Bürgergeld: Keine Mietschuldenübernahme bei Überschreitung der Angemessenheitsgrenze um 25%

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Bürgergeldempfängerin meint: Es muss möglich sein, in der Umgebung von Nichthilfeempfängern und ähnlich wie diese zu leben, dieser Traum wurde leider nicht wahr.

Einstweiliger Rechtsschutz auf darlehensweise Übernahme von Mietschulden verneint

Keine Übernahme von Mietschulden im Eilverfahren bei unangemessenen Kosten der Unterkunft.

Orientierungssatz Sozialrechtsexperte Detlef Brock

1. Anordnungsanspruch wurde im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht glaubhaft gemacht, denn zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten wurden nicht ausgeschöpft, wie das Suchen nach Alternativwohnraum und der Nachweis des Nicht – Vorhandenseins nach Ersatzwohnraum wurde nicht erbracht.

2. Das Reihenhaus war von Anfang an unangemessen groß und unangemessen teuer für eine 2 köpfige Bedarfsgemeinschaft.

3. Eine dauerhafte Sicherung der Unterkunft für die Zukunft war nicht möglich, weil die Mutter über keinerlei Einkommen verfügte, nur Bürgergeld und Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehung.

4. Grundsätzlich ist ihnen ein Umzug im gesamten Vergleichsraum zuzumuten.

5. Grundsätzlich hat ein 8 – jähriges Kind kein Anspruch auf ein eigenes Zimmer, denn Je nach Zuschnitt ist es auch in einer Zweiraumwohnung möglich, jedem der beiden Bewohner einen eigenen Rückzugsbereich einzuräumen.

6. Alleinerziehende mit 8 – jährigem Kind benötigt keine Dreiraumwohnung.

7. Bei Umzug ist ein Schulwechsel für einen 8 – Jährigen – grundsätzlich – zumutbar ( vgl. LSG BB L 31 AS 627/23 B ER ).

Das Gericht führt aus:

” Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Entscheidung nach Satz 1 steht im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Leistungsträgers. Dieses Ermessen verdichtet sich zu einem sog. gebundenen Ermessen, wenn die Voraussetzungen des Satzes 2 der Vorschrift vorliegen.

Dann verbleibt dem Leistungsträger im Regelfall – abgesehen von besonders gelagerten Ausnahmen – kein Ermessensspielraum mehr. Nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen.

Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II). Vom Regelungsgehalt der Vorschrift ist nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine solche von sonstigen Schulden – insbesondere von Energiekostenrückständen – erfasst. Regelmäßig setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit wegen der nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen voraus, dass der Tatbestand von § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II erfüllt ist.”

Zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten müssen ausgeschöpft sein

Eine Schuldenübernahme durch das Jobcenter kommt nur in Betracht, wenn diese objektiv geeignet ist, die derzeit bewohnte Wohnung als Unterkunft langfristig und dauerhaft zu sichern, wenn der Leistungsberechtigte seine zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und zudem Wohnungslosigkeit droht.

Daneben sind sonstige Umstände, wie die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, der konkrete von der Sperrung betroffene Personenkreis oder das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten zu berücksichtigen (so auch: Beschluss des 5. Senats des LSG Sachsen-Anhalt vom 18. Dezember 2013, – L 5 AS 683/13 B ER – ).

Voraussetzung der drohenden Wohnungslosigkeit wurde von der Bürgergeld Familie nicht glaubhaft gemacht

Weil im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Glaubhaftmachung der drohenden Wohnungslosigkeit voraus gesetzt wird, damit die erforderliche Ermessensreduzierung vorliegt- heißt Mietschulden sollen übernommen werden.

Verlust der bislang bewohnten Wohnung muss drohen – diese kostenangemessenen ist und kein Ersatzwohnraum verfügbar ist (BSG B 14 AS 58/09 R). Dies ist den Antragstellern vor Gericht nicht glaubhaft gelungen.

Das Gericht konnte sich nicht davon überzeugen lassen, dass kein angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung stehe. Des weiteren bewerte das Gericht die derzeit bewohnte Wohnung/Haus als – unangemessen.

Reihenhaus war von Anfang an unangemessen groß und unangemessen teuer

Trotzdem gelang es in der Vergangenheit der Familie die KdUH auf zu bringen, obwohl das Jobcenter nur die angemessenen Kosten des Reihenhauses bezahlte.

Gericht ist davon überzeugt, dass die Antragsteller ihre zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten durch die erbrachten Zusatzzahlungen ausgeschöpft haben

Maßgeblich ist für das Gericht die unangemessene Größe des Reihenhauses für eine zweiköpfige BG

Auch wenn das Gericht das Konzept des Grundsicherungsträgers bezweifeln sollte, ändere es nichts an der Tatsache, dass die Mietkosten zu hoch wären, denn auch die Heizkosten des Hauses sind zu hoch.

Eine dauerhafte Sicherung der Unterkunft für die Zukunft ist nicht möglich

Dafür ist das Haus einfach zu teuer. . Denn nach einer Darlehensgewährung müssten die Antragsteller nicht nur die monatliche Differenz zu den KdUH-Leistungen des Jobcenters von 220,26 € tragen, sondern auch das erhaltene Darlehen mit monatlichen Raten von 5% des maßgeblichen Regelbedarfs der Antragstellerin als Darlehensnehmerin (derzeit 28,15 €) tilgen (§ 42a Abs. 2 SGB II).

Die Unterkunftskosten der Antragsteller überschreiten die Angemessenheitsgrenze des Jobcenters um 25%

Differenz könnte aus Freibeträgen aus Erwerbseinkommen bezahlt werden – manche Familien gelingt das sogar, so die Gerichtsmeinung.

