Arbeitslosengeld 1: Kein Rechtsmissbräuchliches Verhalten, wenn die Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit unwiderruflicher Freistellung umgewandelt wird.
Wird die Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit unwiderruflicher Freistellung umgewandelt, besteht trotzdem Anspruch auf ALG 1, denn es liegt kein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitslosen vor (Orientierungssatz Detlef Brock).
1. Wird eine Abfindung in eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses mit unwiderruflicher Freistellung umgewandelt, ist darin nicht von vornherein missbräuchliches Verhalten zu sehen.
2. Die Dauer der unwiderruflichen Freistellung (hier 38 Monate) ist grundsätzlich Ausfluss der Vertragsfreiheit ( Leitsatz Gericht)
Zur Frage, ob es den Arbeitsvertragsparteien frei steht, eine Abfindung in Arbeitsentgelt umzuwandeln, sowie die Frage, wie lange bei einer unwiderruflichen Freistellung ein versicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis fortbestehen kann.
So entschieden vom LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.04.2023 – L 12 AL 331/23 – Revision zugelassen
Begründung:
Das Versicherungspflichtverhältnis bestand auch während der Freistellung der Klägerin – entgegen der Auffassung der Agentur für Arbeit ( AfA )
Denn das Versicherungspflichtverhältnis besteht wegen einer Beschäftigung i.S.d. § 24 Abs. 1 Alt. 1 SGB III bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts.
Auch wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Beschäftigung bereits aufgegeben hatte und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich und unwiderruflich freigestellt war (BSG, Urteil vom 30.08.2018 – B 11 AL 15/17 R – ).
Das durch nichtselbständige Arbeit in einem tatsächlich vollzogenen Arbeitsverhältnis begründete versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis endet bei einer Vereinbarung einer Freistellung von der Arbeitsleistung nicht bereits mit der Einstellung der tatsächlichen Arbeitsleistung.
Sondern erst mit dem regulären Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn bis zu diesem Zeitpunkt Arbeitsentgelt gezahlt wurde.
Weiterhin darf kein außerhalb der Dispositionsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien liegendes missbräuchliches Verhalten vorliegen (BSG, Urteil vom 03.06.2004, B 11 AL 70/03 R -).
Die Klägerin hat in einem Versicherungspflichtverhältnis aufgrund einer Beschäftigung gestanden, denn in Folge der mit Aufhebungsvertrag vom 03.09.2018 vereinbarten unwiderruflichen Freistellung von ihrer Arbeitsleistung bei gleichzeitiger Zahlung einer monatlichen Vergütung sowie weiterer Sonderzahlungen schied die Klägerin noch nicht zum 01.01.2019 aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung aus.
Sondern erst zum einvernehmlich vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses, dem 28.02.2022.
§ 133 BGB ist auslegungsfähig ( Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 101/19 )
Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Folglich sind Erklärungen so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten
Dabei sind zunächst vom Wortlaut ausgehend zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. ( LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2023, L 3 AL 985/22 – )
Fazit:
Wie schon das SG Stuttgart ( Vorinstanz ) konnte auch der 12. Senat des LSG BW kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin und der Firma feststellen (vgl. hierzu z.B. BSG Urteil vom 04.07.2021 – B 11 AL 16/11 R – ).
Anmerkung Sozialrechtsexperte Detlef Brock
Die Freistellung erfolgte insbesondere nicht, um einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld erst zu begründen.
Die Agentur für Arbeit meinte:
Durch die gewählte Konstruktion werde das Bestehen eines versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses letztendlich in das Belieben der Vertragsparteien gestellt.
Der Senat hat darauf hingewiesen, , dass dies Ausfluss der Vertragsfreiheit ist.
So steht es den Vertragsparteien, wie sich auch aus der o.g. Rechtsprechung des BSG ergibt, grundsätzlich frei, eine Freistellung bei Fortzahlung des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren.
Detlef Brock ist Redakteur bei Gegen-Hartz.de und beim Sozialverein Tacheles e.V. Bekannt ist er aus dem Sozialticker und später aus dem Forum von Tacheles unter dem Namen “Willi2”. Er erstellt einmal wöchentlich den Rechtsticker bei Tacheles. Sein Wissen zum Sozialrecht hat er sich autodidaktisch seit nunmehr 17 Jahren angeeignet.