Hartz IV-Urteil: Jobcenter muss bei Flucht ins Frauenhaus die doppelte Miete zahlen

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LSG Halle: Vorübergehende Aufwendungen sind unvermeidlich

Jobcenter dürfen Hartz-IV-Bezieherinnen nach der Flucht in ein Frauenhaus nicht im Regen stehenlassen. Ist die Unterbringung in ein Frauenhaus wegen des gewalttätigen Partners notwendig, muss die Behörde vorübergehend für doppelte Unterkunftskosten aufkommen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt in Halle in einem am 11. Juni veröffentlichten Urteil (Az.: L 5 AS 725/17).

Im konkreten Fall bewohnte die klagende Hartz-IV-Bezieherin mit ihrem Sohn eine Wohnung im Raum Halle. Das Jobcenter übernahm die angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 414 Euro. Als die Frau am 6. August 2012 mit ihrem Sohn vor ihrem gewalttätigen Partner und Vater des Kindes in ein Frauenhaus im Salzlandkreis floh, kündigte sie ihre bisherige Wohnung mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten.

Das Jobcenter übernahm zwar die Unterkunftskosten für die Unterbringung im Frauenhaus, lehnte aber die Übernahme der bis zum Kündigungsende anfallenden Mietkosten ab. Konkret waren unter Anrechnung eines Betriebskostenguthabens noch 775 Euro im Streit.

Es könnten nur für jene Unterkunft die Kosten übernommen werden, die auch tatsächlich genutzt werde, so die Behörde. Für die während der Kündigungsfrist aufgelaufenen Mietschulden müsse das Jobcenter nicht aufkommen.

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Ohne Erfolg hatte die Hartz-IV-Bezieherin zuvor bei ihrem früheren Vermieter um eine kürzere Kündigungsfrist gebeten.

Das LSG Halle entschied in seinem Urteil vom 7. Februar 2019, dass zwar grundsätzlich nur für eine Unterkunft die Kosten übernommen werden könnten. Könnten zwei Unterkünfte zu Wohnzwecken genutzt werden, dürften nur die Kosten der vorrangigen Wohnung als Bedarf anerkannt werden. Eine Ausnahme könne aber bei vorübergehenden Situationen anerkannt werden.

Hier liege solch eine Ausnahme vor. Denn „der Umzug in ein Frauenhaus war geboten”. Die Klägerin und ihr Sohn seien unstreitig einer Bedrohung durch den Vater des Kindes ausgesetzt gewesen. Die Hartz-IV-Bezieherin habe bei ihrem früheren Vermieter auch alles ihr Mögliche unternommen, sie vorzeitig aus dem Mietverhältnis zu entlassen.

Wegen der gesetzlichen Kündigungsfristen seien die Kosten der alten Wohnung „zwangsläufige Folge der Deckung des Grundbedürfnisses ‚Wohnen'” und müssten vom Jobcenter übernommen werden, so das LSG. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Gericht die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zugelassen.

In einem anderen Fall hatte das Sozialgericht München am 22. Juni 2016 entschieden, dass das Jobcenter die Kosten für die Unterbringung und Betreuung in einem Frauenhaus selbst dann zahlen muss, wenn diese wegen einer geringen Auslastung besonders hoch sind (Az.: S 52 AS 538/13; JurAgentur-Meldung vom 5. September 2016).

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Münster hatte am 24. November 2016 klargestellt, dass Frauen bei der Flucht vor ihrem gewalttätigen Partner in ein Frauenhaus nicht nur Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten, sondern auch auf psychosoziale Betreuung zur „Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt” haben können (Az.: L 6 AS 1315/15; JurAgentur-Meldung vom 25. April 2017). Hier müsse das Jobcenter in Vorleistung treten, könne sich das Geld aber von der Sozialhilfe der Wohnortkommune zurückholen. fle/mwo