Bürgergeld Versagungsbescheid rechtswidrig, wenn die Behörde eine nur teilweise Entziehung nicht in Betracht zieht

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Hat das Jobcenter von dem ihm eingeräumten Ermessen bei der Versagung der beantragten Leistung keinen Gebrauch gemacht oder fehlerhaft im Sinne eines Abwägungsdefizits fehlerhaft Gebrauch gemacht oder den eingeräumten Ermessensspielraum durch lediglich formelhafte Wendungen unzureichend ausgefüllt, so ist der Versagungsbescheid aufzuheben.

Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauch liegt hier zum Umfang der Versagung vor, denn das Jobcenter hat die Bürgergeld Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen ( so das LSG NRW Az. L 2 AS 1918/21 B ).

Kurzbegründung des Gerichts

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I liegen nicht vor.Der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Diese Mitwirkungsobliegenheiten gelten auch im Rahmen des SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R – ).

Der Kläger wurde schriftlich aufgefordert, lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate und den Aufhebungsbescheid Sozialhilfe vorzulegen

Dem Bürgergeld Bezieher war aber eine Mitwirkung – subjektiv unmöglich

Der Leistungsempfänger konnte der Aufforderung zur Vorlage des Aufhebungsbescheids Sozialhilfe aber – nicht nachkommen, weil ein Aufhebungsbescheid, der innerhalb der vom Jobcenter gesetzten Frist hätte eingereicht werden können, objektiv nicht existierte. Dem Kläger war die Erfüllung der von ihm verlangten Mitwirkungshandlung damit auch subjektiv unmöglich. Der Kläger hat dies auch nachweislich per Mail dem Jobcenter mitgeteilt.

Auch die Aufforderung, die Kontoauszüge vorzulegen, konnte eine Versagungsentscheidung tatbestandlich nicht begründen

Das Jobcenter erlangte zunächst die „lückenlosen Kontoauszüge der letzten drei Monate und sprach in dem Erinnerungsschreiben von einem Nachweis über das aktuelle Konto. Aber auch die Erfüllung dieser Aufforderung war dem Kläger nicht möglich, denn zu diesem Zeitpunkt war das alte Konto des Klägers bereits aufgelöst worden.

Einen Nachweis hierüber und die Kontoauszüge bis zum Zeitpunkt der Kontoauflösung hatte der Kläger ausweislich des Aktenvermerks über die Prüfung von Kontoauszügen vorgelegt. Einen Nachweis über das aktuelle Konto konnte der Kläger nicht vorlegen, weil ein solches nicht bestand.

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Das Gericht weist ausdrücklich auf Folgendes hin

Auf der Rechtsfolgenseite begegnet die Ermessensentscheidung des Jobcenters, die Leistungen vollständig zu versagen, ebenfalls Bedenken, denn bei der Anwendung der gesetzlichen Vorgaben sind dem Jobcenter Fehler unterlaufen.

1. Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauch liegt hier zum Umfang der Versagung vor (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 – L 25 AS 1035/19 -). Das Jobcenter hat Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen.

Bereits bei der Belehrung über die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung (§ 66 Abs. 3 SGB I) fehlt der Hinweis auf die Möglichkeit einer nur teilweisen Versagung. Dabei spricht nach Lage der Akten nichts dafür, dass das Jobcenter annehmen durfte oder angenommen hat, der Kläger hätte über Einkommen oder Vermögen verfügt, das seinem Leistungsanspruch entgegenstand.

Dass das Jobcenter die Möglichkeit einer nur teilweisen Versagung in die Ermessenserwägungen gar nicht erst eingestellt und so gehandelt hat, als ob nur eine gänzliche Versagung zu treffen ist, stellt einen Ermessensnichtgebrauch dar.

2. Darüber hinaus besteht ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Abwägungsdefizits, weil nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung eingeflossen sind (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.01.2020 – L 4 AS 269/18 -).

Im Bescheid vom xxx heißt es, der Kläger habe keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können. Dabei hatte der Kläger zur Antragsbegründung vorgetragen, alleinstehend zu sein und seinen Lebensunterhalt in der Vergangenheit mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII sichergestellt zu haben.

Diesen Vortrag des Klägers, über kein Einkommen und Vermögen zu verfügen, hat das Jobcenter – auch in Kenntnis des damit verbundenen fehlenden Krankenversicherungsschutzes – im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers unberücksichtigt gelassen.

Anmerkung vom Experten für Sozialrecht Detlef Brock

1. Die Entscheidung über eine Versagung nach § 66 Abs 1 SGB I steht im Ermessen des Leistungsträgers. Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs kann darin bestehen, dass die Behörde Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen ( so auch das LSG Berlin-Potsdam Az. L 25 AS 1035/19 ).