Das SG Stuttgart hat mit Urteil vom 17.11.2020 – S 23 R 487/20 – (Berufung zum LSG eingelegt) geurteilt:
“Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschlieรung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des ยง 46 Abs 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfรผllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maรstรคben schweren Erkrankung mit einer ungewissen Verlaufsprognose entsprechend der Erkenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (รผberwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgrรผnden geheiratet wurde.”
Mein Kollege Sebastian Dorn hatte รผber diese Entscheidung berichtet.
Gewรคhrung einer groรen Witwenrente bei stabilem Zustand einer Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschlieรung
Das Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg hat in einem anderem Einzelfall wie folgt entschieden:
Der lebensbedrohliche Zustand einer Krankheit muss fรผr die Annahme einer Versorgungsehe zum Zeitpunkt der Eheschlieรung offenkundig sein.
Bei einem stabilen Zustand einer Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschlieรung kann die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegt werden vom Antragsteller.
Nur die Krebserkrankung des Versicherten kam als potentiell lebensbedrohliche Erkrankung in Betracht ( ausschlieรend leichte Herzerkrankung und Parkinson-Erkrankung ). Dieses Stadium hatte die Erkrankung jedoch beim Versicherten nicht.
Nicht jede festgestellte Krebserkrankung ist von vornherein lebensbedrohlich, insbesondere abhรคngig vom Stadium, in dem die Erkrankung erkannt wird, bieten sich sogar auch gute Heilungschancen
Das Gericht hielt die Verwirklichung des schon lange gehegten Heiratswunsches als leitendes Motiv fรผr die Eheschlieรung fรผr glaubhaft und ausreichend.
Untermauert wird dies durch die glaubhafte Angabe der Tochter, dass die geplante Hochzeit ihres Vaters und der Klรคgerin wegen der eigenen รผberraschenden Heirat im Allgรคu, an der der Versicherte teilgenommen hat, verschoben wurde.
Weiterhin glaubhaft war fรผr das Gericht, dass die Heirat der Klรคgerin und des Versicherten tatsรคchlich schon im Jahre 2014 konkret ins Auge gefasst war. Dies ergibt sich aus der Beschaffung der Geburtsurkunden im Juni 2014, die bei der Eheschlieรung verwendet wurden und ansonsten die Beschaffung keinen anderen Sinn zulรคsst.
Ebenso sind Heiratswรผnsche glaubhaft gegenรผber den Familienmitgliedern geรคuรert worden und die Eheschlieรung dann wegen der akut erstmals im Juni 2016 auftretenden psychischen Erkrankung verschoben worden.
Fazit
Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschlieรung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des ยง 46 Abs 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfรผllt.
Aber auch bei einer schweren Erkrankung mit einer ungewissen Verlaufsprognose entsprechend der Erkenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (รผberwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgrรผnden geheiratet wurde.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten von Tacheles e..V.
1. Ist eine potentielle lebensbedrohliche Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschlieรung bekannt gewesen, ist der Ausnahmetatbestand des ยง 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI in der Regel nicht erfรผllt.
2. Ein Grund gegen die Annahme einer Versorgungsabsicht ist nicht darin zu sehen, dass der Tod des Versicherten nicht als unmittelbare Folge dieser Erkrankung eintritt. Es kommt allein auf die Motivation im Zeitpunkt der Eheschlieรung an, welche von spรคteren Ereignissen unberรผhrt bleibt.
3. Es kommt allein auf die Motivation im Zeitpunkt der Eheschlieรung an, welche von spรคteren Ereignissen unberรผhrt bleibt, weshalb das BSG zutreffend selbst im Falle eines plรถtzlichen Unfalltodes des Versicherten als weitere Voraussetzung verlangt, dass hinsichtlich des Versicherten bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war (Urteil vom 5. Mai 2009 โ B 13 RJ 55/08 R – )
4. So kann nach aktuellster neuer Rechtsprechung – kein Anspruch auf eine Witwenrente bestehen, wenn die spรคteren Eheleute wohl nicht einmal รผber Verlobungsringe verfรผgten, die zumindest ein Eheversprechen dokumentieren kรถnnten, sondern lediglich solche, die die Innigkeit ihrer Beziehung bekundeten (โIm Herzen einsโ).
5. Weiterhin litt im Zeitpunkt der Eheschlieรung die Versicherte an einer fortgeschrittenen lebensbedrohlichen Krebserkrankung, einem bereits mehrfach metastasierten Bauchspeicheldrรผsenkrebs, zudem unter einer beidseitigen Beinvenenthrombose, die offenbar zu beidseitigen Lungenembolien gefรผhrt hatte.
Bereits bei der Diagnosestellung bestand eine klar palliative Situation; das heiรt, alle medizinischen Behandlungsmaรnahmen dienten nicht mehr der Heilung der Grunderkrankung, sondern allein deren Verzรถgerung, der Verlรคngerung der Lebensdauer und der Verbesserung der Lebensqualitรคt.
Ist die Lebensbedrohlichkeit aufgrund der vielen Krebsdiagnosen offenkundig und gibt es keine Heilungschancen mehr, besteht – kein Anspruch auf Witwenrente, so eine hรถchst richterliche Entscheidung aus 2025.