Studie: Bürgergeld-Sanktionen verlangsamen Eingliederung

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In Großbritannien gelten ähnliche Bürgergeld-Regeln wie in Deutschland. Eine interne Auswertung des Arbeitsministeriums zeigte, dass Sanktionen die Eingliederung in den Arbeitsmarkt verlangsamen. Zudem führen Sanktionen  bzw. deren Androhungen dazu, dass die Erwerbslose schlecht bezahlte Jobs annehmen und dadurch einen hohen finanziellen Verlust erleiden. Die Studie wurde zwei Jahre seitens des Arbeitsministeriums unter Verschluss gehalten. Auch deutsche Studien zeigten ähnliche Ergebnisse.

Sanktionen führen nicht zu einer schnelleren Arbeitsaufnahme

Die Ergebnisse des Berichts des Ministeriums für Arbeit und Renten spiegeln eine Reihe unabhängiger Studien wider, die zeigen, dass Sanktionen – d. h. Geldstrafen in Höhe von mehreren hundert Pfund, die Arbeitslosengeld-Beziehern wegen angeblicher Verstöße gegen die Leistungsbestimmungen auferlegt werden – kein wirksames Mittel sind, um Menschen dazu zu bringen, einen Job anzunehmen.

Die Auswertung ist laut “The Guardian” für die Regierung höchst unangenehm, da sie stark für Sanktionen gegen Arbeitslose eintritt, um die Betroffenen zu zwingen, eine Arbeit anzunehmen oder mehr zu arbeiten.

Studie sollte nicht veröffentlicht werden

Die Veröffentlichung des Berichts, der im August 2020 fertiggestellt wurde, wurde von der damaligen Ministerin für Arbeit und Renten, Thérèse Coffey, mit der Begründung blockiert, er sei “nicht im öffentlichen Interesse”. Erst jetzt wurde die Studie durch ein Leak öffentlich gemacht.

Experten sagen, es sei schockierend, dass das Ministerium mehr als zwei Jahre lang “eindeutige Beweise für die negativen Auswirkungen von Sanktionen hatte und dennoch aktiv versuchte, die Ergebnisse unter Verschluss zu halten, während gleichzeitig ein enormer Anstieg der Sanktionen forciert wurde”.

“Die eigenen internen Untersuchungen des DWP zeigen, dass Sanktionen sowohl die Beschäftigungsaussichten als auch das Einkommen des durchschnittlichen Antragstellers beeinträchtigen. Man kann verstehen, warum die Minister dies geheim halten wollten”, kritsierte David Webster, Forscher an der Universität Glasgow.

Arbeitslose werden in schlecht bezahlte Jobs gedrängt

Dem Bericht zufolge deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Sanktionen “nicht zu großen Verschiebungen bei der Arbeitssuche führen, aber die Art der Arbeit, die die Menschen annehmen, beeinflussen können, indem sie die Menschen in Richtung einer schlechter bezahlten Arbeit leiten”.

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In Großbritanien werden Erwerbslose dafür sanktioniert, wenn sie nicht ausreichend um einen neuen Arbeitsplatz bemühen oder nicht an einem Termin in der Arbeitslosenbehörde teilnehmen.

Die Leistungsminderungen bzw. deren Androhungen sind ein wichtiger Bestandteil des Konzepts der aufeinanderfolgenden britischen Regierungen im Bereich der Sozialleistungen und gehen von der Annahme aus, dass sie für die Antragsteller einen “Anreiz” darstellen, sich auf dem Arbeitsmarkt stärker zu engagieren. In Großbritanien werden durchschnittlich 683 Euro (660 Pfund) pro Jahr und Betroffenen durch Sanktionen gekürzt.

Die Studie hatte gezeigt, dass Sanktionen unwirksam sind und dazu führen, dass die Leistungsbezieher verarmen, depressiv werden und seltener arbeiten.

