Bürgergeld: Jobcenter muss Doppelmiete wegen schwieriger Wohnungsmarktlage zahlen

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Alleinerziehende mit Kindern müssen sich nicht vom Jobcenter darauf verweisen lassen, den Mietvertrag über die bisherige Wohnung schon zu kündigen, bevor ein Mietvertrag über eine neue Wohnung abgeschlossen ist. Stattdessen ist die Behörde verpflichtet, doppelt Miete für Bürgergeld-Bezieher zu zahlen, wenn die Wohnungsmarktlage schwierig ist.

Aus dem Urteil

1. Das Jobcenter muss die Kosten der Doppelmiete als Kosten der Unterkunft für eine Alleinerziehende mit 2 Kindern übernehmen, wenn aufgrund gesundheitlicher Gründe der Umzug erforderlich war.

2. Wenn schon jeder umsichtig und planvoll Handelnde seine alte Wohnung nicht vor Abschluss eines neuen Mietvertrages aufgibt, muss dies erst recht für eine alleinerziehende Mutter mit zwei minderjährigen Kindern gelten.

3. Gerade dieser Personenkreis kann entgegen der Auffassung des Jobcenters nicht darauf verwiesen werden, den Mietvertrag über die bisherige Wohnung schon zu kündigen, bevor ein Mietvertrag über eine neue Wohnung abgeschlossen ist.

4. Unter Berücksichtigung des Wohnungsmarktes im Allgemeinen gelingt es nur sehr schwer, eine neue Wohnung bereits so frühzeitig anzumieten, dass trotz erst danach erfolgender Kündigung des alten Mietverhältnisses keine Doppelmieten anfallen.

Dies gilt besonders verstärkt für Leistungsberechtigte nach dem SGB II/ Grundsicherung, denen nur ein Teil des Wohnungsmarktes offen steht.

5. Es ist einer Familie in dieser besonderen Situation – nicht zuzumuten – , ihr bestehendes Mietverhältnis in der bloßen Erwartung zu kündigen, dass innerhalb der dreimonatigen Kündigungsfrist angemessener Wohnraum gefunden werden wird.

4. Weil der er Umzug erforderlich war, sind die Aufwendungen für jede der beiden Wohnungen, die zudem auch beide angemessen waren, und es nicht zumutbar war, die sich überschneidenden Mietverhältnisse zu vermeiden, als Kosten der Unterkunft zu übernehmen (Orientierungssatz Detlef Brock) So entschieden vom LSG NRW, Urt. v. 13.09.2018 – L 6 AS 2540/16 –

Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock

Diese Sichtweise des 6. Senats des LSG NRW hat sich 3 Jahre später der 14. Senat des BSG angeschlossen.

Das BSG urteilte wie folgt: BSG, Urt. v. 30.10.2019 – B 14 AS 2/19 R –

Im Monat eines Umzugs können ausnahmsweise die tatsächlichen Aufwendungen für zwei Wohnungen als Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen sein.

Einen wichtigen Hinweis gab damals das Bundessozialgericht

1. Wenn eine Doppelmiete im Umzugsmonat vermeidbar war, kommt eine Übernahme als Kosten der Unterkunft – nicht in Betracht – das heißt, eure Kosten der Doppelmiete werden nicht übernommen.

2. In Betracht kommt dann aber – grundsätzlich die Übernahme der Kosten für die zweite Wohnung im Rahmen des § 22 Abs 6 Satz 1 SGB II, also als Wohnungsbeschaffungskosten.

Doch wenn es an der hierfür nach dieser Regelung – grundsätzlich erforderlichen vorherigen Zusicherung – (vgl zur Ausnahme hiervon bei treuwidriger Verzögerung BSG vom 6.5.2010 – B 14 AS 7/09 R -) fehlt, scheidet auch diese Übernahme aus.

3. Die Jobcenter müssen denn aber nach der Rechtsprechung des BSG prüfen, ob es konkrete Umstände des Einzelfalls gibt, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für eine (weitere) Ausnahme vom Zusicherungserfordernis des § 22 Abs 6 Satz 1 SGB II streiten können.

Mein Rat für Euch/ Rechtstipp

Ist der beabsichtigte Umzug erforderlich, die neue Wohnung angemessen, die Kosten der Doppelmiete unvermeidbar, sollte man beim Jobcenter:

1. Die Kostenübernahme der Doppelmiete als Kosten der Unterkunft beantragen und hilfsweise nämlich bei Ablehnung als Wohnungsbeschaffungskosten

2. AAAAber auch gleichzeitig hilfsweise die Kosten der 2. Wohnung als Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II beantragen

So kann, wenn das Jobcenter die Übernahme der Doppelmiete ablehnen sollte, nicht sagen, dass die Wohnungsbeschaffungskosten für die 2. Wohnung nicht beantragt wurden und muss bei Vorliegen der Voraussetzungen die Zusicherung als VA erteilen.

