Wenn der Hartz IV-Antrag zur reinen Schikane wird

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Hartz IV Antrag unmรถglich gemacht: Jobcenter fordert immer wieder neue Unterlagen

Eigentlich hatte die Bundesagentur fรผr Arbeit schon vor lรคngerer Zeit versprochen, dass die Beantragung von Hartz IV vereinfacht werden sollte. Auch sind Jobcenter dazu angehalten, im laufenden Hartz IV-Antragsverfahren bereits Leistungen auf Grundlage des mรถglichen Anspruchs, zu zahlen. In einem aktuellen Fall stellt sich das allerdings vollkommen anders dar.

Sandra Baier hat weder ein Auto, kein Geld und auch keine Krankenversicherung. Bereits im Dezember 2018 hatte sie sich einen Antrag auf Hartz IV Leistungen beim zustรคndigen Jobcenter Tirschenreuth geholt und im Januar 2019 persรถnlich abgegeben, damit sie sich vergewissern konnte, dass dieser auch angenommen und bearbeitet wird. Doch seit dem sind keinerlei Leistungen bewilligt worden. Stattdessen flattern immer wieder neue Briefe vom Amt ins Haus. Immer wieder soll die 29-Jรคhrige Antragstellerin neue Beweise und Unterlagen einreichen. “Meine Frau ist am verzweifeln”, bestรคtigt ihr Mann Andreas Baier gegenรผber “ONetz”.

Jobcenter fordert immer wieder neue Unterlagen

Im Dezember letzten Jahres zog das Paar von Niedersachsen nach Neusorg. Zu jener Zeit waren beide miteinander verlobt. “Wir machten im Sommer hier Urlaub bei meiner Schwester. Sandra hat sich in die Gegend verliebt, also suchten wir eine gemeinsame Wohnung”, berichtet Baier. Aus diesem Grund gab der Mann seine Stelle auf, bevor sie umziehen konnten. Frau Baier unternahm zu jener Zeit eine FortbildungsmaรŸnahme, die durch die Agentur fรผr Arbeit vermittelt wurde. Als sie dann in Oberpfalz ankamen, waren beide erwerbslos. Aus diesem Grund holten sich Beide zunรคchst einen Antrag auf ALG II beim Jobcenter ab. Doch Herr Baier gab seinen ALG II Antrag nie ab, weil er in der Zwischenzeit einen neuen Job gefunden hatte. Eine erfreuliche Entwicklung, die aber Steine bei der Beantragung der Hartz IV Leistungen fรผr Frau Baier in den Weg legten.

Nach Beantragung der Hartz IV Leistungen bekam sie zeitnah ein Schreiben des Jobcenters. Es wรผrden noch Kontoauszรผge der letzten 3 Monate fehlen. Zusรคtzlich sollte sie einen Finanzbericht von ihrer Bank vorlegen sowie Auskunft zum Vermรถgen, Einkommen, Konten und Einkรผnfte zu ihrem Verlobten erteilen. Das war die erste Hรผrde. “Ich hatte die Unterlagen nicht komplett. “Meine Bank wollte hohe Gebรผhren verlangen, die ich nicht zahlen konnte”, sagte sie der Zeitung gegenรผber. Frau Baier informierte das Jobcenter. Das wich nicht von den Forderungen ab.

Hartz IV ist eine Wissenschaft fรผr sich

Hartz IV sei eine Wissenschaft fรผr sich, bestรคtigte auch Leonhard Merkl, Geschรคftsfรผhrer des Jobcenters. Allerdings mรผssten sich alle an die Spielregeln halten. Mit jedem Nachweis kรถnnen weitere Fragen entstehen. Das verlรคngere die Verfahrensdauer. Daher mรผsse sich die Behรถrde oft lรคnger mit einzelnen Fรคllen beschรคftigen. Warum nicht schon Leistungen im Voraus auf Grundlage der bisherigen Angaben bewilligt wurden, sagte der Jobcenterchef nicht.

Im Februar dann gab die Betroffene alle Kontoauszรผge, die sie sich von ihrer ehemaligen Bank in Niedersachsen beschafft hatte, beim Jobcenter ab. Als sie dachte, nun sei alles erledigt, kam der nรคchste Brief. “Es ging um ein Paypal-Konto, das ich noch im Dezember geschlossen habe. Auf dem Konto waren wenige Cent, die ich รผberwiesen habe.” Darauf hin legte sie eine Bestรคtigung vor, dass das Konto bereits im Dezember geschlossen wurde. Vom Servicecenter kam die Bestรคtigung, dass nun alles ok sei und alle Unterlagen nun vorhanden wรคre. Doch das stimmte offenbar nicht.

