Die Jobcenter müssen auch bei einem Umzug in eine zu teure Wohnung eine Mietkaution als Darlehen erbringen, wenn es dafür nachvollziehbare Gründe gibt und beim Ablehnungsbescheid kein Ermessen ausgeübt wurde.
Gericht urteilt: Fehlende Ermessensausübung bei der Nicht – Bewilligung der Mietkaution aufgrund von Umzug wegen häuslicher Gewalt – rechtswidrig
Das Jobcenter muss bei seiner Ermessensausübung auch familiäre besondere Situationen (Alleinerziehend, mehrere Kleinkinder, Pflegebedürftigkeit, häusliche Beziehungsgewalt) angemessen berücksichtigen.
Der Umzug ist notwendig und sinnvoll, wenn für eine allein erziehende Mutter mit vier Kindern teilweise noch im Kleinkindalter ein weiterer Verbleib in dem ihrem alkoholabhängigen Mann gehörenden Haus unzumutbar ist, gerade wenn er sich nicht an das gerichtlich ihm gegenüber auferlegte Kontaktaufnahmeverbot hält, gewalttätig wurde, sie ständig anruft und sie noch ein pflegebedürftiges Kind mit Pflegegrad 4 zu versorgen hat. ( Sozialrechtsexperte Detlef Brock zu SG München Az. S 13 AS 483/21 ).
Vorgeschichte:
Umzug erforderlich wegen häuslicher Gewalt – eins von 4 Kindern hat Pflegegrad 4 – gepflegt wird es von der Mutter
Die alleinerziehende Mutter von 4 Kindern hat beim Sozialgericht Klage eingereicht, weil das Jobcenter die Mietkaution für die neue Wohnung ablehnte. Die Mutter ist der Auffassung, dass ihr Umzug erforderlich sei wegen ihres alkoholabhängigen Mannes, der auch ihr gegenüber gewalttätig geworden sei.
Außerdem sei eines ihrer Kinder pflegebedürftig mit Pflegegrad vier; an das Kontaktverbot halte sich ihr Mann nicht, er setze sie unter Druck.
Wohnungsbewerbungen sind alle fruchtlos verlaufen
Über 10 Wohnungsbewerbungen der Mutter verliefen alle negativ.
Die Vermieter wünschen sich keine alleinerziehende Mutter von vier Kindern als Mieterin.
Ihr Einkommen sei zu gering und die Vermieter möchten keine – alleinerziehende Mutter mit 4 Kindern als Mieter.
Die Kaution in Höhe von 2.550 Euro zwischenzeitlich als Darlehen erhalten
Sie gab an, die Kaution in Höhe von 2.550 Euro zwischenzeitlich als Darlehen von einem kirchlichen Träger und einer Stiftung erhalten zu haben, müsse dieses aber zurückzahlen, sobald das Jobcenter die Mietkaution als Darlehen bewilligt.
Das Jobcenter bleibt bei seiner Auffassung, das die Wohnung zu teuer sei und eine angemessene Unterkunft wäre auch zu finden
Das Gericht urteilt zu Gunsten der Mutter
Notwendig ist ein Umzug, wenn er erforderlich ist und die Kosten für die neue Unterkunft angemessen sind. Die Erforderlichkeit misst sich dabei daran, ob ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfeempfänger leiten lassen würde.
Die Kammer bejaht den Umzugsgrund der Mutter aufgrund einer Notlage
Ein Verbleib im Haus ihres Mannes, der alkoholabhängig ist und ihr gegenüber schwer gewalttätig wurde, war für sie und ihre Kinder unzumutbar. Hervorgehoben hat das Gericht, das sich der Mann gerade nicht an das Kontaktaufnahmeverbot hielt und sie wiederholt anrief.
Bei der alleinerziehenden Mutter erkannte das Gericht eine Notlage
Diese Notlage bestand darin, das die Mutter alleinerziehend mit 4 Kindern, die teilweise noch im Kleinkindalter waren, eins der Kinder schwer pflegebedürftig und deshalb sehr viel Betreuung benötige.
Anerkannt hat das Gericht auch ihre verzweifelte Wohnungssuche und auch, das sie sich um eine Sozialwohnung bemüht hat.
Neue Wohnung der Mutter nach Gerichtsauffassung aber zu teuer
Somit handelt es sich hier nach Auffassung der Kammer um einen nicht vom Jobcenter veranlassten Umzug oder aus anderen notwendigen Gründen veranlassten Umzug.
Aber das Gericht folgt der Rechtsauffassung des BSG, das in so einem Fall auch die Auffangnorm des § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Hs. SGB II eingreift
Danach eröffnet es dem Jobcenter auch bei einem nicht notwendigen Umzug, beispielsweise aufgrund unangemessener Unterkunftskosten, ein Ermessen, die Mietkaution als Bedarf anzuerkennen.
Dabei hat er die unterhalb der Schwelle der Notwendigkeit liegenden Gründe des Leistungsberechtigten für den Umzug, die nach dem Wohnungswechsel zu erwartenden Unterkunftsaufwendungen inklusive der Zusammenhangskosten zu berücksichtigen.
Dem Jobcenter wird hinsichtlich der Gewährung der Mietkaution „ Ermessen „ eingeräumt“
Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (BSG, U. v. 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R – ).
Das Jobcenter hatte aber im Fall der Mutter, welche sich in einer schwierigen, familiären Lage befand, kein Ermessen ausgeübt.
