Schwerbehinderung: Grad der Behinderung kann addiert werden

Lesedauer 2 Minuten

In einem ergangenen Urteil hat das Sozialgericht Aurich entschieden, dass einem Klรคger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt wird.

Das Versorgungsamt hatte zuvor den GdB des Klรคgers auf 40 festgesetzt. Denn Grรผnde fรผr eine Anerkennung einer Schwerbehinderung kรถnnen addierend sein.

Worum geht es in diesem Fall?

Der Klรคger, geboren 1963, beantragte am 25. Mai 2021 die Hรถherstufung seines Grades der Behinderung.

Bisher hatte er einen GdB von 30, basierend auf einer chronisch-entzรผndlichen Darmerkrankung. Mit dem Neufeststellungsantrag machte er weitere Gesundheitsstรถrungen geltend, darunter Lungenfunktionsstรถrungen, Schlafapnoe, Migrรคne, Depressionen und Rรผckenbeschwerden.

Der versorgungsรคrztliche Dienst der Behรถrde bewertete den GdB jedoch nur mit 40, was der Klรคger nicht akzeptierte und daraufhin Widerspruch einlegte.

Was sind die Kernpunkte des Widerspruchs?

Der Klรคger argumentierte, dass seine vielfรคltigen Gesundheitsstรถrungen in der Gesamtschau eine Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigen wรผrden.

Insbesondere die Kombination eines schweren Lungenleidens mit einem Einzel-GdB von 30 und der bestehenden Darmleiden sei ausreichend fรผr einen Gesamt-GdB von 50. Der Widerspruch wurde jedoch zurรผckgewiesen, sodass der Klรคger Klage vor dem Sozialgericht Aurich erhob.

Die rechtliche Grundlage: Wie wird der Grad der Behinderung festgelegt?

Die rechtliche Grundlage fรผr die Feststellung des GdB ist das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), insbesondere ยง 152, sowie die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).

Letztere enthรคlt die Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze (VMG), die als antizipierte Sachverstรคndigengutachten dienen und die Bewertung des GdB in Zehnergraden regeln.

Wie erfolgt die Bewertung des GdB?

Die Bewertung des GdB erfolgt in mehreren Schritten:

  1. Feststellung der Einzel-GdB: Fรผr jede Gesundheitsstรถrung wird ein Einzel-GdB festgelegt. Im vorliegenden Fall wurden fรผr die Darmerkrankung und die Lungenfunktionsstรถrung jeweils ein Einzel-GdB von 30 festgesetzt.
  2. Gesamtabwรคgung: In einer Gesamtschau werden die einzelnen Beeintrรคchtigungen bewertet, wobei deren wechselseitige Beziehungen berรผcksichtigt werden. Ziel ist es, die Auswirkungen der Gesundheitsstรถrungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu beurteilen.

Welche Gesundheitsstรถrungen lagen vor?

Der Klรคger leidet seit 2004 an einer chronisch-entzรผndlichen Darmerkrankung mit Teilverlust des Dickdarms. Trotz Therapieanpassungen treten regelmรครŸig schmerzhafte Durchfรคlle auf. Der Beklagte bewertete diese Beeintrรคchtigung mit einem Einzel-GdB von 30, was nach den VMG fรผr stรคrkere und hรคufig rezidivierende Symptome angemessen ist.

Der Klรคger hat zudem eine COPD Grad II nach GOLD mit einem Lungenemphysem, was durch regelmรครŸige Lungenfunktionsdiagnostik bestรคtigt wurde.

Die Funktionsbeeintrรคchtigungen wurden ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Zusรคtzlich leidet der Klรคger an einem Schlafapnoe-Syndrom, was mit einem weiteren Einzel-GdB von 20 veranschlagt wurde.

Lesen Sie auch:
Bei Schwerbehinderung auch eine hรถhere Erwerbsminderungsrente? Experte gibt Antworten

Weitere Stรถrungen

Weitere Funktionsbeeintrรคchtigungen, wie orthopรคdische Leiden oder psychische Erkrankungen, wurden im Verlauf des Verfahrens nicht ausreichend belegt und daher nicht zusรคtzlich bewertet.

Die gerichtliche Entscheidung: Warum wurde die Klage stattgegeben?

Das Gericht folgte der Argumentation des Klรคgers, dass die beiden fรผhrenden Gesundheitsstรถrungen (Darmleiden und Lungenfunktionsstรถrung) in ihren Auswirkungen voneinander unabhรคngig sind und unterschiedliche Bereiche des tรคglichen Lebens beeintrรคchtigen.

Diese Unabhรคngigkeit rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts eine Erhรถhung des Gesamt-GdB auf 50.

Wie begrรผndete das Gericht seine Entscheidung?

Das Gericht hob hervor, dass bei der Bewertung des Gesamt-GdB nicht nur die Einzel-GdB addiert werden, sondern eine Gesamtabwรคgung erfolgen muss.

In Fรคllen, in denen zwei fรผhrende Einzel-GdB von 30 vorliegen und die Funktionsbeeintrรคchtigungen unterschiedliche Lebensbereiche betreffen, sei im Regelfall von einer Schwerbehinderteneigenschaft auszugehen.

Diese Sichtweise stehe im Einklang mit den Versorgungsmedizinischen Grundsรคtzen und der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Welche Bedeutung hat das Urteil?

Das Urteil bestรคtigt, dass bei der Bewertung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht nur die Summe der Einzel-GdB entscheidend ist, sondern auch deren wechselseitige Beziehungen und die Auswirkungen auf das tรคgliche Leben. Das Gericht betonte die Bedeutung einer umfassenden Gesamtschau und kรถnnte wegweisend fรผr รคhnliche Fรคlle sein. (Az: S 4 SB 154/21)