Sanktionsregeln sollen noch strenger werden

Letzten Monat versprach der Schatzkanzler Jeremy Hunt in seiner Haushaltsrede, dass die Sanktionen “strenger angewandt” würden, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen. Der Guardian enthüllte daraufhin, dass Eltern, die Sozialhilfe beziehen und kleine Kinder haben mit noch strengeren Sanktionsregeln rechnen müssen.

Die Untersuchungen des DWP zeigen, dass Eltern und Alleinerziehende, die mit Sanktionen belegt würden, nicht schneller in Arbeit kämen und im Durchschnitt 38 bzw. 34 Pfund pro Monat weniger bekämen, wenn sie eine Stelle antreten würden.

Mel Stride, der derzeitige Minister für Arbeit und Renten, sagte, er sei “insgesamt zufrieden” mit der Funktionsweise des Sanktionssystems und betonte, dass die Sanktionen eine “abschreckende Wirkung” hätten, die dazu führen, dass die meisten Antragsteller die Regeln einhielten.

In einer der Studie beigefügten Notiz erklärte das brtische Arbeitsminsterium, dass es ursprünglich beschlossen hatte, die Studie nicht zu veröffentlichen, da sie sich nicht mit der abschreckenden Wirkung befasse und daher “keine umfassende Bewertung der Leistungskürzungen” darstelle. Die “relativ geringen” negativen finanziellen Auswirkungen auf die Antragsteller sollten gegen die “wahrscheinliche abschreckende Wirkung” der Regelung abgewogen werden, so das das Arbeitsministerium gegenüber dem “Guardian”.

Sanktionen auch in Deutschland im Bürgergeld

Nachdem die Sanktionen in Deutschland gegen Bürgergeld Bezieher zunächst in Form eines Sanktionsmoratoriums ausgesetzt wurden, werden sie seit Jahresbeginn, wenn auch in abgeschwächter Form, wieder angewendet. Zunächst wollte die Ampel-Koalition die Sanktionen abschaffen, musste sich allerdings dem Druck im Bundesrat beugen.

Welche Sanktionsregeln gelten im Bürgergeld in Deutschland?

Seit Jahresbeginn 2023 gelten folgende Regelungen bei den Leistungsminderungen im Bürgergeld:

  • Bei Meldeversäumnissen wird die Leistung für einen Monat um 10 % des maßgebenden Regelsatzes gemindert, es sei denn, die Betroffenen haben einen „wichtigen Grund“ für ihr Fernbleiben.
  • Eine verspätete Arbeitslosenmeldung mit einer einwöchigen Sperrzeit durch die Arbeitsagentur wird wie ein Meldeversäumnis behandelt.
  • Bei anderen Pflichtverletzungen beträgt die Minderung bei der ersten Pflichtverletzung 10 %, bei der zweiten 20 % und bei der dritten 30 % innerhalb eines Jahres.
  • Eine weitere Pflichtverletzung liegt nur dann vor, wenn zuvor bereits eine Kürzung durch Sanktionsbescheid festgestellt wurde.
  • die Bereitschaft zur Nachholung von Pflichten ist zu berücksichtigen (denn laut BVerfG muss eine Sanktion aufgehoben werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt hat)
  • die Obergrenze bei mehreren Leistungskürzungen liegt bei 30 % des maßgeblichen Regelsatzes.
  • die sich rechnerisch ergebenden Zahlbeträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung dürfen nicht durch eine Leistungskürzung gemindert werden; d.h. wer als Aufstocker nur Leistungen für die Kosten der Unterkunft erhält, kann nicht sanktioniert werden.
  • keine Leistungskürzung, wenn diese im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde

Deutsche Studien kamen zu einem ähnlichen Ergebnis

Wie in Großbritannien sind auch hierzulande vor allem konservative und rechte Politiker davon überzeugt, Erwerbslose mit Sanktionen unter Druck zu setzen, obwohl auch deutsche Studien zeigen, dass Leistungsminderungen nicht zu einer Verkürzung der Bezugsdauer führen. Eine Auswertung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags hatte u.a. gezeigt, dass sich Sanktionierte aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen und sich noch weiter vom Arbeitsmarkt entfernen.

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