Fehlende Ermessensausübung machen die Bescheide rechtswidrig – sie sind aufzuheben
Bescheiden und Ablehnungen aufgeführt, dass die neue Wohnung zu teuer sei, das Jobcenter gab inhaltlich nur die Rechtslage wieder, damit sprechen wir von einem – Ermessensnichtgebrauch -.
Fehlendes Ermessen bei der Gewährung der Mietkaution machen die Bescheide aber rechtswidrig und sind daher aufzuheben – BSG, U. v. 06.08.2014 – B 4 AS 37/13 R -.
Das Jobcenter wird erneut über den Antrag auf Gewährung einer Mietkaution als Darlehen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheiden zu entscheiden haben (BSG, U. v. 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R – ).
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Dieses Urteil zeigt sehr schön auf, warum gerade bei Häuslicher Gewalt des Mannes ein Umzugsgrund gegeben sein kann, bei Kontaktverbot oder Kontaktaufnahme sowieso.
Die Zahlen währen der Pandemie für Fälle von häuslicher Gewalt waren um fast 20 % gestiegen, auch aktuell sind sie sehr hoch.
Die Jobcenter haben die verdammte Pflicht, bei Vorliegen solcher Besonderheiten den Einzelfall zu prüfen und im Zweifelsfall zu Gunsten der Alleinerziehende zu entscheiden, diese Möglichkeit haben die Jobcenter auch.
Auch Auszug aus dem Frauenhaus stellt notwendigen Umzug dar
Muss die Alleinerziehende z. Bsp. ins Frauenhaus fliehen, kommen für den Leistungsträger noch ganz andere Kosten auf ihn zu.
IM Umkehrschluss heißt das aber auch, dass wenn eine von ihrem Mann verfolgte und verprügelte Frau nach langem Aufenthalt endlich mit ihren Kindern ein neues Zuhause beziehen möchte, das das Jobcenter in so einem Fall nicht einfach den Umzugsgrund leugnet oder sagt:
Beim Bürgergeld gibts keine Barkaution, obwohl der Gesetzgeber genau in § 22 Abs. 6 SGB II dies anordnet.
Denn – Hilfebedürftige Mutter mit 3 Kindern muss weiter im – Frauenhaus – leben, weil das Bürgergeldamt sich trotz der eindeutlichen Vorgaben des § 22 Abs. 6 SGB II weigert, ihr eine Barkaution zu gewähren.
RECHTSWIDRIG
Auch muss das Jobcenter bei Flucht ins Frauenhaus übergangsweise doppelte Unterkunftskosten übernehmen ( LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 07.02.2019 – L 5 AS 725/17 – ).
Fazit
Hier hat das Jobcenter insbesondere bei der Gewährung der Mietkaution nicht berücksichtigt, dass auch bei einem nicht notwendigem Auszug, weil z. Bsp. die Kosten der Unterkunft nicht angemessen sind, dem Jobcenter nach der Rechtsprechung des BSG ein – Ermessen – eingeräumt wird hinsichtlich der Gewährung der Mietkaution.
Was können das für Gründe sein, welche bei einem nicht notwendigen Umzug zu einer Ermessensausübung des Jobcenters führen hinsichtlich der Gewährung von Wohnungsbeschaffungskosten – hier Mietkaution.
Zum Beispiel
Familiäre Situationen wie Alleinerziehend, mehrere Kleinkinder, Pflegebedürftigkeit, häusliche Beziehungsgewalt
Dazu RA Helge Hildebrandt aus Kiel: nach der bisherigen Rechtsprechung mithin folgende Ermessensgesichtspunkte zu berücksichtigen:
Nachvollziehbare Umzugsgründe:
• Bemühungen zur Senkung der Mietkosten in der bisherigen Wohnung.
• Höhe der Überschreitung der Mietobergrenze in der neuen Unterkunft.
• Möglichkeit, die Mietdifferenz aus anrechnungsfreiem Einkommen zu bestreiten.
• Umzug in eine Wohnung, die nach wohnraumförderungsrechtlichen Maßstäben angemessen ist (insbesondere Alleinerziehende mit Wohnraummehrbedarf gemäß Wohnberechtigungsschein).
• Folgenabwägung im gerichtlichen Eilverfahren regelmäßig zugunsten eines Mietkautionsdarlehens.
Was kann ich Euch raten?
Wird der Umzug nicht vom Jobcenter befürwortet bzw. veranlasst, kann er aus anderen wichtigen Gründen wichtig sein. Besonders die familiäre Situation, gerade bei Alleinerziehenden können dazu führen, dass euch die Wohnungsbeschaffungskosten zu gewähren sind.
Das sollte man unbedingt wissen und auch das Jobcenter muss das berücksichtigen
Das Gesetz eröffnet dem Jobcenter durch § 22 Abs 6 S 1 SGB II allgemein die Möglichkeit, Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten sowie eine Mietkaution auch dann zu übernehmen, wenn der Umzug nicht vom Leistungsträger veranlasst oder sonst erforderlich ist und/oder die Mietaufwendungen für die neue Unterkunft die abstrakte Angemessenheitsgrenze überschreiten.
Der Anspruch der Leistungsbezieher ist in diesem Fall auf einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ermessensentscheidung gerichtet unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Antragsteller.
Lesetipp: Bürgergeld-Eilverfahren: Umzug in zu teure Wohnung erforderlich bei Konflikt mit dem Kindesvater
Schlussbemerkung:
Tagtäglich wird eine Frau in Deutschland von häuslicher Gewalt bedroht. Mit meinem Beitrag möchte ich gerade diesen Menschen aufzeigen, was sie tun können, um aus dieser Gewaltspirale raus zu kommen, wenn sie eine neue Wohnung benötigen.
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.