Immer wieder neue Nachweise>

Nun forderte erneut das Jobcenter weitere Unterlagen. Dieses Mal wollte die Behรถrde genaue Auskรผnfte รผber die neue Arbeitsstelle wissen. In dem Schreiben wurden Verdienstabrechnungen, Nachweise รผber Lohnzufluss, Arbeitsvertrag, eine Kopie des Bescheids der Agentur รผber den Antrag fรผr Arbeitslosengeld sowie Nachweise รผber den Zufluss von Arbeitslosengeld gefordert.

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Weil aber Herr Baier zwar einen Antrag auf Arbeitslosengeld II abgeholt, aber nie gestellt hatte, konnten die zwei letzten Unterlagen nicht eingereicht werden. “Wir haben beide schon Erfahrungen mit Arbeitslosengeld gemacht. Aber sowas haben wir noch nie erlebt”, kritisert er. Doch das Jobcenter besteht auf die Unterlagen, auch wenn diese zum aktuellen Zeitpunkt eigentlich keine Rolle spielen, da Herr Baier bereits einen Job gefunden hatte. Herr Baier hatte im September 2018 einen Arbeitslosengeld 1 Antrag gestellt, weil er ja seinen damaligen Job fรผr den Umzug aufgegeben hatte. Diesen Antrag hatte Herr Baier “nicht mehr auf dem Schirm”, wie Frau Baier sagte.

Jobcenter verweist auf andere Sozialleistungen

Doch es beginnt ein Teufelskreis. Die “fehlenden” Unterlagen werden schon wieder angefordert. Nun soll Frau Baier einen Antrag auf Wohngeld stellen, heiรŸt es in einem weiteren Schreiben. Die Behรถrde begrรผndet dies, weil sie aufgrund der neuen Arbeit ihres Partners einen geringeren Anspruch hรคtte und sie beide eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Es seien “vorrangigen Leistungen” zu beachten, hieรŸ es. “Wir haben Antragsteller, die fรผnf bis sechs andere Leistungen beantragen und zu verschiedenen Behรถrden mรผssen. Das macht mรผrbe”, sagt der Behรถrdenleiter selbst. Das wurde allerdings nicht in dem Anschreiben erklรคrt. “Das lรคsst sich nicht vermeiden. Unsere Bescheide mรผssen rechtssicher bleiben”, hieรŸ es nur in dem Schreiben.

Immer wieder andere Ansprechpartner>

Immer wenn Frau Baier im Service-Center anrief, war eine andere Person am Telefon. Mit der zustรคndigen Sachbearbeiterin hatte sie nur einmal Kontakt. Wenn sie Fragen hรคtte, solle sie in die Behรถrde kommen, hieรŸ es. Doch das ist nicht immer mรถglich ohne Auto und Geld. Mit den รถffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrt eineinhalb Stunden.

Am 30. April heiratete das Paar. Fรผr beide war es eine Heirat ohne grรถรŸere Feier. Nur 6 enge Freunde und Verwandte waren im Standesamt dabei. In der Zwischenzeit fand Frau Baier eine Teilzeitstelle. Doch der nรคchste Schock bahnte sich an. Die Krankenkasse schickte eine hohe Rechnung mit Mahngebรผhren fรผr die vergangenen Monate, da das Jobcenter nicht zahlte. Krankenversichert ist sie dennoch nicht.

Durch geschaffene ร–ffentlichkeit lenkt das Jobcenter ein

Weil sich die รถrtlichen Medien einschalteten, lenkte das Jobcenter nun ein. Man wolle die Krankenkassen-Beitrรคge auch der letzten Monaten zahlen. Zudem solle der Antrag nun zรผgiger bearbeitet werden. Dieser Fall ist aber nur einer von vielen und zeigt, wie beschwerlich es den Antragstellern gemacht wird, die sich bereits in einer Notsituation befinden. Die Dunkelziffer wird in die Tausende gehen. Offenbar soll die Antragstellung eine Hรผrde darstellen, die nicht alle bezwingen kรถnnen.