Beistand.
Im Rahmen dieses Verfahrens erhielt er ein weiteres Schreiben vom Jobcenter mit der Aufforderung, sämtliche Kontoauszüge aller Giro- und Sparkonten ungeschwärzt für den Zeitraum von Februar bis Juni – also fünf Monate – nachzureichen. Andernfalls werde das Widerspruchsverfahren auf Basis des bisherigen Sachverhalts entschieden. Eine Rechtsfolgenbelehrung war beigelegt.
Der rechtliche Rahmen: Was darf das Jobcenter überhaupt verlangen?
Zentrale Rechtsgrundlagen für die Anforderung von Kontoauszügen finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere in § 60 SGB I (Mitwirkungspflichten) sowie § 67a SGB X (Datenschutz und Sozialdaten). Ergänzt werden diese Regelungen durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das in zwei Grundsatzurteilen festgestellt hat, dass Jobcenter bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit grundsätzlich die Kontoauszüge der letzten drei Monate einsehen dürfen – und zwar auch ohne konkreten Verdacht auf Leistungsbetrug.
Diese Grundsatzentscheidung zielt jedoch klar auf die Antragstellung bzw. Weiterbewilligung ab. Dass hier ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Kontrolle der Bedürftigkeit besteht, liegt auf der Hand.
Aus dem Antrag auf Bürgergeld folgt somit eine umfassende Prüfungspflicht – inklusive Kontoauszüge. Die Vorgabe gilt grundsätzlich für die letzten drei Monate.
Eine darüber hinausgehende Forderung ist nur unter besonderen Umständen möglich: etwa bei begründetem Verdacht auf Leistungsmissbrauch, wie etwa das Verschweigen von Vermögen, nicht angegebenen Einkünften oder ungewöhnlich hohen Geldeingängen.
In solchen Fällen können Jobcenter sogar Kontoauszüge für deutlich längere Zeiträume einfordern – bis hin zu mehreren Jahren. Allerdings bedarf es dafür eines konkreten Anlasses oder Hinweises, was im vorliegenden Fall nach gegenwärtiger Sachlage nicht gegeben zu sein scheint.
Fragwürdige Ausweitung im Widerspruchsverfahren
Besonders brisant: Die Forderung nach fünf Monaten Kontoauszügen erfolgt nach der eigentlichen Bewilligung – im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Verkürzung des Leistungszeitraums.
Das wirft rechtliche und verfahrenslogische Fragen auf. Denn der Anspruch auf Bürgergeld für den streitgegenständlichen Zeitraum wurde bereits geprüft und bewilligt – wenn auch nur für drei Monate. Die Hilfebedürftigkeit wurde damit grundsätzlich anerkannt.
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Bescheid prüfenDie Forderung im Widerspruchsverfahren wirkt damit wie eine nachträgliche „Nachprüfung“, ohne dass ein konkreter Verdacht vorläge. Rechtsdogmatisch ist das problematisch. Denn der Zweck des Widerspruchsverfahrens ist es, eine verwaltungsinterne Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung herbeizuführen – nicht eine neue Prüfung von Hilfebedürftigkeit oder gar die nachträgliche Generierung von Prüfgrundlagen.
Es stellt sich daher die Frage, ob das Jobcenter hier seine Kompetenzen überschreitet, indem es versucht, zusätzliche Mitwirkungspflichten durchzusetzen, die in einem solchen Verfahrensabschnitt nicht mehr erforderlich oder angemessen erscheinen.
Zudem bleibt offen, ob die Aufforderung zur Einreichung ungeschwärzter Kontoauszüge datenschutzrechtlich haltbar ist, sofern keine Verdachtsmomente vorliegen.
Datenschutz und Verhältnismäßigkeit
Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Forderung nach ungeschwärzten Kontoauszügen. Zwar dürfen Jobcenter grundsätzlich verlangen, dass bestimmte relevante Buchungen lesbar bleiben – etwa Mieteingänge, Einkünfte oder Überweisungen an Dritte.
Doch private Informationen, etwa Ausgaben für Medikamente, Mitgliedsbeiträge, politische Spenden oder Zahlungen an Beratungsstellen, dürfen geschwärzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu klare Grenzen gezogen.
In dem nun bekannt gewordenen Fall geht das Jobcenter jedoch explizit auf die Unzulänglichkeit der bereits geschwärzten Auszüge ein und fordert nun vollständige Offenlegung.
Auch das erscheint rechtlich zweifelhaft – zumal bereits in der Erstprüfung keine unüberwindbaren Bedenken formuliert worden waren. Dies könnte auf eine unnötige Eskalation durch die Verwaltung hindeuten.
Zwischenfazit: Zwei zentrale Argumente gegen die Forderung
Rechtlich lässt sich die Forderung nach fünf Monaten ungeschwärzter Kontoauszüge aus zwei Gründen infrage stellen:
Erstens wurde die Hilfebedürftigkeit bereits geprüft und bewilligt. Eine nachträgliche Ausweitung der Mitwirkungspflicht im Widerspruchsverfahren ohne triftigen Grund ist nicht vorgesehen.
Zweitens liegt kein erkennbarer Verdachtsmoment auf Leistungsmissbrauch vor, der eine solche Ausweitung rechtfertigen würde. Die pauschale Behauptung, der Antragsteller sei nicht uneingeschränkt erreichbar gewesen, stellt keine belastbare Grundlage dar, um tiefgreifende Eingriffe in die Privat- und Datenrechte zu legitimieren.
Praktische Handlungsmöglichkeiten für Betroffene
Für Betroffene in vergleichbaren Situationen empfiehlt es sich, frühzeitig rechtlichen Beistand zu suchen – sei es durch Sozialberatungsstellen, Erwerbsloseninitiativen oder Fachanwälte für Sozialrecht. Auch eine Akteneinsicht nach § 25 SGB X kann helfen, um zu prüfen, auf welcher konkreten Grundlage das Jobcenter seine Forderung stützt.
Die Rückfrage des Betroffenen im Fallbeispiel bei der Rechtsstelle des Jobcenters nach der konkreten Rechtsgrundlage ist ein richtiger Schritt. Bleibt diese unbeantwortet oder vage, sollte der Sachverhalt unbedingt juristisch weiter geprüft werden.
Wichtig ist zudem, dass im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens keine automatische Einstellung der Leistungen erfolgen darf – solange kein neues Bewilligungsverfahren betroffen ist. Eine Leistungsverweigerung wäre nur bei fehlender Mitwirkung im Rahmen eines aktiven Neuantrags zulässig, nicht jedoch im laufenden Widerspruch.