Rückblick: 1 Jahr Hartz IV

Zum Jahresende wird im Medienwald Bilanz gezogen, leider mit wenig Überraschungen. Die Armut hat zugenommen mit dem Verelendungsprogramm Hartz IV. ALG II-EmpfängerInnen wurden und werden auf den Ämtern schikaniert, erhielten die ihnen zustehenden Zahlungen nicht und legten massenweise Widerspruch ein. Die Beratungsstellen erlebten einen massiven Ansturm, und arbeiteten selbst oft ehrenamtlich weit über die Erschöpfungsgrenze hinaus. Ob 2006 wieder mehr Protest auf der Straße zu erwarten ist?

Die Hartz IV-Gesetzgebung verstärkt die patriarchale Rollenverteilung, Frauen werden in eine höhere Abhängigkeit von Partnern getrieben oder schaffen es als Alleinerziehende kaum, lebensnotwendige Dinge für den Nachwunchs aufzubringen. Immer mehr Kinder wachsen in Armut auf. Die Ämter durchleuchten die Betroffenen, schnüffeln in den Privatwohnungen bei Verdacht auf Bedarfsgemeinschaften rum und beteiligen sich sogar an der Terrorfahndung: ein Erwerbsloser wurde plötzlich zum Terrorverdächtigen und erhielt vom Jobcenter Berlin-Neukölln kein ALG II mehr ausgezahlt – der Verdacht entpuppte sich als unbegründet.

Die schlimmsten Befürchtungen vor der Einführung von Hartz IV wurden bestätigt. Im Sommer 2004 protestierten Hunderttausende bundesweit in ganz vielen Städten gegen die herannahende Katastrophe. Sie behielten Recht: Arbeitsplätze wurden nicht geschaffen (wie auch, mit Ein-Euro-Jobs?), und diejenigen die noch einen Arbeitsplatz haben spüren den noch stärkeren Druck. Weiterhin werden bei Großbetrieben wie Samsung, AEG, Telekom, usw. massiv Stellen abgebaut. Peter Hartz ist weg, Schröder auch, Hartz IV war bisher trotz massiven Protesten nicht wegzukriegen. Das ALG II wurde im Osten auf Westniveau angehoben, ein schwacher Trost. Die Angst regiert weiter. Merkel träumt vom Aufschwung, aber wenn die Kaufkraft bei weiten Teilen der Bevölkerung fehlt, bleibt die Binnennachfrage im Keller, Exportweltmeister hin oder her.

Das Beschäftigungswunder blieb aus, arbeitsmarktpolitisch scheinen die "Reformen" wirkungslos. Hartz IV ist deshalb nicht gescheitert, es ging ja nicht um Arbeitsplätze, es ging dabei eine Stimmung zu schaffen, angereichert mit Medienberichten über angebliche "Parasiten", in der es möglich ist, einen Teil der Bevölkerung von der gesellschaftlichen Teilhabe weitgehend auszuschließen. Das neoliberale Gerede vom Sparzwang wirkt, auch in anderen Ländern. Manchen Menschen bleibt nur noch der Griff in die Mülltonne, ob da vielleicht eine Pflandflasche für acht Cent oder sogar 25 Cent zu ergattern ist und die unsichere Hoffnung, keinen Zwangsumzug aufgebrummt zu kriegen 2006.

Pünktlich zum Jahrestag der Aktion Agenturschluss am 3. Januar ist soeben das Schwarzbuch Hartz IV (Verlag Assoziation A) erschienen. Das Buch enthält die Auswertung einer Befragung von Erwerbslosen zu ihrer Situation, liefert konkrete Tipps und beleuchtet auch die Folgen von Hartz IV für MigrantInnen und Flüchtlinge. Besondere Bedeutung wird den Prozessen der Selbstorganisierung beigemessen, eine Chronik zeichnet den Widerstand gegen den sozialen Angriff von oben nach. Das Buch zeigt eindrücklich, dass es nach wie vor allen Grund gibt sich gegen die Ämterschikanen gegen ALG II-EmpfängerInnen und Lohndrückerei gegen die Noch-Beschäftigten zu wehren.

Im Dezember 2005 verfasste die BAG-SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen) deshalb gemeinsam mit anderen einen Aufruf an die Erwerbslosen und prekär Beschäftigten zur Selbstorganisierung. Vereinzelt Widerspruch einlegen reicht nicht, Menschen müssen sich zusammentun und gemeinsam Aktionen organisieren. Und spätestens am 11. und 14. Februar 2006 werden sich Protestierende europaweit gegen die Bolkestein-Richtlinie versammeln.

Protest Informationen: labournet | Tacheles | Infos zu ALG II | Indy

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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