Aber die Antragstellerin verfügt nicht über Freibeträge aus Erwerbseinkommen oder dauerhaft über sonstige finanzielle Mittel. Der Mehrbedarf für Alleinerziehende reicht bei weitem nicht aus, um die oben beschriebene monatliche Differenz aufzubringen.

Wenn eine längerfristige Sicherung der Unterkunft durch ein Darlehen nicht zu erreichen ist, ist die Schuldenübernahme nicht gerechtfertigt (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 14. Mai 2018 – L 2 AS 557/18 B ER – )

Denn eine Übernahme von Mietschulden erfolgt nicht, um Leistungsberechtigte von zivilrechtlichen Forderungen aus dem Mietverhältnis freizustellen oder um Zahlungsansprüche des Vermieters zu sichern. Eine angemessene Ersatzwohnung zu finden ist nicht unmöglich – so das Gericht. Denn grundsätzlich ist ihnen ein Umzug im gesamten Vergleichsraum zuzumuten.

Der Wunsch der Antragsteller, in eine Dreiraumwohnung umzuziehen, damit der Antragsteller ein Kinderzimmer zur alleinigen Benutzung erhält, ist für den Senat verständlich und gut nachzuvollziehen.

8 – jähriges Kind hat keinen Anspruch auf eigenes Kinderzimmer

Aber nicht notwendig nach Auffassung des Gerichts, denn es besteht kein Anspruch auf das Vorhandensein eines Kinderzimmers. Je nach Zuschnitt ist es auch in einer Zweiraumwohnung möglich, jedem der beiden Bewohner einen eigenen Rückzugsbereich einzuräumen.

Bei Umzug ein Schulwechsel für einen 8 – Jährigen zumutbar?

Grundsätzlich JA meint das Gericht!

Eine Vielzahl von Kindern ist von einem Umzug der Eltern betroffen, der sich nicht an schulischen Belangen der Kinder orientiert.

Es kommt zu Umzügen, wenn die Eltern den Arbeitsplatz wechseln, Elternbeziehungen zerbrechen oder attraktiverer Wohnraum finanziert werden kann. Es handelt sich um Veränderungen in den Lebensumständen, mit denen auch Kinder zurechtkommen können und müssen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. August 2023 – L 31 AS 627/23 B ER – ).

Fazit:

Die Antragsteller waren auf die zumutbare Möglichkeit eines Wohnungswechsels und den Bezug einer angemessenen Wohnung zu verweisen. Die Mietschulden wurden nicht übernommen, weil auch die Frage des Gerichts nicht beantwortet wurde, ob Alternativwohnungen aktuell zur Verfügung stehen würden.

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Grundsätzlich stimmt erst mal die Aussage, dass Mietschulden nur bei angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen werden. Hier war das auch von Anfang an so gut wie aussichtslos für die Mutter mit dem minderjährigen Kind. Kein Erwerbseinkommen, kein baldiger Bezugsende vielleicht von Bürgergeld oder ein Minijob, die Unterkunft war hier einfach für die Zukunft nicht zu bezahlen.

Zusammengefasst gesagt: Die langfristige Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft ist im Regelfall nicht gerechtfertigt.

Aber auch wenn die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch sind, kommt die Übernahme von Mietschulden als Darlehen dann in Betracht, wenn die Antragsteller die Differenz zwischen angemessener Miete und tatsächlicher Miete mit den Freibeträgen aus Erwerbstätigkeit decken können und eine Prognose ergibt, dass die Freibeträge in Zukunft auch tatsächlich zu diesem Zweck verwendet werden, hier in diesem Fall leider beides negativ.

Aber Ausnahmen haben die Rechtsprechung bestätigt: Dazu RA Matthias Göbe, Berlin

1. Wenn der Leistungsberechtigte den Differenzbetrag zwischen der tatsächlichen Miete und der angemessenen Miete aus seinem Erwerbseinkommen oder der Regelleistung aufbringen kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 05.02.2009 – L 26 B 2388/08 AS ER – ).

2. Wenn der Leistungsberechtigte erst seit Kurzem ALG II bezieht und die unangemessen teure Miete vom Jobcenter innerhalb der sechsmonatigen Übergangsfrist des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II noch vollständig übernommen wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 26.10.2206 – L 9 AS 529/06 ER-).

Jobcenter: Die Behörde muss im Einzelfall auch bei unangemessenen KdU Mietschulden übernehmen.

Weitere aktuelle Entscheidung zur Übernahme von Mietschulden bei unangemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung bei laufender Karenzzeit, noch nicht eingeleitetes Kostensenkungsverfahren und somit dem Nichtbestehen einer aktuellen Kostensenkungspflicht

1. Eine Schuldenübernahme kann auch bei unangemessenen KdUH in Betracht kommen, solange keine Pflicht zur Kostensenkung besteht, Ein Kostensenkungsverfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II ist bislang nicht eingeleitet worden, auch nicht, nachdem der Sohn mit seiner Freundin ausgezogen war.

2. Schuldet die Behörde danach für einen letztlich nicht absehbaren Zeitraum auch weiterhin Leistungen für unangemessene KdUH, so kann er dem Hilfebedürftigen nicht entgegen halten, die Schuldenübernahme (unangemessener) KdUH sei nicht geeignet, die Unterkunft iSv § 22 Abs. 8 SGB II zu sichern ( Orientierungssatz Sozialrechtsexperte Detlef Brock zu LSG BB, Beschluss v. 17.06.2023 – L 18 AS 512/23 B ER – ).