Die Aufgabe des Jobcenters ist es, Bürgergeld-Bezieher in Arbeit zu vermitteln. Die Arbeitssuchenden verpflichten sich im Gegenzug, alles zu tun, um in Erwerbstätigkeit zu kommen. Soweit die Theorie.
In der Praxis machte es ein Jobcenter einem Erwerbslosen aber unmöglich, eine Stelle anzutreten. Es weigerte sich, ihm die Mietkaution zu bezahlen, wozu die Behörde verpflichtet gewesen wäre.
Mehr noch: Das Jobcenter warf dem Betroffenen sogar sozialwidriges Verhalten vor und forderte von dem Arbeitssuchenden Leistungen der Grundsicherung zurück.
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“Kein sozialwidriges Verhalten”
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen verhalf dem Leidtragenden zu seinem Recht. Es entschied, dass es kein sozialwidriges Verhalten darstelle, wenn ein Arbeitsloser eine neue Arbeitsstelle deswegen nicht antrete, weil er die Mietkaution nicht bezahlen könne.
Das Jobcenter dürfe in diesem Fall keine Leistungen vom Arbeitssuchenden zurückfordern. (Az. L 11 AS 336/21).
Zum Tatbestand
Der Betroffene hatte bis 2003 als Buchhalter gearbeitet, seinen Job verloren und war arbeitslos geworden.
Er meldete sich arbeitslos, nahm an Weiterbildungsmaßnahmen teil und fand hier und dort Beschäftigung in Hilfsarbeiten. Obwohl er sich immer wieder auf Stellen als Buchhalter bewarb, kam er nicht wieder in seinen gelernten Beruf.
Das Jobcenter entschied 2017, dass weitere Bewerbungen in seinem angestammten Beruf nicht zum Erfolg führen würden, und er sich auf alternative Stellen konzentrieren sollte. Fahrtkosten für mögliche Vorstellungsgespräche als Buchhalter übernahm die Behörde nicht mehr.
Erwerbsloser bekommt Stelle, das Jobcenter verweigert die Unterstützung
Obwohl das Jobcenter dem Betroffenen also die Hilfe verweigerte, um in seinem Beruf unterzukommen, fand dieser eine Stelle als Buchhalter und bekam einen Arbeitsvertrag.
Er musste in eine neue Wohnung ziehen, um die Stelle anzutreten. Der Vermieter verlangte eine Kaution, doch das dafür nötige Geld hatte der Betroffene nicht. Da der Umzug so unmöglich war, konnte er die Stelle nicht antreten.
Statt zu helfen, fordert das Jobcenter Geld
Das Jobcenter ließ diesen Menschen gerade in dem Moment im Stich, als er durch eigenes Engagement endlich wieder eine Stelle gefunden hatte. Wegen dieser unterlassenen Hilfeleistung blieb der Betroffene weiter von dem Jobcenter abhängig, das ihm die Unterstützung verwehrt hatte.
Als wäre dieses Unterlassen der Behörde nicht schon schlimm genug, forderte das Jobcenter von dem Geschädigten im nächsten Jahr auch noch eine “Erstattung der Grundsicherungsleistungen” von circa 6.800 Euro.
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Der Schuldige beschuldigt das Opfer
Die selbstgefällige Begründung ließ sich an Zynismus kaum überbieten: Er habe durch das Nichterscheinen zum Einstellungstermin vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert, so das Jobcenter.
In Wirklichkeit hatte das Jobcenter durch das Nichtzahlen der Kaution verhindert, dass der Betroffene die ersehnte Stelle antreten konnte und ihn damit dazu verdammt, weiter von Leistungen der Grundsicherung abhängig zu sein.
Den Arbeitssuchenden trifft keine Schuld
Die Sozialgerichte gaben dem Betroffenen in zwei Instanzen Recht. Das Sozialgericht Osnabrück wies einen Erstattungsanspruch des Jobcenters zurück.
Daraufhin ging die Behörde in Berufung, doch auch das Landessozialgericht stimmte dem Arbeitssuchenden zu und entschied, dass das Jobcenter keinen Anspruch auf Erstattung habe.
Es argumentierte: Das Unterlassen des Arbeitsantritts könnte dem Arbeitssuchenden nicht vorgeworfen werden, da das Jobcenter es abgelehnt hätte, ihn zu unterstützen. Mit anderen Worten: Die Schuld traf nicht den Arbeitssuchenden, sondern die Behörde, die von ihm auch noch Geld verlangte.
Das Jobcenter verletzt seine Pflichten
In diesem Fall war die Rechtslage für beide Instanzen des Sozialgerichts klar ersichtlich. Jobcenter “vergessen” immer wieder, dass nicht nur die Arbeitssuchenden, sondern auch die Mitarbeiter der Behörde sich verpflichten, Erwerbslose in Beschäftigung zu bringen.
Der Betroffene war dieser Mitwirkungspflicht vorbildlich nachgekommen. Ohne Förderung des Jobcenters fand er endlich eine Stelle in seinem angestammten Beruf. Dieser Arbeitsplatz lag außerhalb des Tagespendelbereichs.
Damit war ein Umzug zwingend erforderlich, und der Betroffene hatte diesen bereits geplant. Als Bezieher von Sozialleistungen hatte er keine Ressourcen, um die Mietkaution zu bezahlen.
In diesem Fall hätte das Jobcenter einspringen und die Kaution zumindest als Darlehen übernehmen müssen, denn diese war notwendig, um den Betroffenen in Arbeit zu bringen.
Fazit: Willkür und Anmaßung
Das Verhalten des Jobcenters zeigt die Willkür, mit der Mitarbeiter dieser Behörde selbstherrlich glauben, schalten und walten zu können. Das Jobcenter selbst sorgte durch unterlassene Unterstützung dafür, dass der engagierte Betroffene eine Stelle nicht bekam, die er selbst gefunden hatte.
Auf diese antisoziale Praxis setzte das Jobcenter noch eine groteske Verdrehung der Wirklichkeit, indem es das Opfer selbst für die Folgen des Fehlverhaltens der Behörde verantwortlich machte. Vor Gericht ließ sich diese Verkehrung der Tatsachen nicht mehr aufrecht erhalten.
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht, Sozialpolitik und Naturwissenschaften. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.