Ist der Auszug eines Untermieters mit einer Mieterhöhung vergleichbar mit der Folge, dass eine Übergangszeit für Kosensenkungsmaßnahmen zu gewähren ist? Diese höchst interessante Frage hat das Sächsische Landessozialgericht mit Urteil vom 23.08.224 – L 3 AS 39/18 – wie folgt beantwortet.
Eine Bedarfsgemeinschaft bestehend aus Mutter und Tochter bewohnten nach Ansicht des Jobcenters eine – unangemessene Wohnung. Das Jobcenter forderte darauf hin von der Hilfebedürftigen eine Senkung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung.
Daraufhin sprach die Mutter beim Jobcenter vor und legte ein Mietangebot vor, welches später vom Jobcenter genehmigt wurde.
In dem neuem Bescheid vom Jobcenter heißt es Wort wörtlich:
„Für die Wohnung werden maximal nur die angemessenen Kosten für einen 2-Personenhaushalt übernommen (347,- EUR für die BKM + die angemessenen Heizkosten). Die Kosten bei der Erhöhung der Miete ab 01.07.2013 sind durch Sie selbst zu begleichen und werden nicht als Bedarf anerkannt. Gleiches gilt auch, wenn Sie keinen Untermieter finden sollten. In beiden Fällen werden vom Jobcenter nur maximal die angemessene Bruttokaltmiete sowie die angemessenen Heizkosten für einen 2-Personenhaushalt übernommen. Eine Aufforderung zur Senkung der Kosten für Unterkunft wird somit nicht erfolgen.“
Später legte die hilfebedürftige Mutter Widerspruch ein gegen einen Bewilligungsbescheid zum ALG II, ihre Kosten der Unterkunft und Heizung seien vom Jobcenter zu gering bemessen worden.
Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sie zunächst zwei Untermieter gehabt hätten. Da der Auszug des Untermieters nicht vorhersehbar gewesen sei, sei ihnen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zumindest für einen Übergangszeitraum die tatsächliche Miete zu bewilligen.
Nach der Auffassung der Klägerinnen hätte zunächst ein Kostensenkungsverfahren durchgeführt werden müssen, weshalb die gesamte Miete als Bedarf anzuerkennen sei.
Nach Argumentation des Jobcenter würde jeder Leistungsempfänger, der bereits in der Vergangenheit einmal Leistungen bezogen und lediglich eine gekürzte Miete erhalten habe, bei einem erneuten Leistungsbezug sofort wieder den Kappungsgrenzen unterliegen, da aus der Vergangenheit die Regelungen noch bekannt sein müssten. Dies widerspreche jedoch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Das SG Dresden (S 16 AS 5827/13 ) hat später die Klage abgewiesen, aber die Berufung zugelassen.
Die Hilfebedürftigen seien vor Anmietung der Wohnung durch das Jobcenter mit Schreiben darüber belehrt worden, dass lediglich die angemessenen Kosten für einen Zweipersonenhaushalt übernommen würden.
Daran ändere die Beendigung der zwischenzeitlichen Untermietverhältnisse nichts.
Auszug des Untermieters – Situation ist nicht vergleichbar mit der einer aufgelösten Bedarfsgemeinschaft, so das Gericht
Entgegen der Auffassung der Leistungsempfängerin sei die Situation nicht mit der einer aufgelösten Bedarfsgemeinschaft vergleichbar, da hier der Mietvertrag für die Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen geschlossen worden sei, während zwischen dem Vermieter der Wohnung und dem jeweiligen Untermieter der Klägerinnen kein Vertragsverhältnis bestanden habe.
Bestehen eines Untermietverhältnisses ist eigenes Risiko!! – Einer erneuten Kostensenkungsaufforderung habe es daher nicht bedurft
Den Klägerinnen sei insoweit bereits bei Vertragsschluss bewusst gewesen, dass das Bestehen eines Untermietverhältnisses ihrer eigenen Risikosphäre zuzuordnen sei. Einer erneuten Kostensenkungsaufforderung habe es daher nicht bedurft.
Das Sächssische LSG hat dazu wie folgt entschieden – L 3 AS 39/18 –
Berechnung der Kosten der Unterkunft des Jobcenter rechtens – eine erneute Kostensenkungsaufforderung bedurfte es nicht
Der Festsetzung der Leistungshöhe unterhalb der tatsächlichen Aufwendungen steht entgegen der Auffassung der Leistungsempfänger im streitbefangenen Zeitraum auch nicht entgegen, dass es zuvor der Durchführung eines Kostensenkungsverfahrens mit der Gewährung einer Übergangsfrist von sechs Monaten bedurft hätte.
Einer Aufforderung zur Kostensenkung – mit der Setzung einer Übergangsfrist – bedurfte es jedenfalls für den hier streitbefangenen Zeitraum nicht mehr, weil der Mutter bereits seit geraumer Zeit hinreichend verdeutlicht worden war, dass das Jobcenter ihre Aufwendungen für die Unterkunftskosten für unangemessen hielt. Auf die fehlende Kenntnis des Erfordernisses von Kostensenkungsmaßnahmen können sich die Klägerinnen daher nicht berufen.
Angemessenheit der Bruttokaltmiete war der Leistungsempfängerin seit langem bekannt
Einer weiteren Kostensenkungsaufforderung bedurfte es nicht mehr, da deren Zweck der Aufklärung und Warnung erreicht war (vgl. BSG Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R – ).
