Jobcenter: 100 Prozent Hartz IV “Sanktion” gegen ein Baby

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Die Kรถlner Erwerbsloseninitiative “Die Keas” berichten von einem schwerwiegenden Fall von Jobcenter-Bรผrokratie. Einem Baby wurden Hartz IV Leistungen verweigert.

Das Baby konnte nicht dafรผr. Es konnte nicht ahnen, dass seine Existenz, sobald es die schรผtzende Behausung verlรคsst, von einem Stรผck in Plastik eingeschweiรŸter Pappe abhรคngen wรผrde. Es hatte verstรคndlicherweise keinen Ausweis dabei.

Ohne Ausweis existiert ein Mensch nicht

Wer keinen Ausweis hat, existiert fรผr das Jobcenter nicht. Folgerichtig erhielt die bereits alleinerziehende Mama keine Leistung fรผr das Baby. Ohne Ausweis gibt’s kein Geld, sagte man ihr beim Jobcenter. Und das haben sie neun lange Monate wahr gemacht.

In gewisser Hinsicht existierte da aber doch so eine Art Phantom, eine “dritte Person” sogar, wie sie spรคter genannt wurde. Denn diese wurde als dritter Bewohner der Wohnung gezรคhlt – folglich auch ein Drittel weniger Miete an die Familie gezahlt.

Mietanteil wurde vorenthalten

In anderen Worten: Einer “Bedarfsgemeinschaft” von drei Personen, bestehend aus einer alleinerziehenden Mutter, einem schulpflichtigen Kind und einem Baby, wurden der Regelsatz und der Mietanteil fรผr eine “dritte Person” vorenthalten – รผber neun Monate lang. – Weil das Baby keinen Ausweis dabei hatte!

Geburtsurkunde genรผgt

Eigentlich hรคtte sich das Jobcenter auch an die Fachliche Weisung der Bundesagentur fรผr Arbeit zu ยง 7 SGB II halten kรถnnen: โ€žAls Nachweis รผber die Existenz und Identitรคt des Neugeborenen genรผgt die Vorlage der Geburtsurkundeโ€œ (S. 31); oder an die Fachliche Weisung zu ยง 37 SGB II: โ€žSpรคter in die BG eintretende Personen sind gemรครŸ den Angaben in der Verรคnderungsmitteilung und spรคtestens ab Eingang der entsprechenden Verรคnderungsmitteilung zu berรผcksichtigen, Kinder ab Geburtโ€œ (S. 2-3). Das wรคre das Vorgehen gewesen, das die oberste Behรถrde der Arbeitslosenverwaltung damals als Losung verkรผndete: “Wer in einem Jobcenter arbeitet, hat sich an Recht und Gesetz zu halten.”

Aber nein, sie mรผssen die junge Mutter monatelang terrorisieren mit der Forderung, einen Pass zu beschaffen, und hรคtten das sicher weiterhin getan, wenn die Frau nicht von der Beratung der Erwerbslosenberatung “KEAs” erfahren hรคtte.

Widerspruch war erfolgreich

Danach ging alles recht schnell: Ein Widerspruch gegen die knapp zwei Wochen alte Bewilligung wurde ans Jobcenter abgeschickt; wenige Tage spรคter beim Sozialgericht Einstweiliger Rechtsschutz beantragt. Bereits am folgenden Tag erlieรŸ das Jobcenter einen ร„nderungsbescheid und veranlasste eine Nachzahlung. Sie wussten dort offenbar genau, was sie verbrochen hatten und wollten auf jeden Fall eine Entscheidung des Gerichts vermeiden. Mit denen kรถnnen sie’s ja machen, die vom ordnungsgemรครŸen Verwaltungshandeln noch weniger wissen als das Jobcenter. Es darf nur sonst niemand davon erfahren.

Bald darauf hielt die Mutter dann auch den Pass fรผr ihr Baby in den Hรคnden. Sie hatte sich fรผr die Kosten von annรคhernd 500 Euro bei Verwandten und Bekannten Geld geliehen und konnte dann die Reise zur Botschaft antreten. Nun sitzt sie auf den Schulden fรผr ein “Dokument”, das keiner braucht. Sie hat den Rat der KEAs angenommen, das Jobcenter auf Kostenรผbernahme zu verklagen.

Es geht um Menschenwรผrde

Und so hoffen wir alle mal wieder, dass ein Sozialgericht den frommen Wunsch des Bundesverfassungsgerichts wahrnimmt:

โ€žDie Gerichte mรผssen sich schรผtzend und fรถrdernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 1236 ). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Wรผrde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewรคhrleistung, auch wenn sie nur mรถglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.โ€œ BVerfG, 1 BvR 569/05 vom 12.05.05 (Rz. 26) Falls es jemand nicht erraten hat: Die Filiale fรผr Kalk am Bergischen Ring warโ€˜s.