Kündigung bei Schwerbehinderung: So wehren Sie sich erfolgreich

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Eine Kündigung ist ein harter Schlag, besonders für Menschen mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung. Das Gesetz bietet Ihnen hier einen besonderen Schutz: Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamtes wirksam (§ 168 SGB IX). Das ist Ihr zentrales Recht, um den Arbeitsplatz zu sichern, was gerade bei drohendem Bürgergeldbezug existenziell ist.3 Dieser Artikel fasst Ihre Rechte zusammen.

Die Zustimmung des Amtes muss vor der Kündigung vorliegen; eine nachträgliche Genehmigung ist ausgeschlossen. Eine Kündigung ohne diese vorherige Zustimmung ist unwirksam. Dieser Schutz gilt unabhängig von der Betriebsgröße, also auch in Kleinbetrieben.

Wer ist besonders geschützt? Schwerbehinderung und Gleichstellung

Besonderen Kündigungsschutz genießen:

  1. Schwerbehinderte Menschen: Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50, festgestellt durch das Versorgungsamt.
  2. Gleichgestellte behinderte Menschen: Personen mit einem GdB von 30 oder 40, die bei der Agentur für Arbeit erfolgreich einen Antrag auf Gleichstellung gestellt haben, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz nicht bekommen oder behalten könnten. Eine Gleichstellung ist sinnvoll, wenn Nachteile im Job wegen der Behinderung drohen (z.B. häufige Fehlzeiten, verminderte Leistung). Stellen Sie den Antrag frühzeitig.

Entscheidend ist der offizielle Bescheid. Der Schutz kann aber schon greifen, wenn der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung mindestens drei Wochen vor Kündigungszugang beim Amt eingegangen ist und Sie mitwirken. Bei offensichtlicher Schwerbehinderung kann der Schutz selten auch ohne Bescheid gelten, verlassen Sie sich aber nicht darauf.

Das Herzstück: Ohne Zustimmung des Integrationsamtes ist die Kündigung unwirksam (§ 168 SGB IX)

Kernregel: Der Arbeitgeber muss vor jeder Kündigung (ordentlich, außerordentlich, Änderungskündigung) die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Ohne diese vorherige Zustimmung ist die Kündigung nichtig. Das gilt auch in Kleinbetrieben.

Wichtig: Trotz Unwirksamkeit müssen Sie handeln! Reichen Sie innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Versäumen Sie diese Frist, wird die Kündigung wirksam (§ 7 KSchG). Eine Ausnahme (§ 4 Satz 4 KSchG) kann gelten, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung bewusst nicht eingeholt hat, aber die Drei-Wochen-Frist ist sicherer.

Der Weg zur Entscheidung: Das Verfahren beim Integrationsamt

So läuft das Zustimmungsverfahren ab:

  1. Antrag: Arbeitgeber stellt schriftlichen/elektronischen Antrag beim zuständigen Integrationsamt mit Begründung.
  2. Ermittlung & Anhörung: Amt prüft, hört Sie an, holt Stellungnahmen von Betriebsrat/Personalrat und Schwerbehindertenvertretung (SBV) ein. Fachdienste können hinzugezogen werden.
  3. Gütliche Einigung: Das Amt versucht immer, eine Einigung zu erzielen, oft in einer mündlichen Verhandlung.
  4. Prüfung & Abwägung: Das Amt prüft die Kündigungsgründe und wägt Arbeitgeber- gegen Arbeitnehmerinteressen ab (Behinderung, Alter, Betriebszugehörigkeit etc.). Zentral ist, ob die Kündigung durch zumutbare Hilfen (Arbeitsplatzanpassung, Umsetzung etc.) vermeidbar ist. Das Amt soll aktiv Lösungen suchen.
  5. Entscheidung & Fristen:
    • Ordentliche Kündigung: Entscheidung soll binnen 1 Monats fallen. Arbeitgeber muss nach Zustimmung binnen 1 Monats kündigen.
    • Außerordentliche Kündigung: Arbeitgeber muss Zustimmung binnen 2 Wochen nach Kenntnis des Grundes beantragen. Amt muss binnen 2 Wochen entscheiden, sonst gilt Zustimmung als erteilt (Zustimmungsfiktion!). Arbeitgeber muss nach Zustimmung unverzüglich kündigen.
  6. Widerspruch: Gegen die Zustimmung können Sie binnen 1 Monats Widerspruch einlegen. Achtung: Der Widerspruch stoppt die Kündigung nicht (keine aufschiebende Wirkung).

Tabelle: Wichtige Fristen im Kündigungsschutzverfahren bei Schwerbehinderung

Ereignis Frist für Arbeitgeber Frist für Integrationsamt Frist für Arbeitnehmer
Antrag Zustimmung (ordentl. Kündigung) Vor Ausspruch der Kündigung
Antrag Zustimmung (außerordentl. Kündigung) Innerhalb 2 Wochen nach Kenntnis des Grundes
Entscheidung IA (ordentl. Kündigung) Innerhalb 1 Monats (Soll-Vorschrift)
Entscheidung IA (außerordentl. Kündigung) Innerhalb 2 Wochen (Zustimmung gilt sonst als erteilt)
Kündigungserklärung (nach IA-Zustimmung, ordentl.) Innerhalb 1 Monats nach Zustellung
Kündigungserklärung (nach IA-Zustimmung, außerordentl.) “Unverzüglich” nach Zustellung
Mitteilung der Schwerbehinderung (falls unbekannt) Innerhalb 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung
Einreichung Kündigungsschutzklage Innerhalb 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung (Regelfall!)
Einlegung Widerspruch gegen IA-Zustimmung Innerhalb 1 Monats nach Zustellung der IA-Entscheidung

