Lieber kein Bürgergeld

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Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Ernst-Abbe Hochschule Jena bringt ein erschütterndes Phänomen ans Licht: Vierzig Prozent der Menschen, die Anspruch auf Bürgergeld hätten, verzichten darauf – aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und Vorurteilen.

Die Last der Vorurteile gegenüber Bürgergeld-Beziehern

Soziale Medien und bestimmte Fernsehformate wie die von RTL2 prägen oft das Bild der Bürgergeld-Empfänger negativ. Häufig wird ihnen unterstellt, sie seien “faul” oder “arbeitsunwillig”, wodurch ein erheblicher Druck entsteht.

Diese Stigmatisierung führt dazu, dass viele Berechtigte sich schämen, ihre Ansprüche geltend zu machen. Sie wollen lieber keinen Antrag auf Bürgergeld stellen.

Martina stellt trotz Anspruch keinen Antrag

Martina W., alleinerziehende Mutter von zwei Kindern in Berlin, hat nur einen Teilzeitjob als Verkäuferin. In dem Job verdient sie nur den Mindestlohn. Der Vater der Kinder, der vor einigen Monaten die Familie verlassen hat, zahlt nur sporadisch Unterhalt. Trotz ihrer intensiven Jobsuche findet sie keinen neuen Job, bei dem die Bezahlung besser ist und sie dennoch Zeit hat, sich um ihre Kinder zu sorgen.

Weil der Lohn nicht ausreicht ist sie berechtigt, aufstockendes Bürgergeld zu beantragen. Martina zögert jedoch aufgrund der starken Stigmatisierung in ihrem Umfeld und der Angst, als „faul“ oder „abhängig“ betrachtet zu werden.

“Ich will nicht, dass die Leute denken, ich würde Bürgergeld beziehen. Ich höre ja überall, wie über Bürgergeld Empfänger geredet wird”, sagt sie.

Martina hat in den sozialen Medien und im Fernsehen oft negative Kommentare über Bürgergeldempfänger gehört, was ihre Angst verstärkt. “Ich sorge mich, dass meine Kinder in der Schule gemobbt werden könnten, wenn herauskommt, dass ich Bürgergeld beziehe”.

So entscheidet Martina sich, keinen Antrag zu stellen, obwohl ihre finanzielle Situation prekär ist und sie kaum die Miete und Lebensmittel für ihre Familie bezahlen kann. Die Familie lebt derzeit von dem geringen Lohn, der Tafel und etwas Erspartem aus besseren Zeiten. “Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalten kann”.

Die realen Zahlen hinter den Vorurteilen

Die häufig geäußerte Annahme, dass ein Großteil der Bürgergeldempfänger nicht arbeiten möchte, hält einer statistischen Überprüfung nicht stand.

Zwischen Februar und Dezember 2023 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lediglich 0,41 Prozent der arbeitsfähigen Bürgergeld-Empfänger, die aufgrund von Arbeitsverweigerung sanktioniert wurden. Dies stellt eine verschwindend geringe Minderheit dar.

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Kein Bürgergeld: 40 % verweigern Leistungsbezug

Die Weigerung, Bürgergeld zu beantragen, hat direkte und langfristige Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen, insbesondere von Familien mit Kindern.

Diese Kinder wachsen in Armut auf und werden voraussichtlich ihr ganzes Leben lang unter dem Existenzminimum leben. Der Verzicht auf Bürgergeld trägt somit zu einer dauerhaften Armutsfalle bei.

Rechtsanspruch auf Bürgergeld

Bürgergeld ist nicht nur eine Sozialleistung, sondern ein rechtlicher Anspruch für diejenigen, die es benötigen. Es ist wichtig, dass die Politik das Bild der Bürgergeld-Empfänger neu bewertet und das System so anpasst, dass es seine intendierte Rolle als soziales Sicherheitsnetz erfüllen kann, ohne dass Empfänger öffentlicher Kritik und Stigmatisierung ausgesetzt sind.

Sozialhilfe statt Bürgergeld bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit

Es ist zudem zu beachten, dass Menschen, die aufgrund von Krankheit dauerhaft arbeitsunfähig sind, keinen Anspruch auf Bürgergeld haben, sondern auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Dies zeigt die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Arten sozialer Unterstützung zu differenzieren und die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen klar zu kommunizieren.

Stigmatisierung verhindert Leistungsanspruch

Die Debatte um das Bürgergeld zeigt deutlich, wie tief die Vorurteile in unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Es hindert viele Armutsbetroffene daran, das Bürgergeld zu beantragen. Viele Menschen haben zudem Angst vor der Behandlung in den Jobcentern. Sie wollen nicht als “Menschen zweiter Klasse” abgestempelt werden.