Verbraucherzentralen fordern: Strom- und Gassperren aussetzen!

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Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert ein Moratorium fรผr Energiesperren

Immer mehr Haushalte kรถnnen sich die steigenden Energiekosten nicht mehr leisten. Eine Auswertung zeigte zudem, dass die Regelleistungen bei Hartz IV nicht ausreichen, um die Energiekosten zu decken. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) befรผrchtet eine Zunahme von Energiearmut. Er fordert daher zusรคtzliche MaรŸnahmen zur Vermeidung von Strom- und Gassperren wรคhrend der Corona-Pandemie.

Schon vor der Corona-Krise bildeten Energiearmut und Energiesperren ein Prob- lem fรผr viele Verbraucherinnen und Verbraucher1 in Deutschland. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden im Jahr 2019 4,75 Millionen Stromsperren ange- droht. 289.000 Stromsperren wurden durchgefรผhrt.

Im Januar 2020 hatte sich der vzbv kritisch zur aktuellen Situation der Stromsperren in Deutschland geรคuรŸert: โ€žDie Bezahlung hoher Energierechnungen, insbesondere der Stromrechnung, ist fรผr viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine Herausforderung. Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Energiesperren kรถnnen fรผr die Betroffenen ver- heerend sein. Aus diesem Grund mรผssen Energieschulden vermieden und Energiesperren verhindert werden. Aufgrund der besonderen Eingriffswirkung fรผr Haus- haltskunden dรผrfen Energiesperren nur das letzte Mittel bei Zahlungsrรผckstรคnden sein.โ€œ

Grรผnde fรผr die Energiesperren liegen insbesondere in steigenden Energiepreisen, stagnierenden Einkommen und Sozialleistungen sowie teilweise niedrigen Energieeffizienzstandards im Wohnungsbestand. Eine relevante Zahl an Haushalten hat Probleme, ihre Strom- und Gasrechnung zu bezahlen. Betroffen sind insbesondere SGB-II-Leistungsbezieher (Hartz IV), Geringverdiener und Rentner aber auch Studenten, Auszubildende, Bezieher von Arbeitslosen-, Kranken- oder Pflegegeld.

Vor diesem Hintergrund forderte der vzbv u. a. die Senkung des Strompreises, die zรผgige Weitergabe sinkender Einkaufspreise an die Haushaltskunden, eine dynamische Anpassung des ALG-II-Regelsatzes, die Fรถrderung von Energieeffizienz- maรŸnahmen als nachhaltigste Kostenentlastung, die Optimierung der Prozesse der Versorgungsunternehmen und die stรคrkere Fรถrderung der Kooperationen zwischen Versorgern, Behรถrden, Verbrauchern und Beratungsstellen.

Die Corona-Pandemie verschรคrft diese Probleme aktuell noch einmal. Bereits wรคhrend und nach dem ersten Lockdown war die wirtschaftliche Situation vieler Verbraucher zusรคtzlich angespannt. Durch den erneuten Lockdown (light) wird
sich die Situation nicht verbessern.

Anstieg verschuldeter Haushalte befรผrchtet

Viele private Haushalte sind mit sinkenden Einkommen konfrontiert. Die Zahl derer, die ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen kรถnnen, kรถnnte daher noch einmal deutlich ansteigen.

Vom 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 galt daher ein Moratorium, wรคhrend dessen Verbraucher, die durch die Corona-Pandemie wirtschaftliche Nachteile erlitten hatten, aufgrund eines gesetzlich normierten Stundungsanspruchs die Zahlungen von Strom- und Gasrechnungen vorรผbergehend aussetzen konnten.

Wรคhrend des Moratoriums hatten bereits einige Energielieferanten auf die Durchfรผhrung von Energiesperren verzichtet und in Teilen das Mahnverfahren ausgesetzt. Nach Ablauf des Moratoriums haben die Energieversorger das Mahnverfahren einschlieรŸlich der Energiesperren wiederaufgenommen.

GemรครŸ ยง 19 Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) ist der Grundversorger bei Zahlungsverzug von mindes- tens 100 Euro berechtigt, die Versorgung vier Wochen nach Androhung unterbre- chen zu lassen. Die Berechtigung zur Unterbrechung der Gasversorgung ergibt sich fรผr Grundversorger aus ยง 19 Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV).

Lockdown wird ab Mittwoch verschรคrft

Der Lockdown wurde inzwischen verschรคrft. Ab Mittwoch werden groรŸe Teile des wirtschaftlichen und sozialen Lebens eingeschrรคnkt. Es erscheint nicht angemessen, Verbrauchern, die aufgrund der Pandemie in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, einer Energiesperre auszusetzen. Dies gilt gerade auch in Anbetracht der bevorstehenden Wintermonate.

Um die betroffenen Haushalte vor einer Energiesperre zu schรผtzen, kรถnnten etwaige Schulden รผber die Sozialleistungsansprรผche finanziert werden. Aktuell mรผssen Verbraucher bei den ร„mtern aber mit Wartezeiten und eingeschrรคnkten Bearbei- tungen rechnen. Folglich kann es lรคnger als sonst dauern, bis ein Leistungsbescheid erstellt wird und Gelder ausgezahlt werden.

Moratorium gefordert

Um kurzfristig Energiesperren abzuwenden, sollte zusรคtzlich ein Moratorium eingefรผhrt werden. Demnach wรผrden sich Energielieferanten (ggf. freiwillig) verpflichten, keine Sperren wรคhrend der Lockdowns der Corona-Pandemie durchzufรผhren und somit eine Stundung der Durchfรผhrung einer Energiesperre ermรถglichen. Dies erscheint auch in Anbetracht der Grundversorgungsverordnungen als angemessen, da nach diesen eine Energiesperre nicht erfolgen soll, wenn diese unverhรคlt- nismรครŸig ist.

Bereits wรคhrend des ersten Lockdowns hatte der Gesetzgeber die besonderen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie berรผcksichtigt und Verbrauchern mit dem Moratorium auf Grundlage von Artikel 240 Einfรผhrungsgesetz des Bรผrgerlichen Gesetzbuches (EGBGB) einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlungsaufschub zur Verfรผgung gestellt.

Mit einem Moratorium wรผrde sich der Zahlungsdruck bei Zahlungsrรผckstรคnden durch einen temporรคren Verzicht auf Energiesperren fรผr durch die Corona-Pandemie hervorgerufene wirtschaftliche Hรคrtefรคlle vermindern. Damit kรถnnten Verbraucher die notwendige Zeit erhalten, eine etwaige temporรคre รœberschuldung รผber einen lรคngeren Zeitraum wirtschaftlich auszugleichen bzw. entsprechende Bera- tungsangebote ohne den durch die Sperrandrohung hervorgerufenen Zeitdruck wahrzunehmen.

Diese Regelung wรคre auch vergleichbar mit den wirtschaftlichen Corona-Hilfen fรผr Unternehmen, die bereits durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eine entsprechende Entlastung erfahren haben.