Wann werden sogenannte Überschneidungskosten/Doppelmieten nicht übernommen bzw. wann werden sie übernommen

Für die Übernahme einer Doppelmiete reiche es nicht aus, dass der Umzug durch das Jobcenter veranlasst worden sei, denn dies führe nicht automatisch zu einer Doppelmiete.

Eine Doppelmiete müsse vielmehr unvermeidbar sein

Dies könne der Fall sein, wenn es dem Leistungsbezieher nicht möglich gewesen sei, die Kündigungsfrist für die alte Wohnung einzuhalten.

Zu diesen Umständen zählen neben den individuellen Mietverhältnissen unter anderem die

1. konkreten Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt,

2. die persönlichen Lebensverhältnisse des Leistungsberechtigten (z.B. Alleinerziehung, Gesundheitszustand, soziale Schwierigkeiten) und deren Unterstützung durch das Jobcenter beim Wohnungswechsel (BSG, Urteil vom 30.10.2019 – B 14 AS 2/19 -, Rn. 19 – ).

Fazit

Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer doppelten Mietzahlung kann wegen eines erforderlichen Umzugs bestehen.

Die Kosten gehören denn entweder zu den Aufwendungen für die Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II, wenn beide Wohnungen im Zeitraum der Doppelzahlung genutzt wurden und die Doppelmiete nicht vermeidbar war.

Ist dies aber – nicht der Fall, richtet sich der Anspruch auf Kostenübernahme nach § 22 Abs. 6 SGB II ( sog. Wohnungsbeschaffungskosten), was aber unbedingt einen vorherigen Antrag beim Jobcenter bedarf.

Schlussbemerkung mit Beispielen

Muss eine leistungsberechtigte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt umziehen, ohne dass sie/er die Kündigungsfrist der bisherigen Unterkunft einhalten kann, können die laufenden Kosten der bisherigen Unterkunft zusätzlich zu den Kosten der neuen Unterkunft unter folgenden Voraussetzungen, die gleichzeitig vorliegen müssen, übernommen werden:

a) Der Umzug muss zu diesem Zeitpunkt notwendig gewesen sein, so dass eine Überschneidung der Mietzeiträume unvermeidbar war.

Das ist insbesondere bei einem Umzug aufgrund eines Kostensenkungsverfahrens oder eines kurzfristigen Freiwerdens eines Platzes im Pflegeheim ( LSG NRW L 9 SO 6/08 ) oder einer vergleichbaren Einrichtung wie einem Frauenhaus ( LSG Sachsen-Anhalt L 5 AS 725/17) der Fall.

b) Die leistungsberechtigte Person muss alles ihr Mögliche und Zumutbare getan haben, die Aufwendungen für die frühere Unterkunft so gering wie möglich zu halten.

Dazu kann die Suche nach einer Nachmieterin bzw. einem Nachmieter gehören, aber auch das Verhandeln mit der Vermieterin bzw. dem Vermieter über eine frühere Entlassung aus dem Mietvertrag oder ggf. die Suche nach einer Wohnung mit einem späteren Einzugstermin.

Die entsprechenden Bemühungen sind schriftlich nachzuweisen.

Die Miete für die bisherige Unterkunft ist in der Regel begrenzt für die Dauer von bis zu drei Monaten entsprechend der gesetzlichen Kündigungsfrist für Wohnraummieten, weiter zu übernehmen.

Ist für die leistungsberechtigte Person eine gesetzliche Betreuerin bzw. ein gesetzlicher Betreuer bestellt, kann eine über drei Monate hinausgehende Übernahme der Doppelmiete angezeigt sein, bis die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Kündigung vorliegt.

Was gilt hier für die Sozialhilfe? § 35 SGB XII

Doppelte Mietaufwendungen für die alte Wohnung und das Pflegeheim sind bis zu 3 Monate vom Sozialamt zu zahlen, wenn der Auszug aus der Wohnung notwendig war und der Pflegebedürftige bzw. sein Betreuer alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, Mietaufwendungen zu minimieren (BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 8 SO 23/15 R -).

Sozialhilfe: Sozialamt zahlt bei Umzug ins Pflegeheim für bis zu 3 Monate die alte Miete