Kein Schutz ohne Ausnahme: Wann das Integrationsamt nicht zustimmen muss (§ 173 SGB IX)

Der besondere Kündigungsschutz gilt nicht immer, z.B.:

  • Wartezeit: In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses ist keine Zustimmung nötig. Der Arbeitgeber muss die Kündigung aber dem Integrationsamt anzeigen.
  • Eigenkündigung: Wenn Sie selbst kündigen.
  • Aufhebungsvertrag: Bei einvernehmlicher Beendigung (siehe unten).
  • Befristung: Bei Ablauf eines befristeten Vertrages. Bei vorzeitiger Kündigung eines befristeten Vertrags ist Zustimmung aber nötig.
  • Alter > 58 + Sozialplan: Wenn Sie über 58 sind und eine Sozialplanleistung erhalten.
  • Weitere Fälle: Z.B. Witterungskündigung mit Wiedereinstellungszusage, bestimmte leitende Angestellte, fehlender Nachweis/Antrag zum Kündigungszeitpunkt.

Vorsicht, Falle! Der Aufhebungsvertrag umgeht den Kündigungsschutz

Ein Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis einvernehmlich, daher ist keine Zustimmung des Integrationsamtes nötig. Der besondere Kündigungsschutz wird umgangen. Arbeitgeber zahlen oft eine Abfindung (Verhandlungssache!), um das Zustimmungsverfahren zu vermeiden. Ihr Kündigungsschutz ist ein starkes Verhandlungsargument.

Risiken:

  • Sperrzeit beim Arbeitslosengeld (bis 12 Wochen) ist die Regel. Klären Sie das vorher mit der Agentur für Arbeit!
  • Mögliche Anrechnung der Abfindung auf Krankengeld.
  • Verlust aller Kündigungsschutzrechte.

Daher: Unterschreiben Sie nie unter Druck! Lassen Sie den Vertrag immer von Experten (Anwalt, Gewerkschaft, Sozialverband) prüfen. Ein Widerruf ist nicht möglich, Anfechtung nur in Extremfällen.

Die Schwerbehindertenvertretung (SBV): Ihr wichtiger Partner im Betrieb

Gibt es eine SBV, muss der Arbeitgeber sie vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten unverzüglich informieren und anhören (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Eine Kündigung ohne diese Beteiligung ist unwirksam! Die SBV vertritt Ihre Interessen und kann helfen, Lösungen zu finden. Suchen Sie frühzeitig Kontakt.

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Mehr als nur eine Formalie? (§ 167 SGB IX)

Waren Sie in 12 Monaten länger als sechs Wochen krank, muss der Arbeitgeber Ihnen ein BEM anbieten. Ihre Teilnahme ist freiwillig. Ziel ist, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Mit Ihrer Zustimmung können Betriebsrat, SBV, Betriebsarzt etc. beteiligt werden.

Ein fehlendes oder fehlerhaftes BEM macht eine Kündigung nicht automatisch unwirksam, erschwert sie aber für den Arbeitgeber erheblich. Er muss dann beweisen, dass die Kündigung auch mit BEM unvermeidbar gewesen wäre. Das BEM ist somit faktisch eine Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Auch die Zustimmung des Integrationsamtes ersetzt kein fehlendes BEM. Lehnen Sie ein korrekt angebotenes BEM ab, kann das Ihre Position im Prozess schwächen.

Kündigung erhalten? So wehren Sie sich richtig!

Handeln Sie schnell und überlegt:

  1. Ruhe bewahren: Nichts sofort unterschreiben (kein Aufhebungsvertrag!). Bitten Sie um Bedenkzeit.
  2. Prüfen: Liegt Zustimmung des Integrationsamtes vor? Wurde die SBV beteiligt?
  3. Arbeitgeber informieren (falls Status unbekannt): Teilen Sie dem Arbeitgeber Ihre Schwerbehinderung/Gleichstellung (oder den rechtzeitigen Antrag) innerhalb von drei Wochen nach Kündigung nachweisbar mit (z.B. Einschreiben). Frist nicht verpassen, sonst Schutzverlust!
  4. Kündigungsschutzklage erheben: Reichen Sie innerhalb von drei Wochen nach Kündigung Klage beim Arbeitsgericht ein. Auch diese Frist ist entscheidend! Bei Versäumnis gilt die Kündigung meist als wirksam (§ 7 KSchG). Die parallelen 3-Wochen-Fristen (Info AG & Klage) erfordern schnelles Handeln.
  5. Widerspruch gegen Zustimmung: Hat das Integrationsamt zugestimmt, legen Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch beim Amt ein. Strategisch wichtig, auch wenn es die Kündigung nicht sofort stoppt.
  6. Arbeitssuchend melden: Melden Sie sich innerhalb von drei Tagen nach der Kündigung bei der Agentur für Arbeit.
  7. Sofort Hilfe suchen: Wenden Sie sich umgehend an: SBV, Betriebs-/Personalrat, Sozialverbände (SoVD, VdK), Gewerkschaft oder Fachanwalt für Arbeits-/Sozialrecht.