Schwerbehinderung: Einschränkung der Teilhabe statt Krankheit

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Behinderung ist gesetzlich definiert: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.”

Behinderung ist Beeinträchtigung der Teilhabe

Dieser Grundsatz des Behindertenrechts wird oft unzureichend verstanden. Zwar sind in den “Versorgungsmedizinischen Grundsätzen” Erkrankungen aufgeführt, die, je nach Schwere, Grade der Behinderung bedingen.

Aber: Für eine Behinderung und deren Schwere ist nicht die Ursache maßgeblich, sondern das Ausmaß der Beeinträchtigung für die Betroffenen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ihren Alltag zu gestalten.

Ist Behinderung gleich bedeutend mit Krankheit?

Eine Krankheit selbst ist keine Behinderung, eine Behinderung entsteht allerdings sehr häufig durch eine Erkrankung. 89 Prozent aller Behinderungen sind die Folge von Krankheiten, nur drei Prozent sind angeboren.

Soziale und praktische Barrieren

Behindert werden die Betroffenen aber nicht allein und nicht in erster Linie durch eine zugrunde liegende Erkrankung, sondern in der Wechselwirkung mit sozialen, strukturellen und anderen Barrieren in der Umwelt, die sie nicht überwinden können.

Einrichtungen und Alltagsgegenstände behindern die Betroffenen an der gesellschaftlichen Teilhabe. Das kann zum einen physikalisch-praktisch geschehen durch eine nicht behindertengerechte Architektur und Infrastruktur, zum Beispiel durch fehlende Rampen für Rollstühle, fehlende behindertengerechte Toiletten oder fehlende Information in Blindenschrift.

Behindern können auch die Einstellungen anderer Menschen als soziale Faktoren, die die Betroffenen ausgrenzen, diffamieren oder zumindest ihre besonderen Bedürfnisse ignorieren.

Welche Formen der Behinderung gibt es?

Letztlich ist jede Behinderung individuell. Dabei gibt es verschiedene Arten von Behinderung: körperlich, geistig oder psychisch. Diese können einander bedingen und verstärken, müssen es aber nicht. Es gibt Sinnesbehinderungen wie Blind- oder Taubheit, Lern- und Sprachbehinderungen.

Auch die Auswirkungen auf die gesellschaftliche und berufliche Teilhabe unterscheiden sich. Um diese festzulegen, gibt es den Messwert des Grades der Behinderung, der in Zehner Schritten von 10 bis 100 definiert ist.

Hinzu kommen Merkzeichen wie G für Gehbehinderung, die dafür Sorge tragen, dass die Betroffenen in diesem speziellen Bereich einen Anspruch auf Nachteilsausgleiche haben.

Der Grad der Behinderung

Beim Festsetzen eines Grades der Behinderung müssen immer die konkreten Auswirkungen berücksichtigt und die jeweiligen Beeinträchtigungen daraufhin betrachtet werden, wie die Betroffenen im realen Alltag eingeschränkt sind.

Es geht um die Einschränkung

So stellt ein Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland klar, dass das Merkzeichen G auch eingetragen werden kann, wenn die Ursache der Einschränkung psychisch / neurologisch ist. (L 5 SB 30/16)

Das Landessozialgericht machte deutlich, dass nicht nur orthopädische Schäden, sondern auch innere Leiden zu einer Gehbehinderung führen. Es verwies unter anderem auf Atembehinderungen mit permanenter Einschränkung der Lungenfunktion sowie schwere Herzschäden und bezog sich auf die “Versorgungsmedizinischen Grundsätze”.

Das Gericht teilte die Aussage der Klägerin und kam zu dem Schluss, dass ihre schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen die orthopädische Krankheit überlagerten und sie in der Summe stark in ihrer Bewegungsfähigkeit beeinträchtigt sei.

Der Einzelfall ist entscheidend

Laut dem Landessozialgericht gebe es in den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ keine abschließende Aufzählung der Merkmale einer erheblichen Gehbehinderung. Auch rein psychische Störungen könnten sich so auf das Gehvermögen auswirken, dass eine erhebliche Gehbehinderung entstehe.

Wesentlich sei die konkrete Situation im Einzelfall, nämlich, ob der betroffene Mensch infolge einer Behinderung nicht mehr die gesetzte Strecke von zwei Kilometern in einer halben Stunde zu Fuß bewältigen könne.