Ist nach Auszug des letzten Untermieters eine Übergangszeit zu gewähren, weil die Situation vergleichbar mit einer Mieterhöhung sei ? Definitiv nein, so das LSG Sachsen
Etwas anderes ergibt sich für den hier streitbefangenen Zeitraum auch nicht aus dem Vortrag der Hilfebedürftigen, ihnen sei nach Auszug des letzten Untermieters eine Übergangszeit zu gewähren gewesen, weil die Situation vergleichbar mit einer Mieterhöhung sei, bei der die Miete anschließend die Angemessenheitsgrenzen übersteige.
Den Klägerinnen war es jedenfalls für die Zeit ab Juni 2013 zumutbar, ihre Unterkunftskosten zu senken
Denn der Bedarfsgemeinschaft war es zumutbar auch nach Auszug der beiden Untermieter ihre Kosten der Unterkunft zu senken
Im Rahmen der Bestimmung der Ausnahmen vom Regelfall sind strenge Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zu stellen
Das Recht kann auch von Hilfebedürftigen bei der Suche von Alternativwohnungen “nichts Unmögliches oder Unzumutbares” verlangen, andererseits aber die Übernahme überhöhter Unterkunftskosten angesichts der genannten Rechtsfolgenanordnung exzeptionellen Charakter haben soll, sind im Rahmen der Bestimmung der Ausnahmen vom Regelfall strenge Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zu stellen, so das Sächsische Landessozialgericht in seiner Begründung.
Unangemessen hohe Unterkunftskosten werden auch bei Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen nicht zu angemessenen Unterkunftskosten
Die Erstattung nicht angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung bleibt der durch sachliche Gründe begründungspflichtige Ausnahmefall, und die Obliegenheit zur Kostensenkung bleibt auch bei Unmöglichkeit oder subjektiver Unzumutbarkeit bestehen.
Unangemessen hohe Unterkunftskosten werden auch bei Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen nicht zu angemessenen Unterkunftskosten (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R – ).
Fazit:
Ist der Auszug eines Untermieters mit einer Mieterhöhung vergleichbar mit der Folge, dass eine Übergangszeit für Kosensenkungsmaßnahmen zu gewähren ist?
Nein, zu mindestens in diesem Einzelfall.
Praxistipp zum SGB XII
Bayerisches LSG, Urteil vom 26.04.2023 – L 8 SO 214/22 – Notwendigkeit einer (nochmaligen) Kostensenkungsaufforderung nach einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse – hier Auszug des Untermieters nach 3 Jahren
Bei einer Änderung der Verhältnisse nach einem längeren Zeitraum (hier: mehrere Jahre), in dem die Unterkunftskosten des Leistungsberechtigten in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden sind, bedarf es einer (nochmaligen) Kostensenkungsaufforderung, um die Unterkunftskosten erneut nur mehr in dem als angemessen erachteten Umfang zu berücksichtigen.
Mein Tipp für Bürgergeldempfänger und Sozialhilfebeziehende
1. Die Entscheidung des Sächsischen LSG finde ich mehr als unglücklich, folgen möchte ich ihr nicht
Mein Rat ist folgender:
Bei Änderung der Wohnverhältnisse sollte das Jobcenter eine erneute Kostensenkungsaufforderung erstellen, denn – veraltete Senkungsaufforderungen – sind unwirksam ( BSG Rechtsprechung )
Die Kostensenkungsaufforderung gewährleistet, dass sich die Hilfebedürftigen auf – künftige – Entscheidungen der Verwaltung einstellen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.09.2021 – B 8 SO 13/19 R unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 19.05.2021 – B 14 AS 57/19 R – ).
Tritt die Situation einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ein, ist daher gegebenenfalls – auch eine erneute Kostensenkungsaufforderung geboten (vgl. ThürLSG, Urteil vom 08.01.2020 – L 4 AS 1246/16 – nicht veröffentl.).
Ob Änderungen der Sachlage in einer abgeänderten Kostensenkungsaufforderung mit neuen Angemessenheitswerten Rechnung getragen werden muss, ist nicht losgelöst von den Vorgaben an eine “erste” Kostensenkungsaufforderung zu beurteilen, so ausdrücklich das BSG mit Urteil vom 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R – ).
Daher gehört es zur Dialogförmigkeit des Kostensenkungsverfahrens, dass das Jobcenter auf aus seiner Sicht bedeutsame Änderungen der Sachlage reagiert und daraufhin angepasste Werte mitteilt (so auch das BSG – B 14 AS 31/20 R – , ebenfalls auf die Veränderungen aus Sicht des Jobcenters abstellend Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 187, Stand Januar 2021).
Rechtstipp für das Bürgergeld und Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII
2025 wird ein schwieriges Jahr für Bezieher von Sozialleistungen.
Im Rahmen der Bestimmung der Ausnahmen vom Regelfall sind strenge Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit zu stellen
Nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II (a.F, nunmehr: § 22 Abs. 1 Satz 7 SGB II) sind die tatsächlichen Mietaufwendungen – soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen – als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
In jedem Einzelfall ist vom Jobcenter zu prüfen, ob sich aus Einzelfallumständen ein abweichender Leistungsanspruch ergibt.
Wir von gegen-hartz.de haben dazu 2024 eine Arbeitshilfe zur Abwehr von Kostensenkungsaufforderungen erstellt, dort findet man Hilfe, wenn es um die Frage geht, wie wehre ich mich gegen die Senkungsaufforderung.
Hier zum Nachlesen: Bürgergeld: Gegen Kostensenkungsverfahren der Jobcenter oder Sozialämter wehren
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Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.