Warum ein Widerspruch gegen zu niedrige Hartz IV-Regelleistungen wichtig ist

Ein vielbeachtetes Gutachten der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hatte ergeben, dass die derzeit gültigen Regelleistungen bei Hartz IV aufgrund der erhöhten Inflation gegen die bundesdeutsche Verfassung verstoßen.

Trotz des Beschlusses des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, dass höhere Regelleistungen aufgrund steigender Ausgaben ablehnte, sind die Chancen für ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach wie vor gut, wie Ulrike Müller, Referentin für Existenzsicherung der Linkenfraktion betont.

Musterverfahren gegen zu niedrige Regelleistungen bei Hartz IV

Die Sozialverbände VdK und SoVD haben aus diesem Grunde ein Musterverfahren mit einigen ihrer Mitglieder in Gang gesetzt, damit die Verfassungsrichter den Gesetzgeber zum Handeln bewegen.

Widerspruch gegen den eigenen Leistungsbescheid einlegen

Andere Betroffene können sich diesen Verfahren zwar nicht direkt anschließen. Es gibt aber die Möglichkeit, dass man einen eigenen Widerspruch gegen den Leistungsbescheid einlegt und gleichzeitig beantragt, dass das eigene Verfahren solange ruht, bis die Musterverfahren geklärt sind. Dann profitiert man vom juristischen Knowhow der Sozialverbände.

Warum der Beschluss des Landessozialgericht nicht entgegen steht

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in einer aktuellen Entscheidung nun höhere Leistungen abgelehnt (AZ: L 8 SO 56/22 B ER).

Bedeutet das, dass auch die Musterverfahren von SoVD und VdK sinnlos sind? Nein, überhaupt nicht! Die Entscheidung des Landessozialgerichts klingt sehr negativ, enthält aber ein paar konstruktive Ansatzpunkte.

Zunächst muss man sich klarmachen, dass es kein “Urteil” ist, das eine Rechtssache abschließend klärt, sondern ein “Beschluss” in einem Eilrechtsverfahren.

Das Gericht hatte nicht genau gerechnet

Das Gericht hat gar nicht genau gerechnet. In den Musterverfahren der Sozialverbände wird das aber geschehen. Eine abschließende Klärung dauert lange – zu lange für Betroffene, das ist klar.

Aber anhängige Gerichtsverfahren mit rechtlich überzeugenden Argumenten erzeugen Druck auf die Politik, das Problem schneller zu lösen und einer Gerichtsentscheidung zuvorzukommen.

Auch die Gerichtsverfahren für einen Inflationsausgleich können faktisch so wirken: Sie erzeugen Druck auf die Politik Bundesregierung. Das wird auch in dem aktuellen Beschluss des Landessozialgerichts deutlich:

Das Gericht hat völlig recht, dass es selbst keine höheren Leistungen verordnen kann, sondern diese Frage nur ans Bundesverfassungsgericht weiterleiten könnte. Das Gericht tut das leider nicht, weil es einige Ausgleichsmaßnahmen der Bundesregierung für halbwegs ausreichend hält.

Diese Einschätzung ist rechtlich fragwürdig – aber dazu wird es in den Musterverfahren von VdK und SoVD auch viel genauere Berechnungen geben.

Dabei wird es gerade um die regelsatz-spezifische Inflation gehen, die die LINKE im Bundestag erfragt hat. Genaue Berechnungen zeigen, dass die Einmalzahlung längst nicht genügt, weil sie die Inflation nicht ausgleicht (s. Begründung zum Antrag der LINKEN “Regelsatz ehrlich berechnen“, BT-Drs. 20/1502, , S. 3), und weil sie ohnehin hauptsächlich für andere existenznotwendige Zusatzkosten gedacht war, nämlich für Masken und andere Hygienekosten (§ 73 SGB II; BT-Drs. 20/1411, , S. 12 und 17/18).

Fragezeichen bei den künftigen Regelleistungen

Außerdem weist das Landessozialgericht schon auf die Zukunft hin, also auf ein Entlastungspaket und eine Regelsatzerhöhung beim Bürgergeld. Wenn man das übersetzt, bedeutet es: Wenn solche Maßnahmen nicht kommen, dann werden in Zukunft auch Gerichte anders urteilen. Es gibt wichtige juristische Fragezeichen bei der geltenden Leistungshöhe.

Deshalb können die Verfahren von SoVD und VdK auch nicht nur direkt vor Gericht Erfolg haben, sondern auch indirekt durch den Druck auf die Bundesregierung, den sie entfalten.

Bundesregierung muss sich ernsthaft mit Berechnung der Regelleistungen beschäftigen

Weil eine verfassungsgerichtliche Klatsche für die Bundesregierung im Raum steht, muss sich die Bundesregierung ernsthaft mit dem Thema der Leistungshöhe beschäftigen. Dass sich die Bundesregierung im Entlastungspaket überhaupt auf einen besseren Inflationsausgleich und eine Größenordnung von 500 Euro geeinigt hat, ist vielleicht schon Ergebnis dieses Drucks.

Gleichzeitig muss man die Erwartungen realistisch halten: Verfassungsrechtlich geht es nur um einen Inflationsausgleich, nicht um mehr.

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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