Schwerbehinderung: Legasthenie kann Grad der Behinderung von 50 bedeuten

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Legasthenie bezeichnet eine Beeintrรคchtigung mit ausgeprรคgten Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesen und / oder des Rechtschreibung. Es handelt sich um eine neurobiologische Stรถrung, die hรคufig bis ins Erwachsenenalter reicht. Legasthenie ist in Deutschland als Behinderung anerkannt.

Beeintrรคchtigungen beim Lesen und Schreiben

Die Weltgesundheitsorganรญsation (WHO) unterscheidet zwischen einer isolierten Lese- beziehungsweise Rechtschreibschwรคche und einer Kombination aus beidem (Dyslexie).

Mรถgliche Beeintrรคchtigungen umfassen beim Lesen unter anderem eine Verlangsamung der Lesegeschwindigkeit, kein sinnentnehmendes Lesen , Leseprobleme bei kleiner Schrift oder handgeschriebenen Aufgabenstellungen.

Beim Schreiben kommt es zu mangelhafter bis ungenรผgender Rechtschreibung, zu unleserlicher Schrift, und zu Problemen bei schriftlichen Prรผfungen, die mit schriftlichen Antworten verbunden sind.

Psychische Folgen der Legasthenie

Hรคufige psychische Folgen dieser Beeintrรคchtigung sind mangelndes Selbstwertgefรผhl und Versagensรคngste. Probleme in der gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe entstehen nicht nur durch die Schwรคche selbst, sondern auch, weil Arbeitgeber und Mitbรผrger die Betroffenen fรผr โ€ždummโ€œ oder โ€žfaulโ€œ halten. Manche Betroffene versuchen deshalb, ihr Problem zu verbergen, was weitere Benachteiligungen mit sich bringt.

Laut Verfassungsgericht ist Legasthenie eine Behinderung

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2023 klar, dass es sich bei Legasthenie um eine Behinderung handelt. (1 BvR 2577/15): โ€žLegasthenie stellt eine Behinderung im Sinne desย ย 3ย ย 3 Satzย 2ย ย dar.โ€œ

Die Richter erlรคuterten ausfรผhrlich, warum das so ist: โ€žBei einer Legasthenie beruhen die Defizite beim Lesen und Schreiben auf einer medizinisch messbaren neurobiologischen Hirnfunktionsstรถrung und damit auf einem regelwidrigen kรถrperlichen Zustand.

Die Symptome dieser Funktionsstรถrung, nรคmlich eine deutliche Verlangsamung des Lesens, Schreibens und Textverstรคndnisses und weit unterdurchschnittliche Rechtschreibfรคhigkeiten halten lรคngerfristig, regelmรครŸig sogar lebenslang, an. Die damit verbundenen Einschrรคnkungen einer individuellen und selbstbestimmten Lebensfรผhrung sind gewichtig.โ€œ

Welcher Grad der Behinderung gilt bei Legasthenie?

Die Einstufung durch das Versorgungsamt, welcher Grad der Behinderung bei einer Legasthenie vorliegt, richtet sich nach der Schwere der Einschrรคnkung beim Lesen und Schreiben sowie den daraus resultierenden Beeintrรคchtigungen, an der Gesellschaft teilzuhaben.

In den Richtlinien wird Legasthenie dabei unter Neurodiversitรคt aufgefรผhrt. Grundsรคtzlich bewegen sich die Einschรคtzungen von einem Grad der Behinderung von 20 bis zu einem Grad der Behinderung von 40. Dies gilt fรผr eine Dyslexie (Lese-Rechtschreibstรถrung), sowie fรผr eine Legasthenie mit Konzentrationsstรถrungen.

In Kombination mit anderen Beeintrรคchtigungen kann hier ein Grad der Behinderung von 50 oder mehr festgestellt werden.

Einzelgrad der Behinderung von 50

Bei einer Legasthenie ist jedoch auch ein Einzelgrad einer Behinderung von 50 mรถglich, ohne weitere Beeintrรคchtigen. Damit wรคren die Betroffenen dann allein wegen der Legasthenie schwerbehindert und hรคtten damit Anspruch auf alle mit einer Schwerbehinderung verbundenen Nachteilsausgleiche. Bei einer Dyslexie und Legasthenie gilt das dann, wenn die Stรถrung starke Auswirkungen auf die schulischen Leistungen und in weiteren Lebensbereichen hat.

Wer erstellt das medizinische Gutachten?

Um einen Antrag auf Schwerbehinderung beim zustรคndigen Versorgungsamt zu stellen, sind medizinische Gutachten und Bescheinigungen notwendig, die es den Prรผfern ermรถglichen, รผber das AusmaรŸ der Beeintrรคchtigung zu entscheiden. Bei einer Legasthenie zรคhlt hier besonders die รคrztliche Diagnose der jeweiligen Kinder- und Jugendpsychiater.

Nachprรผfung kann niedrigeren Grad der Behinderung ergeben

Legasthenie ist nicht unheilbar. Betroffene kรถnnen die Einschrรคnkungen durch die Schwรคche durch training und Therapie lindern und oft auch ihre Schreib- und Fรคhigkeiten verbessern. Eine Nachprรผfung durch das Versorgungsamt kann dann dazu fรผhren, dass der Grad der Behinderung deutlich niedriger festgesetzt wird als zuvor.

So klagte ein Betroffener, dem als Erwachsener der zuvor wegen seiner Legasthenie mit Anpassungsschwierigkeiten festgestellte Grad der Behinderung von 50 auf 40 reduziert wurde. Er ging bis zur Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.

Der Mann blieb ohne Erfolg. Auch wenn er es subjektiv anders empfand, hatte sich seine Beeintrรคchtigung objektiv gebessert. Dabei ging es nicht darum, ob sich seine Lese-Rechtschreibschwรคche gebessert hรคtte. Doch deren Einfluss auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hatte nach Abschluss der Schule klar nachgelassen. (L 6 SB 198/21)