Bürgergeld: Jobcenter müssen konkret auf drohenden Leistungsentzug hinweisen

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Das Sächsische Landessozialgericht verpflichtete ein Jobcenter dazu, strengen Anforderungen an schriftliche Hinweise und Ermessensentscheidungen zu genügen, wenn Bezieher von Bürgergeld darüber informiert werden, dass sie (auch) Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch nehmen müssen. (Az: L 4 AS 567/23 B ER)

Die gleichen strengen Anforderungen gelten

Wörtlich schrieb das Gericht erstens: “Die (…) Rechtsfolgenbelehrung unterliegt den gleichen strengen Anforderungen wie der (…) vorgesehene schriftliche Hinweis auf die Rechtsfolgen unterlassener Mitwirkung.”

Und zweitens: “(…) über den Umfang der Versagung oder Entziehung nach § 5 Abs. 3 Satz 3 SGB II bedarf es einer Ermessensentscheidung des Antragsgegners (…).”

Worum ging es?

Die Betroffene (Antragstellerin) lebt mit zwei Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft und bezieht Bürgergeld durch das Jobcenter (Antragsgegner). Sie erhält auch Unterhaltsvorschuss und Kindergeld.

Anspruch auf Kinderzuschlag

Im Februar 2023 teilte das Jobcenter der Betroffenen mit, dass sie einen Anspruch auf Kinderzuschlag haben könnte, diesen bei der Familienkasse beantragen sollte und bis März 2023 nachweisen.

Wörtlich hieß es im Schreiben des Jobcenters: “Sie sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist.”

Der zweite Teil des Schreibens erläuterte mögliche Konsequenzen: “Kommen Sie Ihren Mitwirkungspflichten nicht nach und versagt der vorrangige Träger seine Leistung daraufhin bestandskräftig, können auch Ihre Leistungen nach dem SGB II so lange versagt oder entzogen werden, bis Sie Ihrer Verpflichtung gegenüber der Familienkasse Sachsen nachgekommen sind (§ 5 Absatz 3 Satz 3 SGB II). (…)”

Verletzung der Mitwirkungspflicht?

Das Jobcenter versagte der Betroffenen jetzt teilweise Leistungen, weil sie “ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei”.

Jobcenter handelte rechtswidrig

Das Landessozialgericht erklärte den Bescheid für rechtswidrig. Die Antragstellerin sei nämlich vor Erlass des Entziehungsbescheides (…) nicht angehört worden. Es hätte keine vorgeschriebene Rechtsfolgenbelehrung gegeben.

Die Betroffene sei lediglich allgemein belehrt worden, nicht aber im Hinblick auf einen konkret beabsichtigte Leistungsentzug.

Die Behördenakte würden nicht aufzeigen, ob es Tatsachen gebe, die eine Entziehung von Leistungen rechtfertigten. Die Frage bleibe offen, ob es sich tatsächlich um einen Versagungsbescheid handele und ob dieser zur besagten Zeit bestandskräftig war.

“Erhebliche Bedenken”

Das Gericht äußerte erhebliche Bedenken, ob der vom Jobcenter verfasste Hinweis den Anforderungen entspreche. Denn der Betroffenen hätte keinesfalls klar sein müssen, welche Folgen ihr Verhalten haben würden.

Sie hätte einen Antrag auf Kinderzuschlag bei der Familienkasse gestellt, und “musste (…) nicht schließen, dass eine mangelhafte Mitwirkung im Verfahren der Familienkasse (…) zu einer Versagung bzw. Entziehung von Grundsicherungsleistungen (…) führen würde”.

Vielmehr hätte die Formulierung ein “Können” suggeriert, kein “Müssen”: “”Kommen Sie Ihren Mitwirkungspflichten nicht nach und versagt der vorrangige Träger seine Leistung daraufhin bestandskräftig, können auch Ihre Leistungen nach dem SGB II so lange versagt oder entzogen werden, bis …”

Ein konkreter schriftlicher Hinweis über den Entzug der Leistungen sei notwendig, um der Betroffenenen zu verdeutlichen, dass “ohne ihre Mitwirkung im Verfahren bei der Familienkasse (…) Leistungen entzogen werden würden und in welcher Höhe.”

Es geht nicht um Bestrafen

Es sei auch nicht Sinn und Zweck des entsprechenden Paragrafen § 5 Abs. 3 SGB II, Leistungsberechtigte für ihr Verhalten zu bestrafen.

Außerdem sei der Bescheid vom 15.08.2023 rechtswidrig, da es keine Ermessensentscheidung des Jobcenters über die Höhe des Leistungsentzugs gegeben hätte.