Wer eine große Witwenrente bezieht, erhält von vornherein nur 55 oder 60 Prozent der ursprünglichen Rentenansprüche des verstorbenen Ehepartners. Zusätzlich findet bei etlichen dieser Renten eine Kürzung von bis zu 10,8 Prozent statt. Besonders brisant ist, dass diese Verringerung bereits im sogenannten Sterbevierteljahr greifen kann.
Inhaltsverzeichnis
Warum wird die große Witwenrente überhaupt gekürzt?
Die Gesetzeslage ähnelt den Vorgaben, die für Renten wegen Erwerbsminderung (EM) bestehen. Bei einer EM-Rente entfällt der Abschlag, sobald der Rentenbezieher zum Rentenbeginn 65 Jahre oder älter ist.
Überträgt man diese Regelung auf Witwen und Witwer, stellt man allerdings fest, dass hier nicht das Lebensalter des Hinterbliebenen ausschlaggebend ist, sondern das Alter der verstorbenen Person zum Zeitpunkt des Todes. Liegt dieses bei unter 62 Jahren, werden 10,8 Prozent abgezogen.
Die rechtliche Basis: § 77 SGB VI und der „Zugangsfaktor“
Wer sich näher mit dem Thema Hinterbliebenenrente und ihren Abzügen befasst, kommt an § 77 Sozialgesetzbuch VI nicht vorbei. Dort wird für Hinterbliebenenrenten ein sogenannter Zugangsfaktor definiert, der angibt, ob und wie stark eine Kürzung erfolgt.
Ein Zugangsfaktor von 1,0 bedeutet keine Abzüge. Liegt er niedriger, kommt es zu einer Reduzierung der Entgeltpunkte, aus denen die Rente letztlich berechnet wird.
Wenn der Verstorbene zum Todeszeitpunkt jünger als 62 Jahre war, setzt das Gesetz ein fiktives Rentenbeginndatum mit Vollendung des 62. Lebensjahres an. Zwischen dem 62. und 65. Geburtstag veranschlagt man 36 Kalendermonate. Pro Monat findet eine Kürzung um 0,3 Prozent statt – in der Summe also maximal 10,8 Prozent.
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Sterbevierteljahr: Warum die Kürzung oft schon früh wirksam wird
Viele Hinterbliebene stellen fest, dass die Reduzierung bereits im Sterbevierteljahr berücksichtigt wird. Dieses Sterbevierteljahr bezeichnet den Zeitraum von drei vollen Kalendermonaten nach dem Sterbemonat, in dem eigentlich noch die Rente des Verstorbenen weitergezahlt wird – wenn auch in Form einer Hinterbliebenenrente.
Doch die gesetzliche Grundlage führt häufig dazu, dass bereits dort der Abschlag greift.
Wer sich fragt, warum dies nicht anders geregelt ist, sollte bedenken, dass die Witwen- oder Witwerrente von denselben Prinzipien beeinflusst wird, die bei Erwerbsminderungsrenten Anwendung finden.
Da bei EM-Renten das Alter des Verstorbenen (in diesem Fall der Rentenbezieher) bereits relevanten Einfluss auf mögliche Abschläge hat, gilt eine vergleichbare Vorgehensweise nun auch für Witwen und Witwer.
Günstigerregelung nach § 77 Absatz 4 SGB VI: Ausnahmen von der Kürzung
Nicht jede Hinterbliebenenrente wird automatisch um 10,8 Prozent verringert. Das Gesetz enthält bestimmte Ausnahmeregeln, die den Abschlag entweder ganz vermeiden oder ihn zumindest verringern können.
Gilt beispielsweise eine Günstigerregelung nach § 77 Absatz 4 SGB VI, kann es passieren, dass ein niedrigerer Abschlag angesetzt wird. Hier ist zu prüfen, ob bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie das Geburtsdatum des Verstorbenen, Zeiträume einer anderweitigen Absicherung oder weitere Sonderregelungen.
Einfluss früherer Altersrenten des Verstorbenen
Selbst wenn der verstorbene Ehegatte bereits eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen bezogen hat, kann sich das weiter auswirken. Wird eine Altersrente mit Abschlag später durch den Tod des Versicherten zur Witwenrente, übernehmen die Hinterbliebenenleistungen den bestehenden Abschlag.
Hier lohnt es sich, die genaue Berechnung in den Anlagen zum Rentenbescheid zu studieren. Dort findet sich meist eine detaillierte Aufstellung über die Entgeltpunkte, persönliche Entgeltpunkte und den jeweiligen Zugangsfaktor.
Wichtiges zum „Zugangsfaktor“ im Detail
Im Regelfall prüft der Rentenversicherungsträger zuerst, welche Altersrente, Erwerbsminderungsrente oder Hinterbliebenenrente der Verstorbene zurzeit seines Todes bezog oder hätte beziehen können. Bei Hinterbliebenen gelten dieselben Zugangsfaktoren wie für den Versicherten selbst.
War dieser also deutlich jünger als 62, werden 36 Monate abgeschlagen. War er 63 oder 64, verringert sich die Anzahl der abzugsrelevanten Monate entsprechend.
Entscheidend ist, dass die Entgeltpunkte aus den Versicherungszeiten des Verstorbenen mit dem errechneten Zugangsfaktor multipliziert werden. Je niedriger der Faktor, desto geringer das Gesamtergebnis und damit auch die monatliche Rente.
Fallstricke beim Antrag: Fehler vermeiden und Ansprüche sichern
Ein häufiges Problem ist, dass viele Hinterbliebene nicht wissen, welche Nachweise erforderlich sind. Von der Sterbeurkunde über Versicherungsverläufe bis zu Einkommensnachweisen kann einiges angefordert werden.
Wer hier unvollständige oder falsche Angaben macht, riskiert eine Verzögerung der Rentenzahlung.
Hilfreich ist es, frühzeitig alle Dokumente zusammenzutragen und gegebenenfalls professionelle Beratung einzuholen. Dadurch lassen sich Reibungsverluste vermeiden, und man erhält eine valide Aussage zu den erwartbaren Zahlbeträgen.
Blick in den Rentenbescheid: Anlage zur Berechnung
Bei der Prüfung, ob ein Abschlag von 10,8 Prozent wirklich gerechtfertigt ist, lohnt es sich, die Anlage im Rentenbescheid genau unter die Lupe zu nehmen. Dort sind die einzelnen Entgeltpunkte aufgeführt, einschließlich eventueller Zurechnungszeiten, die eine weitere Rolle für den Rentenumfang spielen können.
Wer feststellt, dass der Zugangsfaktor mit 1,0 angegeben ist, profitiert von einer ungekürzten Witwenrente. Liegt der Faktor jedoch unter 1,0, taucht meist eine entsprechende Passage auf, die auf den Altersunterschied zwischen verstorbener Person und dem 65. Lebensjahr hinweist.
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